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Vom Mühlviertel an die Donau: Waxenberg – Sankt Veit – Linz

Direkt nach dem Frühstück unternehme ich einen Abstecher auf die Burgruine Waxenberg. Die Gemeinde Waxenberg hat die Burgruine instand gesetzt und den Burgturm begehbar renoviert, zusätzliche „Kunstwerke“ erweitern den Gesamteindruck.

Ich besteige den Turm und als ich oben angekommen bin, stehe ich inmitten einer Hochzeitsfeier von Einheimischen! Es ist so voll, dass ich zeitweise das wirklich tolle Panorama nicht sehen kann. Die Hochzeitsgäste sind alle aufgeregt und schwirren nur so umeinander. Ich merke auch schnell, dass ich nicht erwünscht bin und nach 10 Minuten verlasse ich den Turm und warne nach mir Kommende.

Der Wirt meiner letzten Herberge klärt mich auf und erzählt mir, dass immer wieder Ameisenhochzeiten sich auf dem Turm versammeln und keiner dieses Phänomen erklären kann. Es sind tausende von geflügelten Ameisen, die dort umherfliegen und mir ständig in die Augen geflogen sind oder sich auf meine Haut gesetzt haben. Die Ameisensäure ist nur leicht zu spüren gewesen, aber bei sovielen Ameisen ist es dann doch unangenehm. Ich bin beeindruckt von diesem Naturphänomen und rätsle, warum die Tiere sich den hohen Turm ausgesucht haben.

Ich wandere von Waxenberg nach Sant Veit. Einmal vom Berg runter, durch das Tal und auf die andere Seite wieder hoch. Sankt Veit liegt auch auf einem Berg. Positiv habe ich bisher erlebt, wie gut die ländliche Infrastruktur im Mühlviertel ist. Fast jedes Dorf hat einen Sparladen und andere Geschäfte. Auch Bushaltestellen mit stündlichen Abfahrten ist hier eine Selbstverständlichkeit.

Ich habe heute morgen auf die Wettervorhersage geguckt. Heute soll der letzte sonnige Tag für eine ganze Weile zu sein. Ich beschließe, die guten Busverbindungen zu nutzen und fahre mit dem Bus nach Linz, um einen Pausentag zu machen. In Linz, der drittgrößten Stadt in Österreich, habe ich einen schönen Tag mit vielen und intensiven Begegnungen. Ich lerne z.B. eine Maniküre/Pediküre kennen, mit der ich einen Gin Tonic trinke gehe und mich sehr gut unterhalten kann. Sie war in ihrer Jugend Profihandballerin gewesen und hat eine Menge skurriler Kunden, von denen sie mir lustige Geschichten erzählt.

Dieser Eintrag kommt mit Verspätung. Bitte entschuldigt. Der Grund ist der folgende: Am Donnerstagmorgen erhalte ich eine WhatsApp Nachricht. Meine Tante, mit der ich in einer Wohngemeinschaft lebe, hatte gestern einen Verkehrsunfall und liegt seitdem im Krankenhaus. Ich beschließe meine Tour zu unterbrechen und morgen nach Bad Kreuznach zurückzukehren, so dass ich mich um sie kümmern kann bis sie wieder fit ist.

Am Freitag bin ich mit dem Zug von Linz nach Bad Kreuznach gefahren. Meine Tante habe ich im Diakoniekrankenhaus besucht. Sie ist aktuell schmerzfrei und wird wahrscheinlich am Montag entlassen werden. Ich soll euch alle schön grüßen und für die vielen guten Wünsche danken!

Im Mühlviertel: Sankt Peter – Waxenberg

Sankt Peter am Wimberg im Mühlviertel

Heute ist wieder schönstes Wanderwetter! Bei Sankt Peter geht es direkt auf einen Wanderweg, der durch sattgrüne Wiesen führt. Die meisten Wiesen hier werden gerade geheut. Manchmal ist die Wiese schon fertig abgeerntet, dann liegt das Gras gemäht am Boden und trocknet zu Heu oder ein Bauer mäht die Wiese und es riecht nach frisch gemähten Gras. Olfaktorisch ist das ein echter Traum!

