Category : Europäischer Fernwanderweg E8

Vom Weinviertel nach Wien: Au/Ernstbrunn – Alte Donau – Wien

Österreich hat nach gutem Spiel knapp verloren und ich habe gut geschlafen. Nach dem Frühstück wandere ich nach Grossleis, dort soll es einen Aussichtsturm geben. Das Wetter ist sehr schön und ich bin nach kurzer Zeit schon dort. 

Es ist alles ruhig. Ein Schild sagt mir, dass der Turm erst ab 10 Uhr begehbar ist. Ich setze mich in den Schatten und freue mich schon auf die Aussicht. Kurz vor 10 Uhr kommt die Bergwacht. Die kleine Hütte mit Mini-Museum ist die tiefstgelegene Bergwachtshütte in Österreich. Nachdem ich das Eintrittsgeld bezahlt habe, besteige ich den Turm. Die Aussicht ist phänomenal. Wie mir versprochen wurde, kann ich sogar Hochhäuser in Wien sehen. Wien wartet!

Ich freunde mich mit den zwei Bergwachtsmännern: Manfred und Alexander an. Sie sind sehr hilfsbereit. Hier oben gibt es schützenswerte Pflanzen und es handelt sich nicht nur um ein Naturschutzgebiet, sondern auch um einen Ort, der vor ca. 6000 Jahren schon von Menschen besiedelt wurde. Die Lage auf dem Berg mit einem kleinen Hochplateau und einer sehr guten Weitsicht waren auch früher schon sehr attraktiv und strategisch günstig gelegen.

Alexander macht mit mir eine Rundtour. Schützenswerte Pflanzen finden wir leider keine mehr, Schafe haben diese aufgefressen. Alexander meint, wenn Menschen das gewesen wären, hätte es über 1000 € Strafe gekostet. So, kann er leider nichts machen.

Besonders die Maulwurfshügel interessieren Alexander. Die Tiere buddeln dabei immer wieder archäologische Fundstücke nach oben. Alexander hofft, irgendwann auch einmal eine Pfeilspitze zu finden. Einem 9-jährigen Jungen vor 6 Jahren war das geglückt. Wir finden aber „nur“ Tonscherben. Eine kleine Scherbe nehme ich mir mit und komme mir dabei ein wenig wie ein Jakobspilger vor. Die Jakobspilger nehmen traditionell auch einen Stein mit, den sie dann während ihrer Pilgerwanderung dann einem bestimmten Punkt mit den damit verbundenen Gedanken oder Sorgen ablegen. Meine Tonscherbe werde ich nach Wien zum Stephansdom tragen. Meine Tonscherbe ist klein und leicht.

Nach der Tour unterhalten wir uns noch. Dabei stellt sich heraus, dass Alexander mich gestern in Ernstbrunn schon wahrgenommen hatte, als ich im Café von den Damen Quartierhilfe bekommen habe. Nicht nur ich habe Ernstbrunn kennengelernt, auch Ernstbrunn kennt mich!

Ich wandere weiter und laufe zum Wildgehege von Ernstbrunn. Die Besucherzahlen sind noch überschaubar: vor allem Familien mit kleinen Kindern. Am besten gefällt es mir bei den Gämsen und Steinböcken. Ein schroffer Berghang gehört zum Gehege. Hier zeigen die Tiere, wie gut sie auch in Steillage klettern können. Beeindruckend. Die Wölfe dagegen sind müde und von der Hitze geschafft. Die Wildschweine sind da lebendiger. Zwei mächtige Keiler machen mir Respekt. Ein Glück, dass ich solchen Kalibern noch nicht in freier Wildbahn begegnet bin.

Ich wandere weiter nach Ernstbrunn. Kurz vor dem Ort erlebe ich noch einmal ein gut beleuchtetes Landschaftspanorama. Jetzt kann ich auch den Kalksteinbruch in seiner ganzen Größe gut erkennen.

In Ernstbrunn gehe ich dann etwas Essen. Ich fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Wien. Wien wartet! Unterwegs werde ich von Wolfgang und seiner Frau Judith eingeladen, einen Zwischenstopp an der alten Donau zu machen. In Floridsdorf steige ich aus und nach 15 Minuten Fussmarsch bin ich an der alten Donau. Bekannte haben dort einen kleinen Garten direkt am Ufer gepachtet. Einfach toll. Ich werde herzlich begrüßt, sehe eine alte Bekannte (nach 20 Jahren!) wieder und werde zum Essen eingeladen. Aber zuerst springe ich in die Donau und schwimme. Das Wasser ist richtig warm. Die alte Donau ist hier eine richtige Freizeitanlage. Viele Menschen kommen hierher, um sich zu erholen. Traumhaft!

Später fahren wir nach Wien und lassen den Abend gemeinsam auf einer Terrasse im 17. Bezirk mit einem Glas Gin Tonic ausklingen. Ich fühle mich wie im Luxusurlaub! 

Ich werde hier meine Wanderung unterbrechen, da ich wieder nach Deutschland will, um meine 2. Impfung zu erhalten.

Im Weinviertel: Seefeld – Ernstbrunn

Am frühen Morgen bewege ich mich von Seefeld nach Groß-Harras, um wieder auf den E8 zu kommen. Alles entlang einer befahrenen Landstraße. Aber durch die reichlichen nächtlichen Regenfälle ist die Luft klar und frisch und ich komme gut voran. Von Groß-Harras aus wandere ich über die Felder nach … In der Gastwirtschaft „Zum Bikerschani“ kehre ich Mittags ein. Der Wirt und seine Mannschaft (seine Frau und ein junger Mann namens Lukas) sind angespannt, da sie in Kürze eine Trauergemeinde erwarten, die vom nahgelegenem Friedhof kommen werden. Für zwei Getränke reicht es aber noch, nur die Unterhaltung ist nicht so entspannt. Von meinem Platz aus, kann ich die angerichteten Salatteller und einen Monitor sehen, der den Vorplatz der Gasststätte zeigt. Lukas will wissen, wie schwer mein Rucksack sei. Er darf ihn einmal heben. Der Wirt vom Bikerschani trägt eine kurze Jeanshose im Trachtendesign und ein schwarzes T-Shirt auf dem „Zum Bikerschani“ steht. Lukas hat auch so ein T-Shirt. Die schwarze Farbe ist wahrscheinlich dem traurigen Anlass geschuldet. Bikerschani macht mich darauf aufmerksam, dass mein Wanderweg heute durch den größten zusammenhängenden Eichenwald Europas führen. wird. Endlich kommt die Trauergemeinde und der Wirt begrüßt sie mit dem Hinweis: Maske beim Eintreten ja, die 3 Gs ja (aber Zeigen muss keiner, hier gilt noch das Ehrenwort), 5 Meter weiter im Trauerraum kann die Maske dann abgenommen werden. Ich bezahle und ziehe weiter. Ich habe mir heute vorgenommen bis Ernstbrunn zu kommen in der Hoffnung auf eine einfache Quartiersuche.

