Der Gasthof hat sechs Zimmer. Die Wirtin erzählt mir, dass es eine Zeit gab, als Gasthöfe oder Restaurants in der Region ihr Geschäft um Zimmervermietung erweiterten. Meistens nur wenige Zimmer. Das Hauptgeschäft blieb aber der Restaurantbetrieb. So ist es auch in diesem Gasthof: das Essen ist phänomenal und die Gaststube ist brechend voll (soweit man das in Coronazeiten sagen kann).
Beim Verlassen von Oberkappel mache ich noch schnell einen Abstecher an die ehemalige Grenzstation. Dabei komme ich an einem Cafehaus vorbei. In dem Cafehaus sitzen bestimmt 15-20 österreichische Grenzer in Uniform. Alte und junge Grenzer, die sich angeregt unterhalten und einen Frühschoppen halten. Ich denke über die Perspektiven der jungen Grenzer nach. Eine deutsch-österreichische Grenze zu „bewachen“ oder den Warenverkehr hier zu „überwachen“? Das hört sich erst einmal nach einem entspannten Job an im Zuge einer immer stärkeren Europäisierung. Auf der anderen Seite, ständig von den senioren Grenzern anzuhören, wie spannend, aufregend und relevant die Arbeit mal war, stelle ich mir sehr frustrierend vor.
Der gestrige Tag mit meinen Ab- und Umwegen hat mich noch mal dazu gebracht, im Internet nach einer mobilen Kartenlösung zu suchen. Schließlich habe ich eine Anwendung gefunden und probiere sie gleich aus. Tatsächlich führt sie mich genau den E8 entlang. Sogar mit Maschinenstimme. Die Stimme ist nicht ganz so mein Typ. Ich würde eine schöne Altstimme bevorzugen. Einladender könnte die Stimme auch sein, Kommandoton ist auch nicht so meins.
Heute sind am Anfang erst einmal 600 Höhenmeter zu bewältigen. Das geht nicht schnell, sondern langsam. Die Landschaft im Rohrbacher Land ist stärker zersiedelt als im Bayrischen Wald. Wald, Felder, Wiesen und Dörfer wechseln relativ häufig. Ich komme durch Wald, wo es größere Baumschäden gegeben hatte, die jetzt aufgetürmt werden. Viele Fichten sind gefällt worden und es riecht stark nach den ätherischen Ölen. Die Sonne scheint darauf. Ich liebe diesen Geruch.
Mittags habe ich total verschwitzt den höchsten Punkt erreicht, den Ameisberg. Der Berg ist bewaldet und auf dem Gipfel führen Straßen hoch und es steht ein Sendemast. Aber leider keine Aussicht. Schade. So ein zünftiger Aufstieg wird eigentlich nur durch eine schöne Aussicht belohnt. So komme ich mir ein bisschen um meine Belohnung betrogen vor. Ich ziehe mein nasses Hemd aus und hänge es zum Trocknen an den Rucksack.
Es geht weiter durch den Wald. Die Kartenanwendung hat manchmal bei vielen Forstwegen Orientierungsprobleme im Wald, ansonsten habe ich alle Wegpunkte problemlos gefunden. Echt kommod. Ich fange an, mich zu entspannen. Heute kein Umwege über befahrene Landstraße wäre super. Zweimal lichtet sich der Wald und ich kriege dann doch noch einen Panoramablick.
Dann zeigt auf einmal die Anwendung einen Weg an und ich soll rechts darauf abbiegen, aber da ist kein Weg, sondern es steht dort ein Haus. Glücklicherweise kommen zwei Spaziergängerinnen mir entgegen. Ich frage beide nach dem Weg. Sie überlegen kurz und beschreiben mir den Weg für die nächsten ein, zwei Kilometer sehr akkurat. Dann fragen sie mich, ob ich ein Pilger sei. Ich erzähle ihnen meine Motivation, Wanderziel und -weise. Die beiden kommen aus der Gegend und erzählen, dass sie am Montag wieder in die Schule müssen. Ich stutze, die jüngere sind nicht mehr so jung aus als dass sie in die Schule müsste. Die ältere ist Grundschullehrerin und sagt, dass sie noch ein bisschen arbeiten müsste bis zum Ruhestand. Ich bin wieder irritiert. Was meint sie mit ein „bisschen“? Schließlich frage ich die beiden nach ihrem Alter und muss feststellen, dass ich mich beiden locker um 10-15 Jahre verschätzt habe! Ich frage die beiden nach ihrem Geheimnis. Die beiden lachen und wir überlegen gemeinsam. Zuerst meinen sie, dass es an der Ruhe auf dem Land liegen könnte. Ruhe meint hier nicht, dass es still ist (das ist es auch auf dem Land nicht), sondern das Fehlen von Autolärm oder der Krach von Maschinen. Am Ende unseres Gespräches glauben wir, dass es an der Arbeit mit den Kindern liegen muss. Auch ihre Tochter arbeitet in der Kinderbetreuung. Ich verabschiede mich von den zwei freundlichen Damen.
Am Abend erreiche ich meine Unterkunft. Es ist kurz nach 18 Uhr und die Sonne ist schon am Untergehen. Ich merke, dass es Herbst wird.
Mein guter austrostämmiger Freund hatte ja schon angedeutet, dass in Österreich die Wegmarkierung für den E8 vielleicht nicht ganz so wie in Deutschland sein könnte. Er hat heute recht behalten: Eine sehr schöne Markierung auf 18 Kilometer. Auch die andere Wege sind eher für Ortskundige markiert.