Mir begegnet eine Wandergruppe aus österreichischen Damen. Sie haben leider keine Zeit für ein Gespräch und sind schnell unterwegs. Sie wandern den Granitweg. Die hauptsächliche zugrundeliegende Gesteinsart im Mühlviertel ist Granit. Oft kann ich Granitbrocken liegen sehen. Die Damen sind alle mit Teleskopstöcken ausgerüstet. Vielleicht sind sie ja deswegen so schnell.

Ich merke heute, dass ich im Kopf müde werde. Das Wandern läuft dann fast wie von selbst (insbesondere da ich ja jetzt digitale Unterstützung habe) und ich denke an alles mögliche.

Einmal führt mich die Wanderapp mitten durch die Wildnis, um mir nach einer halben Stunde zuzurufen: „Der Weg liegt 150 Meter links von dir!“. Die Warnung hätte ich vor dreissig Minuten gebraucht. Ich schlage mich links durch Wald und Wiese und tatsächlich ich bin in kurzer Zeit wieder auf dem offiziellen Wanderweg.

Mittags mache ich Pause und lege mich auf eine Wiese im Schatten von zwei Birken. Ich bin in einer Bilderbuchlandschaft: Die Sonne scheint, ein lauer Wind sorgt für Abkühlung, saftig grüne Wiesen, idyllisch gelegene Dörfer mit großen und neuen Häusern, tollen Gärten; sogar die Rindviecher, denen ich heute begegnet bin, wirken glücklich. Kein Wunder: sie dürfen ihre Hörner tragen, Muttertiere zusammen mit ihren Kälbern oder Schumpen sind auf einer großen Wiese mit Bach und – ich glaube ich träume – ich sehe sogar einen Stier! Die Kühe hier müssen nicht auf die künstliche Befruchtung durch den Tierarzt warten, wenn sie Nachwuchs haben wollen. Die Weiden erinnern mich an das Oberallgäu. Kaum habe ich das gedacht, entdecke ich sogar Silberdisteln.

Am Nachmittag erreiche ich Waxenberg. Auf dem Berg steht eine Burgruine. Die Herberge ist heute vom gehobenen Niveau, aber ich habe im Umkreis von 8 Kilometern nichts freies oder geöffnetes gefunden. Einige Herbergen machen jetzt ihren Betriebsurlaub, da in Österreich heute die Schulen wieder angefangen haben. Mein Zimmer hat sogar eine Badewanne! Seit letztem Jahr lebe ich in Bad Kreuznach bei meiner Tante in einer Wohnung ohne Badewanne. Früher habe ich in Wohnungen mit Badewanne gelebt und das vielleicht zwei oder dreimal im Jahr genutzt. Jetzt wo ich keine Badewanne mehr zur Verfügung habe, ist es für mich Luxus pur. Ich lasse mir als erstes eine Badewanne ein. Mir fällt ein, dass ich nicht nach dem Preis gefragt habe, und befürchte billig wird es nicht. Aber den Gedanken schieb ich auf morgen und lege mich in die Wanne.

Burgruine Waxenburg von meinem Zimmer aus

Mir geht es gut.

Im Mühlviertel: Neufelden – Sankt Peter am Wimberg

Neufelden hat eine gut erhaltene Altstadt. Bevor ich mich auf den E8 mache, schaue ich mir die gut erhaltenen Häuser am Marktplatz und der Hauptstraße an. Dann geht es runter an die Große Mühl. Zuerst am Stausee entlang und dann am Fluß. Es ist alles ruhig und idylisch, nur 2 Rentner machen ihre Kajaks fertig, um auf dem Stausee ein bisschen zu paddeln. Nach ein paar Kilometern treffe ich auf eine Wallfahrtskapelle, die 150 Meter abseits vom Weg liegt. Ganz idyllisch im Wald. Das Augenbründle spendet „heiliges Wasser“, das angeblich Augenleiden heilen soll. Ich trinke das heilige Wasser und es schmeckt gut. Die Kapelle ist der Heiligen Maria gewidmet. Im Gästebuch erkenne ich, dass ich nicht der erste Besucher heute bin. Direkt vor mir war eine Gruppe, die sich auf einen „buen camino“ befindet.