Es geht eine langgezogene Steigung Richtung Wald hoch, vorbei an dem obligatorischem Kellertrifft. Dann kommt der Eichenwald. Ich freue mich schon, da Hirschkäfer Eichen als Lebensraum brauchen. Vielleicht habe ich ja heute die Chance einen Hirschkäfer in freier Wildbahn zu beobachten. Ich komme in den Wald. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Irgendwie hatte ich einen reinen Eichenwald erwartet, aber es ist ein Mischwald in dem es – zugegebnermassen – viele Eichen gibt. 

Die Wegmarkierungen sind sparsam und der Weg gabelt sich immer wieder. Ich schalte die Wanderapp und folge ihr. Hätte ich das mal lieber gelassen: der Weg wird immer undurchdringlicher und verwachsener. Schließlich erreiche ich eine Landstraße. Aber auf der anderen Straßenseite sind nur Zäune und ich kann der Wanderappführung nicht folgen. So ein Mist! Also wieder Landstraße kilometerlang. Ich begegne einem 87-jährigen, der Wildblumen gucken geht. Er zeigt mir einen Türkenbund und fährt mich 2-3 Kilometer die Landstraße hoch und lässt mich an einer Stelle raus, wo ich wieder auf den E8 gelange. 

Wieder geht es durch einen Wald, an einem Freigehege vorbei (Tiere sehe ich aber dort keine). Und auf einmal, auf dem letzten Stück Landstraße begegnet mir tatsächlich ein weiblicher Hirschkäfer (ich habe die Bilder gerade in Wikipedia miteinander verglichen). Wow! Ich bin ganz gerührt: das Krafttier der Familie Schröter. Und das hier, wo keine Eiche weit und breit ist.

Schließlich erreiche ich gegen 18 Uhr Ernstbrunn und gehe direkt zum Hauptplatz. Ich will jetzt möglichst schnell ein Quartier. Österreich spielt heute zum ersten Mal im Achtelfinale einer Fußball EM. Spätestens ab 19:30 ist kein Österreicher mehr für einen Wanderer zu erreichen. Ich erspähe zwei ältere Damen in einem Café. Die kennen sich bestimmt aus. Und tatsächlich sie können mir drei Unterkünfte nennen. Aber, wie verhext, alle sind ausgebucht. Ich komme frustriert wieder zum Café zurück. Die Damen erwarten mich schon. Ich darf mich zu Ihnen an den Tisch setzen. Sie sind sehr hilfsbereit und organisieren mir ein Zimmer in einem Ort, der 4 Kilometer weiter entfernt ist, aber leider nicht einfach zu finden. Frau G. bietet an, mich hinzufahren. Aber vor 19:30!!! Kein Problem, ich bestelle mir einen Eisbecher und wir unterhalten uns gut. Die zwei Hauptthemen sind die Unterschiede in der österreichischen und deutschen Sprache und allerlei Klatsch über Personen, die immer mal über den Platz gehen. Falls ich einen halben Tag mit dem Damen hier Kaffee trinken würde, wüsste ich wahrscheinlich über alle interessanten Personen in Ernstbrunn bescheid.

Gegen 19 Uhr fährt mich Frau G. zu meinem Quartier. Sie wartet sogar noch, bis die Wirtin die Türe öffnet und verabschiedet sich dann. Vielen Dank!

Im Weinviertel: Weinstadt Retz – Haugsdorf – Seefeld

In der Nacht hat es wieder gewittert und geregnet. Aber am nächsten Morgen ist es wieder schön. Eigentlich will ich heute einen Pausentag einlegen, aber irgendwie ist mir die Stadt unsympathisch. Als sich dann herausstellt, dass alle Führungen durch die Kellergewölbe ausgebucht sind, gehe ich kurzentschlossen wieder wandern. 

Bis zum Hauptplatz in Retz ist der E8 sehr gut beschildert. Aber ab diesem Punkt wird es sehr sparsam bzw. geizig. Die E8 Marken tauchen nur noch 2-3 mal auf und auch die Markierungen des Ostösterreichischen Fernwanderweges 07 sind eher selten. Immer öfter muss ich die Beschreibung von dem Weitwanderführer und den Kompass zu rate nehmen.

Nach einiger Zeit bin ich wieder in meinem Trott und komme gut vorwärts. Das Panorama überrascht mich positiv. Nach dem Thayatal hatte ich mit langweiligen Weinbergen gerechnet. Aber das Weinviertel hat eine gute Weitsicht mit einem interessanten Panorama. Ich bin zufrieden, dass ich losgegangen bin. 

Ich entdecke Felder mit Mariendisteln. Wozu baut man Mariendisteln an? Ich habe keine Idee. Bie den 3-5 Meter breiten Baumstreifen dagegen schon, sie dienen als Windbrecher. Ich wandere an einem vorbei, der mindestens 7-10 Meter hoch ist. Immer wieder höre ich es im undurchdringlichen Dickicht knacken. Große Tiere. Nicht nur Feldhasen, die ich immer wieder erspähen kann, sondern auch Hirsche. Eine Hirschkuh kann ich sehen, wie sie wieder in den Baumstreifen zurückgeht.

Es wird schwül. Ich sehe, wie sich wieder stärker Wolken bilden. Es ist ganz angenehm im Schatten der Wolken zu laufen. Ich nähere mich von einer Anhöhe Haugsdorf.  Eine sehr lange Straße führt direkt auf die Stadt zu. Auf der rechten Seite sind Keller, die Straße wird deshalb auch Kellertrift genannt. Eine Unzahl von kleinen und größeren Kellern. Viele Familien haben einen solchen Keller, in denen sie Wein und andere Lebensmitteln lagern können. In Mittelfranken gibt es etwas ähnliches: Bierkeller. Meine Ex-Schwiegereltern hatten auch einen in ihren Heimatdorf. Zwei- oder dreimal im Jahr gab es dann ein Kellerfest. So eine ähnliche Tradition gibt es hier auch, nur mit Wein.

In Haugsdorf kaufe ich mir etwas zum Trinken. Es ist stechend heiß geworden. Eine dunkle Wolkenwand nähert sich. In Haugsdorf ist kein Zimmer frei, alles ausgebucht von Touristen, die die „Weintouren“ machen wollen. Angeblich für das Wochenende, aber angereist wird schon am Donnerstag. Ich steuere die nächste Ortschaft an. Das Gewitter kommt schnell näher. Im Westen sieht es schon richtig schwarz aus. 

In einem Heurigen suche ich mit meine Handy nach Unterkünften. Ein Weinviertler am Nachbartisch bietet mir seine Hilfe an: Christian Aufgewekt.  Er telefoniert seine Bekannten nach Zimmern ab, die ich dann anrufe. Aber vergeblich. Wir vergrößern nach und nach den Suchradius. Es fängt inzwischen das Tröpfeln an und der Himmel ist dunkel. Schließlich erreiche ich den Wirt vom JUFA Hotel Weinviertel – Eselsmühle: er hat ein Zimmer für mich. Aber 8 Kilometer weiter weg und ohne Busverbindung! Das schaffe ich nicht ohne vom Gewitter erwischt zu werden. Der Wirt hat eine Lösung und schickt seinen besten Freund Karl mit dem Auto los. Ich verabschiede mich von Christian.