Der E8 folgt dem Mühlvierteler Mittellandweg (150), der immer mal wieder markiert ist und mir Orientierung gibt.

Es geht weiter die Große Mühl hoch. Heute ist schönstes Wanderwetter und das Wandern auf dem Weg direkt am Fluß macht richtig Lust. Bei einem Wasserwerk führt eine Brücke über den Fluß. Hier kann ich gut die Gleise sehen. Es fährt eine Bummellok im Tal hoch runter und das regelmässig! Passanten werden durch eine Zugpfeife gewarnt, wenn sie die Gleise überqueren. Nach sieben Kilometern erreiche ich den Punkt, an dem ich die Große Mühl verlasse und den Iglbach weiter hochwandere. Aber jetzt mache ich erst einmal Rast. Ich setze mich ans Wehr, ziehe meine Schuhe und Socken aus und halte meine Füße in das kalte Wasser. Ach, ist das schön! Ich esse noch einen Apfel und ein paar Minikekse.

Ich wandere den Iglbach hoch, der um einiges kleiner ist als die Große Mühl und durch dichten Wald führt. Der Weg ist steil und ich werde langsamer. Als ich den Wald verlasse, komme ich auf einen Hof zu. Der Hof faszniniert mich auf den ersten Blick: es ist eine riesige Ansammlung von Gerätschaften, Maschinen und sogar Autos. Beim Näherkommen erkenne ich, dass ein alter Mann im vordersten Auto sitzt. Schläft er? Ich kann es nicht erkennen, denn er trägt eine Sonnenbrille. Auf einmal steigt der Mann aus dem Fahrzeug und kommt mir entgegen. Es stellt sich heraus, dass er versucht hat, das Auto zu starten. Wir unterhalten uns. Schließlich lädt er mich auf ein Getränk und Sitzgelegenheit auf seiner Terrasse ein. Ich nehme dankbar an, denn es ist inzwischen ganz schön warm geworden.

Auf der Terrasse ist es dann richtig nett. Seine Ehefrau bringt eine ganze Auswahl an Getränken. Wir sitzen zusammen und unterhalten uns. Er hat richtig Schmied gelernt und das Wohnhaus steht direkt neben der alten Schmiede. Alles ist erhalten geblieben und er könnte es jederzeit wieder in Betrieb nehmen. Später hatte er dann in Linz in einer Schiffswerft gearbeitet. Jetzt genießen er und seine Ehefrau das Leben im Ruhestand. Beide sind sehr interessiert an meiner Wanderung, dabei stellt sich heraus, dass sie die Reihe Gernstls Reisen – wie auch ich – gerne ansieht. Ich erinnere sie an Gernstl und sie rät mir meine Blogberichte später als Buch zu veröffentlichen. Als die Sonne anfängt hinter den Bäumen zu verschwinden, wandere ich weiter. Sie hat sogar noch versucht im nächsten Ort für mich ein Zimmer zu organisieren. Aber der eine Gasthof hat heute Ruhetag und der andere Betriebsferien. Ich bin gerührt über die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft dieser beiden Menschen.

Am Abend erreiche ich Sankt Peter am Wimberg. Der Ort liegt wirklich auf dem Berg. Beim Gasthof, der heute Ruhetag, habe ich Glück. Ich erwische gerade noch den Wirt, der mir ohne große Umstände ein Zimmer gibt, und sich dann auf seinen Traktor schwingt, um zum Mähen zu fahren. Zu essen gibt es im Gasthof heute nichts. Ich erreiche aber noch einen Sparladen und kann mir etwas zu essen und trinken kaufen.

Im Mühlviertel: Lembach – Neufelden

Heute morgen erfahre ich, dass ab Montag die Coronaregeln in Österreich wieder verschärft werden, d.h. Maskenpflicht in öffentlichen Räumen. Heute ist noch keine Maskenpflicht in Gaststätten und Hotels. Viele Gäste nutzen das noch einmal aus. Ich bin der einzige, der mit Maske herumläuft, bei mir ist das Tragen inzwischen schon zur Gewohnheit geworden.

Der erste Teil der heutigen Strecke ist ein Zubringer zum E8. Ich vertraue der Kartenanwendung, dass mir ein guter Wanderweg dahin schon gezeigt werden wird. Zuerst geht es auf einen Seufzerweg, der Kurgäste mit den Schönheiten der Natur bekannt machen möchte. Aber schnell führt mich die App durch Waldabschnitte, an Wiesen und Bauernhöfen vorbei, wo schon lange kein Wanderer mehr gegangen ist.

Einmal muss ich durch eine hüfthohe Brennnesselschneise und das mit kurzen Hosen. Als Grundschüler bin ich einmal in einen Brennnesselwald gefallen, es hat gebrannt wie Hölle und ich hatte überall Quaddeln vom Nesselgift. Darauf hin hat mich meine geliebte Großmutter mit der Zukunftsaussicht getröstet, dass ich in meinem Leben keine Gicht und Rheuma mehr bekommen könnte, weil das Nesselgift dagegen helfen würde. Jetzt muss ich an meine Großmutter denken.

Ich komme an einer Wiese mit neugierigen Kühen vorbei, die auf mich zukommen und ein paar Schritte begleiten. Dabei fallen mir drei Kühe auf. Eine schnuppert der anderen am Hinterteil rum und besteigt sie dann von hinten. Die andere Kuh lässt es sich gefallen und bleibt stehen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Kuh zur Zeit paarungsbereit ist. Der Bauer müsste jetzt den Tierarzt zum Besamen holen.

Ich erreiche die kleine Mühl, einer der Flüsse die dem Mühlviertel ihren Namen gegeben haben. Ich laufe flussaufwärts und freue mich an dem vollen Fluß. Das Mühlviertel soll angeblich das wildwasserreichste Gebiet in Österreich sein.

In Doll überquere ich den Fluß und laufe südöstlich zur Großen Mühl nach Neufelden. Einem einzigen Mann begegne ich auf dem Weg nach Neufelden. Er steht an einem großen Haufen von Baumstämmen und sucht nach einem Eichenstamm, den er für den Bau eines Tisches braucht. Er trägt mich nach meiner Meinung, ob einer der Stämme eine Eiche sei. Viele Eichen habe ich heute noch nicht gesehen, hier gibt es mehr Nadelbäume und Ahorn. Er wohnt ganz in der Nähe und sucht schon seit ein paar Tagen.

Am späten Nachmittag komme ich in Neufelden an. Neufelden liegt zwar direkt an der Großen Mühl, aber bestimmt 70-80 Höhenmeter höher. Die letzten Meter haben es dadurch noch mal in sich und das mit dem Ziel direkt vor meine Augen. Neufelden selber ist ein hübsches Städtchen.

Ich habe Glück mit meiner Herberge. Die Wirtin ist sympathisch und gibt mir einen Upgrade auf das Zimmer. Das Zimmer hat einen tollen Ausblick auf die Große Mühl bzw. dem Stausee und ist großzügig geschnitten. Unter dem Hotel verläuft eine Wasserleitung, die zum Wasserkraftwerk führt, wo Strom erzeugt wird.

Stausee der Großen Mühl bei Neufelden

Es gibt sogar ein Hallenbad mit Whirlpool, das ich sofort ausgiebig benutze. Ich bin alleine im Hallenbad. Mein Muskelkater lockert sich, ich entspanne mich und fühle mich im Wasser federleicht. Meine Füsse fühlen sich an wie mit Wattekissen gepflastert. So ist das Leben schön und mir geht es gut!