Karl ist 15 Minuten später bei mir. Er hat sogar meine Telefonnummer als Sticker auf der Brust. Kaum sitze ich im Auto erreicht uns das Gewitter. Es blitzt, donnert und regnet. Aber jetzt kann nichts mehr passieren. Wir fahren zur Eselsmühle und Karl erzählt mir, das er Pensionär ist und seitdem Führungen in Weinkellergewölben macht und von Zeit zu Zeit Kochseminare in der Eselsmühle gibt.

Wir erreichen das Hotel rechtzeitig und ich bedanke mich bei Karl und lade ihn auf einen Gespritzten ein. Dann beziehe ich mein Zimmer und mache mich frisch. Um 18 Uhr bin ich beim Essen.

Das Gewitter hat inzwischen Seefeld voll erwischt und es regnet in Strömen. Kaum habe ich das Essen bestellt, muss der Wirt auch schon – mit Wäschesäcken ausgerüstet – verhindern, dass die draußen entstandene Überschwemmung in das das Hotel eindringt. Ich kann Sirenen hören. Nach kurzer Zeit ist die Feuerwehr von Seefeld angerückt und pumpt Das Wasser ab. Ganz schön aufregend! Nach 20 Minuten haben sie das Schlimmste abgepumpt. An der Theke wird dann noch nachgelöscht. Die Feuerwehrleute bleiben noch knapp 2 Stunden vor Ort, da immer wieder mal abgepumpt werden muss. Kurz nach 20 Uhr ist es vorbei. Die Sirenen heulen wieder zur Entwarnung. Später erfahre ich, dass im nahegelegenen Tschechien sogar ein Tornado gewütet hat, der Todesopfer forderte.

Die einzigen Gäste im Hotel außer mir scheinen Arbeiter zu sein, wie im Waldviertel! So auch Benjamin, der als Maschinenbauingenieur arbeitet und eigentlich aus Kärnten kommt. Ich habe in der Zwischenzeit Abendessen bekommen und mich mit Benjamin angefreundet. Wir unterhalten uns angeregt und ich trinke einige Gespritzte.

Mir gefällt es hier gut. Ich lege morgen einen Pausentag ein.

Im Waldviertel entlang der Thaya: Hardegg – Weinstadt Retz

Es ist bewölkt und nieselt ein bisschen, als ich aufbreche. Zuerst mache ich einen kurzen Abstecher auf die Brücke. Diese Brücke gab es während der Zeit des Eisernen Vorhanges nicht. Jetzt ist es eine Fussgängerbrücke und es gibt einen regelmässigen Grenzverkehr. Der Wirt ist z.B. ein gebürtiger Tscheche, der sie täglich benützt.

Die Thaya dampft. An einem Flusspfad entlang wandere ich durch das Naturschutzgebiet. Alles ist ruhig und ich sehe Nebelbänke. Der Weg ist nass vom Regen und glänzt. Gleich am Anfang finde ich riesige Pilze. Es liegt über allem eine sehr romantische Stimmung. Eichendorff hätte sich gefreut. Der Regen hört auf und manchmal muss ich unter umgestürzte Bäume oder darüber klettern. 

Schließlich biege ich rechts ab und es geht steil bergauf. Ich erreiche einen Umschwung. Der Flusslauf der Thaya hat hier viele Schleifen und der Umschwung ist eine kurze aber steile Verbindung zwischen zwei Schleifen. Von dort gibt es einen herrlichen Blick auf eine Thayaschleife.

Auf dem Umschwung

Auf der anderen Seite steige ich bergab und nach kurzer Zeit verlasse ich den Fluß und folge einem Bachlauf. Schade, dass Thayatal hat mir sehr gut gefallen.

Ich wandere den Bachlauf hoch und laufe heute den größten Teil des Weges durch lichten Wald. Nur zweimal kreuze ich eine Straße. Das glatte Gegenteil von gestern. Es ist wieder sonnig geworden und wird dann stechend heiß. Ich bin froh, dass ich die Stadt Retz am Nachmittag erreiche. Edi und Helmut kann ich leider nicht sehen, wahrscheinlich haben sie noch rechtzeitig ihren Bus erreicht und fahren zu ihrem Auto mit dem sie nach Linz fahren wollen. Schade, die beiden Männer sind wirklich lustig und angenehm. Ich hätte sie gerne noch auf einen Gespritzten eingeladen.

Retz hat einen beeindruckenden Hauptplatz, der über 1,6 ha groß ist. Ganz Retz soll mit Weinlagern unterkellert sein. Eine anderthalbstündige Führung bei 12-17 Grad Celsius wird angeboten. Das werde ich morgen vormittag buchen, allein schon wegen der Temperatur. Jetzt aber dauert es mir zu lange und ich fühle mich müde. Am Hauptplatz finde ich ein Gasthaus, in dem ich mich einquartiere.

Im Waldviertel entlang der Thaya: Geras – Hardegg

Es hat in der Nacht stark geregnet und gewittert. Sogar die Frösche aus dem Stiftsweiher haben irgendwann aufgehört zu quaken.

Es ist heute alles schön frisch und kühl. Am Vormittag ist es auch bewölkt und ich starte relativ spät los. Es geht mal wieder über Feldwege und durch die Getreidefelder. Heute fällt mir das Wandern leichter, obwohl ich am linken Fuß inzwischen eine Blase habe.

Zur Mittagszeit erreiche ich Langau. In einem Spargeschäft, das an einem Ausgang ein kleines Kaffeehaus eingerichtet habe, bestelle ich mir etwas zu Trinken. Der kleine Laden ist total voll: zwei Radlerpaare aus der Gegend von Linz, zwei Wanderer und ein Einheimischer. Die Radlerfrauen sind total extrovertiert und involvieren jeden in ein Gespräch. Nach einer kurzen Weile verabschieden sich die zwei Wanderer und ich werde ausgefragt.

Nach der Mittagspause geht es weiter, wieder über Felder, manchmal durch kleine Waldstücke. Heute ist viel mit Autos befahrene Landstraße dabei, das kann ich nicht leiden. Schließlich komme ich an eine Wegmarkierung, die mich verwirrt, da BEIDE Richtungen angezeigt werden. Ich entschließe mich für links und werde belohnt: auf dem Weg liegt ein großer und gut eingewachsener See. Ich kann nicht widerstehen und schon bin ich wieder nackt in einem Naturgewässer. Ich schwimme richtig lang und lass mich anschließend von der Sonne trocknen. Dann nehme ich die Wanderung wieder auf. Ich komme an einem Schild vorbei, in dem das Baden ausdrücklich verboten ist.