Im Mühlviertel: Oberkappel – Ameisberg – Lembach

Der Gasthof hat sechs Zimmer. Die Wirtin erzählt mir, dass es eine Zeit gab, als Gasthöfe oder Restaurants in der Region ihr Geschäft um Zimmervermietung erweiterten. Meistens nur wenige Zimmer. Das Hauptgeschäft blieb aber der Restaurantbetrieb. So ist es auch in diesem Gasthof: das Essen ist phänomenal und die Gaststube ist brechend voll (soweit man das in Coronazeiten sagen kann).

Beim Verlassen von Oberkappel mache ich noch schnell einen Abstecher an die ehemalige Grenzstation. Dabei komme ich an einem Cafehaus vorbei. In dem Cafehaus sitzen bestimmt 15-20 österreichische Grenzer in Uniform. Alte und junge Grenzer, die sich angeregt unterhalten und einen Frühschoppen halten. Ich denke über die Perspektiven der jungen Grenzer nach. Eine deutsch-österreichische Grenze zu „bewachen“ oder den Warenverkehr hier zu „überwachen“? Das hört sich erst einmal nach einem entspannten Job an im Zuge einer immer stärkeren Europäisierung. Auf der anderen Seite, ständig von den senioren Grenzern anzuhören, wie spannend, aufregend und relevant die Arbeit mal war, stelle ich mir sehr frustrierend vor.

Der gestrige Tag mit meinen Ab- und Umwegen hat mich noch mal dazu gebracht, im Internet nach einer mobilen Kartenlösung zu suchen. Schließlich habe ich eine Anwendung gefunden und probiere sie gleich aus. Tatsächlich führt sie mich genau den E8 entlang. Sogar mit Maschinenstimme. Die Stimme ist nicht ganz so mein Typ. Ich würde eine schöne Altstimme bevorzugen. Einladender könnte die Stimme auch sein, Kommandoton ist auch nicht so meins.

Heute sind am Anfang erst einmal 600 Höhenmeter zu bewältigen. Das geht nicht schnell, sondern langsam. Die Landschaft im Rohrbacher Land ist stärker zersiedelt als im Bayrischen Wald. Wald, Felder, Wiesen und Dörfer wechseln relativ häufig. Ich komme durch Wald, wo es größere Baumschäden gegeben hatte, die jetzt aufgetürmt werden. Viele Fichten sind gefällt worden und es riecht stark nach den ätherischen Ölen. Die Sonne scheint darauf. Ich liebe diesen Geruch.

Mittags habe ich total verschwitzt den höchsten Punkt erreicht, den Ameisberg. Der Berg ist bewaldet und auf dem Gipfel führen Straßen hoch und es steht ein Sendemast. Aber leider keine Aussicht. Schade. So ein zünftiger Aufstieg wird eigentlich nur durch eine schöne Aussicht belohnt. So komme ich mir ein bisschen um meine Belohnung betrogen vor. Ich ziehe mein nasses Hemd aus und hänge es zum Trocknen an den Rucksack.

Es geht weiter durch den Wald. Die Kartenanwendung hat manchmal bei vielen Forstwegen Orientierungsprobleme im Wald, ansonsten habe ich alle Wegpunkte problemlos gefunden. Echt kommod. Ich fange an, mich zu entspannen. Heute kein Umwege über befahrene Landstraße wäre super. Zweimal lichtet sich der Wald und ich kriege dann doch noch einen Panoramablick.

Dann zeigt auf einmal die Anwendung einen Weg an und ich soll rechts darauf abbiegen, aber da ist kein Weg, sondern es steht dort ein Haus. Glücklicherweise kommen zwei Spaziergängerinnen mir entgegen. Ich frage beide nach dem Weg. Sie überlegen kurz und beschreiben mir den Weg für die nächsten ein, zwei Kilometer sehr akkurat. Dann fragen sie mich, ob ich ein Pilger sei. Ich erzähle ihnen meine Motivation, Wanderziel und -weise. Die beiden kommen aus der Gegend und erzählen, dass sie am Montag wieder in die Schule müssen. Ich stutze, die jüngere sind nicht mehr so jung aus als dass sie in die Schule müsste. Die ältere ist Grundschullehrerin und sagt, dass sie noch ein bisschen arbeiten müsste bis zum Ruhestand. Ich bin wieder irritiert. Was meint sie mit ein „bisschen“? Schließlich frage ich die beiden nach ihrem Alter und muss feststellen, dass ich mich beiden locker um 10-15 Jahre verschätzt habe! Ich frage die beiden nach ihrem Geheimnis. Die beiden lachen und wir überlegen gemeinsam. Zuerst meinen sie, dass es an der Ruhe auf dem Land liegen könnte. Ruhe meint hier nicht, dass es still ist (das ist es auch auf dem Land nicht), sondern das Fehlen von Autolärm oder der Krach von Maschinen. Am Ende unseres Gespräches glauben wir, dass es an der Arbeit mit den Kindern liegen muss. Auch ihre Tochter arbeitet in der Kinderbetreuung. Ich verabschiede mich von den zwei freundlichen Damen.