Schließlich komme ich wieder an einer ähnlichen verwirrenden Wegmarkierung vorbei, dann verstehe ich! Es hat sich dabei um eine eingebaute Wegschleife gehandelt. Egal. ob ich rechts oder links gegangen wäre, denn E8 hätte ich nicht verpasst. Das einzige, was hätte passieren können, dass ich den See verpasst hätte. Und das hätte ich trotz Badeverbot wirklich schade gefunden.

Es geht weiter durch den Wald und wieder entlang der Landstraße und durch Felder. Besonders fallen mir heute die Feldlerchen auf, die Krach machen für 10. Es ist anscheinend wieder Balz- und Brutzeit. Ich erinnere mich an letztes Jahr. Auf einmal rieche ich Kamille sehr intensiv. Und tatsächlich, anscheinend wird nicht nur Mohn in der Region angebaut, sondern auch Kamille. Ich passiere ein Kamillefeld.

Und schon wieder Landstraße, glücklicherweise nicht stark befahren. Inzwischen sind die Wolken weg und gleich wird es wieder wärmer. Eine nicht endenwollende ansteigende Straße führt schließlich in einen Wald, Ich habe den Thaya-Naturpark erreicht. Auf einmal kriege ich eine Nachricht auf mein Handy: ich sei jetzt in Tschechien. Und tatsächlich hier war die Thaya früher der Grenzfluss zum Warschauer Pakt oder auch der Eiserner Vorhang. Heute gibt es eine Brücke über die Thaya, die direkt auf die tschechische Seite führt. Es geht durch den Wald in Serpentinen abwärts bis zur Thaya. Inzwischen ist es nach 18 Uhr. In dem engen Tal wird es schattig. 

Ich suche mal wieder erfolglos nach einem Quartier für die Nacht. „Wir haben wegen Pandemie geschlossen!“ „Wir haben heute Ruhetag.“ „Wir sind ausgebucht, junger Mann Sie können doch nicht so spät buchen, das geht doch nicht“ Vielen Dank für den jungen Mann, wenn die Frau wüsste, wie alt ich wirklich bin. Ich schaue mir den Friedhof näher an. Es ist heute Abend warm und ich überlege schon, ob ich heute Nacht im Freien schlafe werde. Ich versuche noch mal mein Glück. Und tatsächlich in dem menschenleeren Dorf begegne ich einer tschechischen Blondine auf der Thayabrücke. Sie schickt mich zu einem Gasthof in der Nähe. Als ich ankomme, sehe ich einen halbnackten Wanderer auf dem Balkon stehen, der mir zeigt, wo es reingeht. Ich habe Glück, der Wirt vermietet mir eine Ferienwohnung für die Nacht. Aber es gibt kein Essen mehr. Vom Balkon kriege ich die Einladung zum Essen. Super!

Wie sich herausstellt, sind die Wanderer zu zweit und hatten mich schon Mittags im Kaffeehaus gesehen. Sie heißen Edi und Helmut und sind zwei ehemaligen Kollegen, die jetzt ihren Ruhestand mit Wanderungen verbringen. Edi meint: „Wir ham schon Mittags gewusst, dass wir dich wiedersehen werden.“ Verdutzt frage ich nach dem Warum. Helmut hatte sich schon zwei Tage vorher nach Zimmern in Hardegg erkundigt und wusste damit, dass unserer Gasthof, der einzige war, der noch Zimmer vermietet.

Die beiden haben sich im nahen Bäckerladen gut für ein Abendbrot eingedeckt. Ich werde eingeladen und stifte meine Flasche Mineralwasser und eine Packung Kürbiskerne. Aber vorher werde ich noch um Hilfe gebeten. Die Zimmer haben Badewanne mit Dusche. Aber Helmut – der bereits in der Wanne sitzt – weiß nicht, wie die Dusche angeschaltet wird. So sehe ich bei meiner zweiten Begegnung im Leben Helmut nackt in der Badewanne. Leider finde ich den Mechanismus auch nicht heraus.

Dann essen wir auf dem Balkon. Es gibt verschiedene Brotsorten, Aufschnitt, hartgekochte Eier und Gespritzten Wein. Am Ende werden sogar Quarktaschen (oder Topfengolatschen) serviert. Es ist richtig lustig. Helmut sitzt in Unterhemd und Unterhose und sorgt aufmerksam dafür, dass unsere Gläser nicht leer bleiben. Ich bin ziemlich schnell betrunken. Edi erzählt von der einzigartigen Beziehung zu seiner Tochter und wir unterhalten uns über unsere Töchter, unsere Wandererlebnisse und -begegnungen von heute, welche Route zum Schwarzen Meer für mich die beste sein könnte, warum es immer weniger Weitwanderer gibt und über bulgarische Krankenschwestern in Linz. Es stellt sich heraus, dass beide in der Nähe von Linz leben und dort lange an der Universität im Rechenzentrum gearbeitet haben. Also wieder Linz! Die Stadt und ihre Bewohner und Bewohnerinnen meinen es echt gut mit mir!

Im Waldviertel entlang der Thaya: Eibenstein – Drosendorf – Geras

Ich bin der einzige Gast im Gasthaus. Noch! Schließlich werden ja heute noch die Arbeiter erwartet. Ich bekomme ein gutes Frühstück serviert und die Gastwirte unterhalten sich mit mir. Das nenne ich Individualbetreung.

Dann geht es auch schon los. Nach Eibenstein geht es zuerst durch den Wald und dann über Felder auf Landstraßen nach Autendorf. Alles ist ruhig. Es fängt früh an wieder warm zu werden. Ich bin froh als ich Drosendorf erreiche. Drosendorf liegt direkt an der Thaya auf einem Felsen und war früher ein wichtiger Militärposten der Habsburger. Die mächtigen Mauern kann man heute noch sehen. Es scheint auch nicht besonders oft erobert oder gestürmt worden zu sein. Alle Gebäude innerhalb der Mauern sehen alt, aber gut erhalten aus. Ich hole mir Bargeld und lasse mir ein Kaffeehaus empfehlen. Das Mohnkaffeehaus ist dann allerdings eine positive Entdeckung. Seit 1840 gegründet und immer noch in Familienbesitz. Es gibt viele unterschiedliche Arten von Mohnkuchen bzw. -torten. Der Gastraum wurde – wahrscheinlich als Folge von Corona – als Verkaufsraum für alle möglichen Spezialitäten aus dem Waldviertel oder der Trivialistik genützt. Seinen Kaffee nimmt man auf der Veranda zum Hauptplatz ein. Ein sehr schönes Rathaus fällt mir auf und ich sehe wie die Schwalben dort zur Haupttür rein und raus fliegen. 

Dann ziehe ich weiter. Es wird schwül und es geht meistens über schattenlose Felder. Gewittertierchen versuchen mich immer wieder zu stechen. Ich spraye mich mit Autan ein. Endlich tauchen ein paar Wolken auf. Ich komme an einem Mohnfeld vorbei. Wirklich beeindruckend groß. Die Wolken werden dunkler. Weit entfernt höre ich das erste Donnergrollen. Ich fange an, mich zu beeilen. Mir fällt die Geschichte von dem Mann ein, der mehrfach vom Blitz getroffen wurde und es jedes Mal überlebt hatte. Er konnte sogar einen Schuh zeigen, der an der Spitze offen und verbrannt war. Ich möchte nicht vom Gewitter erreicht werden, um das auszuprobieren. Das Donnern wird stärker und ich sehe die ersten Blitze, ein kühler Wind kommt auf. Endlich erreiche ich Geras und nehme den ersten Gasthof. Gerade noch rechtzeitig: 15 Minuten später ist das Gewitter mit starkem Regen da. Der Gasthof sieht ziemlich vornehm aus und so sind auch die Preise. Ein bisschen kann ich runterhandeln. Es gibt eine Sauna und ich beschließe es mir heute gut gehen zu lassen. Vor ein paar Tagen ist entdeckt worden, dass ich 100 € zu viel für eine Rechnung bezahlt hatte. Das Geld wird mir jetzt zurücküberwiesen. Und – schwupp – schon ist es wieder weg. So schnell geht das.

Der Kellner klärt mich dann wegen dem Mohn auf. Es ist die typische Spezialität der Gegend und wird hier überall angebaut und in der Küche sehr gerne verwendet.

Im Waldviertel entlang der Thaya: Liebnitzmühle – Raabs – Eibenstein

Heute bin ich das bisher schönste Stück direkt an der Thaya gewandert. Alles ist ganz ruhig, die Luft ist frisch und immer wieder läuft der Weg direkt an der Thaya entlang, die gemächlich mit grün-brauner Farbe fließt. Ich kann Fischreiher sehen. Im Wald treffe ich einen Pilzsammler, der mir stolz seine Beute zeigt.

Ich erreiche Raabs, das eine gut erhaltene Altstadt und eine imponierende Burg hat. Hier fließen die österreichische und die böhmische Thaya zusammen. Auf dem Hauptplatz setze ich mich in einen Gasthof und esse ein Eis. Am Tisch nebenan treffen sich die Senioren der Stadt zum Kartenspielen: 3 spielen, 7 gucken zu und kommentieren von Zeit zu Zeit das Spiel.

Tha

Dann geht es schon weiter das Thayatal flussabwärts. Die Ufer sind hier relativ steil und hoch. So kommt es, dass es ständig steil bergauf und bergab geht. Ich komme ordentlich ins Schwitzen. Es ist wie ein Intervalltraining: bergauf geht es voll auf den Kreislauf und bergab ist dann die Entspannungsphase und es kommt mehr auf Geschicklichkeit an, da der Weg oft schmal und steil ist.

Ich passiere die Böhmische Mauer und erreiche eine Burgruine. Hier hole ich mir wieder etwas zu trinken. Ein paar Familien sind auch anwesend, es sind Sontagsausflügler. Von der Ruine geht es nach Kalmützgraben wieder an die Thaya runter.

Es ist inzwischen Mittag geworden und richtig heiß. Ich beschließe eine Mittagsrast einzulegen. An einem Plätzchen direkt am Weg halte ich. Ich habe seit Stunden niemanden gesehen und beschließe nackt in der Thaya mich abzukühlen. Hier ist der Fluß schneller und sehr flach. Zum Schwimmen reicht es leider nicht, aber ich kann mich abkühlen. Dann lege ich mich in den Schatten und schlafe ein. Ich werde von Stichen der Bremsen geweckt. Verflixte Biester, ich hatte gerade so schön geschlafen. Es ist inzwischen Nachmittag und ich wandere weiter: hoch und runter. Inzwischen ist es ein bisschen bewölkt und ich nehme jeden Schatten dankbar an.

Schließlich komme ich nach Eibenstein. Hier finde ich auch gleich eine Unterkunft. Die Wirtin Monika lacht und sagt, dass ich Glück gehabt hätte. Morgen seien alle Zimmer mit Arbeitern ausgebucht. Im Waldviertel scheint es so viel Arbeit zu geben, dass die Einheimischen nicht ausreichen und ständig irgendwelche Arbeitertruppen von auswärts mithelfen müssen. Die Pension hat nicht nur schöne Zimmer, sondern auch eine Liegewiese mit Zugang zum Fluß. Und schon wieder bin ich im Fluss baden. Für meinen Geschmack ist das Wasser schon ein bisschen zu warm. Die Farbe ist dunkelgrün und braun. Ich schwimme immer wieder ein Stück flussaufwärts und lasse mich dann auf dem Rücken wieder runtertreiben mit geschlossenen Augen. In der USA hatten sie so etwas den „Lazy River“ genannt. Zu weit darf ich mich allerdings nicht treiben lassen, weil dann ein Wehr kommt. Beim Raussteigen schlage ich mir den großen Zeh an einem unter der Wasseroberfläche liegenden. Stein blutig. Das Wasser ist fast undurchdringlich.

Erfrischt bekomme ich um 19 Uhr ein warmes Essen. Alles hausgemacht und von guter Qualität. Die Wirtin Monika ist freundlich und zuvorkommend. Ich trinke zwei Radler. An so einem heißen Sommertag schmeckt mir das. Danach bin ich müde und gehe in mein Zimmer. Dort stelle ich fest, dass ich mein Messer in der Liebnitzmühle vergessen habe. Naja, jetzt habe ich noch einen Grund mehr, da mal wieder vorbeizukommen.

Im Waldviertel: Dobersberg – Karsten – Liebnitzmühle

Es verspricht heute sehr warm zu werden. Ich breche um 7 Uhr früh auf und muss nach 10 Minuten entnervt wieder umkehren. Habe ich tatsächlich eine Wegmarkierung übersehen? 10 Minuten später bin ich schlauer: die Wegmarkierung nebst Pfosten wurde abmontiert und ins hohe Gras geworfen. Ich ärgere mich über den Vandalismus, der mich 20 Minuten gekostet hat.

Ab dann kann ich wieder dem gut ausgeschilderten Weg folgen. Anfangs sehe ich einige Feldhasen und auch eine Ricke mit ihrem Kitz, die in hohen Sprüngen vor mir durch die Felder davon hüpfen. Insbesondere die Rehe erinnern mich so an die afrikanischen Antilopen. Es geht zuerst durch ein paar kleinere Dörfer und immer auf Landstraßen. Es fängt an richtig heiß zu werden. Eine Bäuerin, die auf dem Feld arbeitet, grüßt mich und beschließt, dass es heute zu warm sei, um weiterzumachen.

Zwei Wegstücke sind nicht so gut markiert. Dichter Brennnessel-, Brombeeren- und Springkrautbewuchs haben ein undurchdringliches Dickicht entstehen lassen. Fast hätte ich die Abzweige übersehen. Aber heute war schon jemand vor mir da und hat eine klar erkennbare Spur hinterlassen: das Großelternpaar aus dem österreichischen Rohrbach. Dankbar nehme ich den gebahnten Weg auf, ich kann sogar sehen, wo die Teleskopstöcke den Boden getroffen haben. Mit Sympathie denke ich an die beiden. Trotz der Bahnung werde ich immer wieder von Brennnesseln getroffen, so dass ich am Ende an allen freien Hautstellen rote Bläschen habe. Auch mein rechtes Auge hat etwas abbekommen und schwillt leicht an.

Im Ort Karlstein kaufe ich mir etwas zum Trinken im Supermarkt und mache Pause. Dann geht es wieder auf die Landstraße und durch das Dickicht. Immer wieder wechsle ich die Flußseite, es ist ein ständiges Auf und Ab. Endlich komme ich in Liebnitz an und erreiche die Liebnitzmühle. In einer Wohnanlage wohnt meine Kollegin mit ihrer dreijährigen Tochter, die gerade ihren Mittagsschlaf hält.

Wir begrüßen uns herzlich und ich staune, wie sie sich schon rein äusserlich verändert hat. Dann gibt es Wasser und Kaffee zu trinken. Wir nutzen die Zeit,  solange die Kleine schläft, und tauschen uns aus, was in den letzten 4 Jahren wichtiges im Leben des anderen passiert ist. Auch dem Zufall zollen wir Beifall: dass sie im letzten Jahr von Wien genau hierher gezogen ist nur 200 Meter vom E8 entfernt und genau heute auch Zeit für mich hat. In den nächsten Tagen fährt sie mit ihrer Tochter für drei Wochen weg.

Als die Tochter wach wird, gehen wir zusammen an die Thaya. Die Bewohner haben ein Floß gebaut und an einem über die Thaya gespannten Tau befestigt. Das finde ich natürlich als alter Wassermann toll! Ein Paar schwimmt bereits im Fluß. Wir steigen auf das Floß und bald unterhalten wir uns mit dem Paar. Ich kann nicht widerstehen und nach kurzer Rückfrage springe ich nackt in die Thaya. Das Wasser ist an der Oberfläche warm und erst tiefer erfrischend kalt. Wie schön ist doch Flussschwimmen. Die Thaya fließt hier sehr langsam und es ist gar kein Problem auch gegen den Strom zu schwimmen.

Später zeigt mir meine Kollegin ein kühles Gästezimmer. Super! Die Kleine und ich spielen dann ihr Lieblingsspiel Toitoi und später muss ich dann noch Bilder von meinem Handy zeigen. Am meisten interessieren sie die Tierfotos, wie Enten, Katzen und Hunde. Sie hat süsse Locken und ist total herzig, auch zeigt sie viel Geduld mit mir, wenn ich schon wieder schreckhaft zusammenzucken, wenn aus dem Spiel das Geräusch von fallenden Konservendosen ertönt.

Als wir hungrig werden, fahren wir mit dem Auto nach Raabs zum Essen. In einem schattigen Biergarten bestellen wir dann lokale Gerichte. Aber erzählen ist natürlich noch viel interessanter: Gruppendynamik ist das Hauptthema, dann Zukunftspläne. Zu meiner Überraschung kommt dann auch noch das Thema Kryptowährungen auf. 

Beim Essen mache ich dann eine unangenehme Überraschung: 2 Schrottkugeln haben den Weg in mein Essen gefunden und ich merke es erst als ich draufbeiße. Nach einer Reklamation bekommen wir dann die Desserts auf Kosten des Hauses. Wieder zurückgekehrt, sitzen wir noch mit ein paar sehr netten Hausbewohnern und Gästen (auch das Paar vom Fluß ist dabei) auf der Veranda und unterhalten uns bei Aperol Spritz und Bier über alles mögliche (leider auch wieder – aber nur kurz – über Kryptowährungen.) Es ist ein harmonischer Tagesausklang in einer idyllische Anlage mit Blick auf die Thaya. Hier lässt es sich aushalten!

Beim Zubettgehen entdecke ich, dass ich einen Sonnenbrand bekommen habe.

Im Waldviertel: Schrems – Waidhofen an der Thaya – Dobersberg

Ich sitze am Frühstückstisch in der Gesellschaft der Intensivjodlerinnen und lerne dabei einiges über die Kunst des Jodeln. U.a. dass eine gute Sängerin nicht unbedingt eine gute Jodlerin abgibt und dass sich gute Jodlerinnen auf der einen Seite sehr auf sich selber fokussieren müssen, aber auf der anderen Seite sich stimmlich zueinander bewegen, um einen gemeinsamen Klangteppich zu weben. Heidi, die Jodellehrerin ist nicht nur pädagogisch bezüglich der Musik aktiv, sondern auch ein Vorbild für die Emanzipation von Ansprüchen. Der Titel Jodeldifrei hat also auch eine lebensphilosophische Dimension.  Die Jodlerinnen haben mich in ihrer Tischgemeinschaft aufgenommen und ich habe richtig viel Freude an den gemeinsamen Gesprächen.

Schrems hat mich am Ende dann doch positiv überrascht. Anfangs dachte ich noch, was für ein elender und unfreundlicher Ort. Aber jetzt habe ich das städtische Moorschwimmbad erlebt, das ich von der Anlage, Großzügigkeit und Architektur für das gelungenste Moorbad halte, das ich jemals besucht habe. Und der Eintritt ist frei! Schrems hat ein eigenes Theater und Kunstmuseum (ein Grieche hatte sich vor Jahrzehnten ins Waldviertel verirrt, ist in Schrems hängengeblieben und hat ein Kunstmuseum und Skulturenpark in die Welt gebracht) und dann natürlich die GEA. Die GEA stellt Möbel, Matratzen und Schuhe her, die fast unverwüstlich sind. Ich hatte am Vormittag mir den Verkaufsraum (das hölzerne Rondell) angeschaut und dann gleich 2 Paar Schuhe (die berühmten „Waldviertler“ gekauft. Die Schuhe werden jetzt an meine Heimatadresse gesandt. Ich hatte sogar das Vergnügen die Lokalprominenz Heini Staudinger kennenzulernen, der der Spiritus Rektor der GEA und in ganz Österreich bekannt ist. Also Schrems ist definitiv einen Abstecher wert, aber man sollte sich dafür dann auch Zeit nehmen.

Gundi hat mich überzeugt, nicht über Heidenreichstein zu wandern, sondern gleich in das Thayatal zu gehen. Ich nehme den Bus von Schrems nach Waidhofen an der Thaya und starte die heutige Wanderung am Hauptplatz der gut erhaltenen Stadt. Der Wanderweg ist hervorragend ausgeschildert und ich komme gut voran. Durch die Stadt, an einer Straße entlang und dann direkt an den Fluß Thaya. 

Eine der Jodlerinnen hat mir erzählt, dass die Thaya während des Kalten Krieges der Grenzfluss zur Tschechoslowakei war und man immer noch Grenzmarken sehen könne. Durch die abgeschiedene Lage gäbe es dort sogar Fischadler. Ich bin gespannt, wildlebende Fischadler habe ich noch nie gesehen.

Die Thaya

Heute ist es warm. Ich habe glücklicherweise die Sonne im Rücken und es geht eine frische Brise. Der Weg führt durch Dörfer und kleine Städte an Feldern vorbei und leider auch teilweise auf von Autos befahrenen Landstraßen. Die dunklen Straßen sind von der Sonne aufgeheizt und die Autofahrer anscheinend keine Wanderer gewöhnt. Immer wieder weichen sie mir erst im letzten Moment aus. Es ist warm und ich schwitze ordentlich. Immer wieder mache ich eine Trinkpause. Das Wandern selber geht gut. Der neue Hüftschwung ist weniger anstrengend und ich bin lockerer in den Oberschenkeln. Das Knie tut fast nicht mehr weh. 

Endlich von der Straße weg und es geht durch einen Naturpark, der teilweise bewaldet ist. Bisher habe ich kaum Menschen gesehen auf dem Wanderweg, einmal werde ich von einem Radfahrerpaar überholt. Dafür sehe ich Wildtiere: einen Feldhasen, ein Fasanenpaar, den Kuckuck kann man gut hören und fast hätte ich eine Kreuzspinne über den Haufen gerannt, die ihr Netz über den Weg spannte. Der Weg ist auch wieder fast zugewachsen und macht den Eindruck, dass hier schon einige ZEIT kein Mensch mehr durchgelaufen ist. An einem Skilift habe ich einen guten Blick auf Dobersberg meinem heutigen Etappenziel. Es geht an einem Saugatter entlang bergab. Es lässt sich keine Sau sehen. Denen ist es bestimmt auch zu warm. 

Kreuzspinne

Kurz vor Dobersberg mache ich Halt und überlege, welchen Gasthof ich zuerst anvisieren soll. Da taucht ein Wandererpaar hinter mir auf. Beide tragen das gleiche leuchtende T-Shirt, nutzen intensiv ihre Teleskopstöcke und sind gut verschwitzt. Beide sehen aus, als ob sie nicht nur Tageswanderer sind und ich spreche sie an. Seit langem endlich mal wieder Mehrtageswanderer. Ich frage nach, ob sie einen Quartiervorschlag für Dobersberg hätten. Sie kennen sich auch nicht aus, aber haben ein Übernachtungspackage gebucht und nennen mir ihr Quartier für Dobersberg. Ich beschließe dort auch hinzugehen.

Nach 15 Minuten bin ich am Gasthof und bekomme auch ein günstiges, einfaches Zimmer. Ich dusche und rufe dann eine Kollegin an, mit der ich mich morgen in Liebnitzmühle an der Thaya treffen möchte. Wunderbar, sie hat Zeit und freut sich, auch ein Gästezimmer kann sie mir versprechen, da der lokale Gasthof leider ausgebucht ist.

Im Gasthof treffe ich das Radlerpaar wieder, die mich begeistert begrüßen. Das ist mir auch noch nicht passiert, dass die einzigen Radler, die mich heute überholt haben, in der gleichen Kneipe ihr Tagesziel haben und sich auch noch freuen, mich zu sehen. Ich treffe auch das Wandererpaar wieder und wir essen gemeinsam zu Abend. Es wird ein sehr schöner Austausch, da beide auch Wanderfreunde sind. Zum ersten Mal kann ich mich mit jemanden über die Strecke unterhalten, die ich gerade gewandert habe. Sie waren den ganzen Tag seit Waidhofen hinter mir und haben sogar meine Fusspuren im Gras gesehen. So haben wir uns dann gegenseitig noch auf Dinge aufmerksam machen können. Ich hatte z.B. in einer kleinen Kapelle am Weg Gebeine gesehen, sie hatte eine Haselnussplantage besonders interessant gefunden und er hatte eine Stelle im Wald, die nach Weihrauch geduftet hat. Schade, dass ich so etwas nicht öfters teilen kann. Beide sind seit 43 Jahren miteinander verheiratet und haben 8 Enkelkinder, für die sie jetzt ein Baumhaus bauen. Da werde ich schon ein bisschen neidisch, da die beiden sich offensichtlich gut verstehen und ergänzen. 

Morgen starten die beiden schon um 5 Uhr morgens. Da sie schneller sind als ich, werde ich dann wohl derjenige sein, der ihre Spuren im Gras entdecken kann ….

Back on the Trail: Bad Kreuznach – Linz – Gmünd – Schrems

Ich fühle mich wohl: Ich sitze oder liege in einem schattigen blumenbewachsenen Hinterhof mit Blick auf ein hölzernes Rondell der GEA und höre die Klänge des Jodel-Intensivseminars Jodldifrei von Heidi Clementi. 

Innenhof bei GEA in Schremps: für Ton bitte auf das Bild klicken

Wie bin ich hierher gekommen? Letzte Woche war ich noch in Bad Kreuznach und war am Überlegen, ob ich wieder wandern gehen kann. Meine seltsame letztjährige Krankheit hatte sich pünktlich zum Jahrestag wieder gemeldet und war an 6-7 Stellen an den Armen wieder aufgebrochen. Mein rechtes Knie hat überraschenderweise stark geschmerzt, wahrscheinlich eine Reaktion auf meinen neuen Hüftschwung. Vor einem Monat hat mein Orthopäde mir eine beidseitige Coxathrose (Hüfte) bestätigt und meine Patentochter, die Osteopathin ist, hat mir empfohlen mein Gangbild zu verändern. Das habe ich getan. Etwas zwischen Marilyn Monroe und John Wayne ist das erklärte Ziel und ich gehe inzwischen tatsächlich mit mehr Hüftschwung. Nur das linke Knie schmerzt seitdem …

Aber ich lebe nur einmal und Corona war jetzt auch lange genug. Am Montag bin ich schließlich in aller Frühe aufgebrochen und mit dem Zug nach Linz gefahren, wo ich letztes Jahr meine Wanderung unterbrechen musste. Ein Wiener Freund hatte mich gefragt: „Bist deppert? Was willstn in Linz??! Da is doch garnix!“ Der verständliche Irrtum eines Wiener Weltstädters, der in Wien den Nabel der Welt vermutet. 

Ich erlebe das anders. Linz hat mich mit offenen Armen empfangen: In meinem Lieblingscafé Cup of Soul wurde ich sofort wiedererkannt, herzlich begrüßt und bewirtet. Iris, die Chefin hat ein besonderes Gespür für die kleinen Details, die das Leben schöner machen, ihr kleiner Hund ist quasi das Schmusetier für alle Gäste und die barfüssige Andrea flitzt mit viel guter Laune hin und her und schaut, das jeder Gast gut versorgt ist. Das Angebot ist originell, da klassische Kaffeehausprodukte mit CBD und Hanfprodukten originell und schmackhaft kombiniert werden. Ich werde gerne wiederkommen. 

Andere Erlebnisse will ich nur kurz auflisten: Mit einer bulgarischen attraktiven Krankenschwester habe ich mich sehr gut über ihre Deutschlanderfahrungen ausgetauscht. In der Institution Ars Electronica habe ich den Linzer Bürgermeister bei einer Eröffnung einer neuen Ausstellung bewundern dürfen. Dem Paradies bin ich in der Ausstellung „Höhenrausch“ näher gekommen und hatte dort einen sensationellen Blick auf die Linzer Stadt und einem künstlichen Tiefnebel. Last but not least habe ich mit dem jüngsten Professor Österreichs auf einem lauschigen Platz in der Linzer Innenstadt zu Abend gegessen und über die Zukunft der Gruppendynamik diskutiert bis das Restaurant schließen musste. Es war einfach herrlich!

Aber eigentlich will ich ja wandern und am Mittwoch bin ich dann mit dem Bus nach Gmünd zum E8 gefahren. Gmünd ist eine Stadt im Waldviertel. Das Waldviertel ist eine karge Gegend mit viel Wald, Mooren und Steinen. Die Waldviertler sind bekannt dafür, dass sie harte Arbeiter sind, die der kargen Natur hier in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt abgetrotzt haben. Die Waldviertler sind eher nicht für ihren Humor bekannt. Das habe ich dann auf der Suche nach dem Weg gemerkt. Als ich ein Paar fragte, ob ich stören darf, um mich nach dem richtigen Weg zu erkundigen, bekam ich als Antwort ein schlichtes „Nein“.  Von der unterschiedlich erlebten Gastlichkeit der Waldviertler später noch mehr.

Es gibt hier viele Teiche und kleine Seen und in der Nähe eines Teichkettenrundweges fand ich dann schließlich den E8. Ausreichend ausgeschildert konnte ich mein Handy ausschalten und einfach den Markierungen folgen. Zuerst ging es durch den Malerwinkel, kurz einen Fluß (Braunau) entlang und dann auf die Blockheide. Ein wunderschönes Fleckchen Erde mit vielen granitenen Findlingen, Seen, Wald und einem Aussichtsturm, wo ich mir ein Eis gekauft habe. Auf dem E8 bin ich dann wieder alleine. Es geht durch einen aufgelockerten Nadelwald, mit ein paar Laubbäumen dazwischen. 

Inzwischen geht es auf den Abend zu und ich beschließe mal wieder eine Unterkunft zu suchen. In dem Dorf Eugenia gehe ich vom E8 ab. Laut den Wegweisern soll es hier Übernachtungsmöglichkeiten geben.  In der ersten winzigen Gasstätte: „Es tut uns leid, aber alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt und zu Essen haben wir auch nichts“. In der zweiten Gaststätten (auch sehr einfach aber ein bisschen größer): „Wir haben nix frei, alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt. Aber 2,5 km weiter da gibts einen Gasthof, der hat mehr Zimmer“. Nach 2,5 km komme ich nach Schrems zu dem Gasthof, der sieht schon wesentlich besser und größer aus. Aber: „Wie lange wollen Sie bleiben? Eine Nacht? Da muss i mal fragen. …. Also alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt. Und jetzt können Sie bitte auch schon weitergehen“ Wow, dachte ich mir, habe ich das jetzt richtig gehört? Wo bleibt die österreichische Höflichkeit und der berühmte Charme? Auf dem Hauptplatz finde ich dann ein noch größeres und schöneres Hotel, das allerdings ein bisschen verlassen wirkt. Im Hotel treffe ich auf drei junge Menschen, die ich nach einem Zimmer frage. Die drei sind Berufsschüler, die hier einquartiert wurden, wer die Zimmer vergibt, wissen sie nicht, aber eine Telefonnummer haben sie für mich. Ich rufe an. Die erste freundliche Stimme des Tages meldet sich. „Hallo hier spricht die Marianne. Aber gerne können Sie bei uns übernachten. Kommen Sie doch zu unserer Hauptstelle, da ist es schöner und etwas zu essen haben wir auch für Sie“. Wunderbar, denke ich mir und stelle mir vor, heute nacht in einem Ausbildungsheim für Berufsschüler zu übernachten. Das kann ja auch ganz interessant werden…

Schließlich erreiche ich kurz vor 19 Uhr die Adresse. Komisch, alles scheint geschlossen zu sein. Der Personaleingang ist zu, der Lieferanteneingang ist dicht, ein seltsames Holzrondell scheint eine Art Verkaufsraum für Schuhe und Möbel zu sein. Vielleicht von den Berufsschülern? Aber auch geschlossen. Ich rufe noch einmal Marianne an. Marianne hilft mir wieder sehr freundlich: „Einfach weitergehen, dann kommen Sie auf einen Hinterhof“ Bei der Erklärung gehe ich mit dem Handy in der Hand gleich weiter. Tatsächlich ein schön bewachsener Hinterhof erscheint. „Sehen Sie die Frauen auf der Veranda? Dann sehen Sie auch gleich mich!“ Und tatsächlich, ich kann die Frauen erkennen und dann eine Gestalt, die aus dem Gebäude heraus winkend erscheint. Marianne. Zufrieden komme ich näher und begrüße sie. Dann bemerke ich, dass ich die Neugierde der Frauen auf der Veranda auch auf mich gezogen habe. Zwei gucken mich interessiert an, die ältere schaut mich mit weitaufgerissenen Augen sehr intensiv an. Ich schaue intensiv zurück. Sie kommt mir sehr bekannt vor. Aber das kann eigentlich nicht sein. Ich komme ein Stück näher. Wir schauen uns immer noch direkt an. Kann das …, aber nein das gibt es doch nicht. Schließlich erlöst sie uns und sagt: „Martin?“

Und ich antworte: „Gundi?!“ Gundi und ich kennen uns schon seit Jahren, aber immer nur per Telefon oder Zoom. Seit Corona treffen wir uns sogar regelmässig via Zoom, da wir beide zu einer experimentellen T-Gruppe der ÖGGO gehören. Gerade letzten Samstag hatten wir noch ein längeres Treffen gehabt und jetzt treffen wir uns ZUFÄLLIG im Waldviertel. Wir freuen uns total und klären die anwesenden Damen auf, die schon ein bisschen eifersüchtig und befremdet waren, dass ich ihnen so gar keine Beachtung geschenkt habe. Gundi und ich erleben uns zum ersten Mal dreidimensional und sind überrascht über den anderen Eindruck voneinander: farbiger, jünger… Wir freuen uns total!

Gundi ist im Waldviertel um mit anderen Frauen an einem Jodelseminar teilzunehmen. Ich beschließe den Ruf (bzw. das Jodeln) des Universums zu hören und einen Tag in Schremps zu bleiben. Zudem stellt sich heraus, das ich bei einer sehr interessanten karitativen Organisation Herberge gefunden habe: GEA steht für „Gast Auf Erden“ und hat in Österreich und Deutschland Niederlassungen. Es gibt also heute noch einiges zu entdecken neben dem bekannten Moor- und Naturbädern, die ich natürlich auch besuchen werde.