Am Abend erreiche ich meine Unterkunft. Es ist kurz nach 18 Uhr und die Sonne ist schon am Untergehen. Ich merke, dass es Herbst wird.

Mein guter austrostämmiger Freund hatte ja schon angedeutet, dass in Österreich die Wegmarkierung für den E8 vielleicht nicht ganz so wie in Deutschland sein könnte. Er hat heute recht behalten: Eine sehr schöne Markierung auf 18 Kilometer. Auch die andere Wege sind eher für Ortskundige markiert.

Vom Bayrischen Wald ins Mühlviertel: Kellberg – Oberkappel

Kellberg liegt auf einem Berggipfel und ich habe am Morgen einen guten Rundblick, d.h. aber auch zuerst geht es bergab. Ich laufe die Landstraße entlang. Kellberg und Flattendorf sind Luftkurort und der Hauptarbeitgeber ist eine onkologische Klinik. Immer wieder kommen mir Gruppen und Einzelpersonen entgegen, die Nordic Walking machen. Für diese Menschen sind anscheinend auch überall gute Wanderkarten aufgehängt. An diesen orientiere ich mich und finde einen Zuweg zum E8.

Nach Flattendorf geht es durch ein Wald hinunter in das Tal der Erlau. Dort war vor ca. 200 Jahren eine Papiermühle, die inzwischen sich in ein Graphitwerk verwandelt hat und zu einem internationalen Konzern gehört. Der Aubach mündet in die Erlau. Hier finde ich auch das E8 Zeichen wieder. Ich bin erleichtert. Die nächsten sieben bis acht Kilometer geht es ganz easy das Aubachtal hoch und ich muss mich nicht um die Wegfindung kümmern. Es geht sachte bergauf, das Aubachtal ist idyllisch, der Aubach plätschert und der Weg ist breit und bequem. Ich entdecke sogar einen goldenen Käfer, der sich von mir in Schockstarre fotografieren lässt.

In Kropfmull verlasse ich das Aubachtal. Hier steht das moderne einzige Graphitwerk in Europa. Der Rohstoff wird aus der ganzen Welt hier angeliefert und weiterverarbeitet zu Schmierstoffen und natürlich auch zu Bleistiftminen. Mitten in der Natur im Bayrischen Wald auf so eine große Industrieanlage zu stossen, befremdet mich. Ich fühle mich ein bisschen wie vor dem Industriepark in Frankfurt Höchst. Hier gibt es einen kleinen Edekaladen mit Metzgerei. Es sieht aus wie in einem Frankfurter Gewerbegebiet. Ich hole mir eine Leberkässemmel.

Danach geht es weiter, immer stramm bergauf. Ich komme gut ins Schwitzen. Bei einem aufgelassenen Bergwerksstollen mache ich Rast. Der Stollen ist inzwischen ein kleines Museum. Und weiter geht es bergauf. Eigentlich immer geradeaus Richtung Süden. Und trotzdem ich komme mal wieder vom Weg ab und lande auf der Landstraße. Schon wieder! Immer stramm bergauf. Bald habe ich den höchsten Punkt des Tages erreicht. An mir fahren immer wieder Autos vorbei. Das sind die Teile der Wanderung, die ich so gar nicht mag. Es ist inzwischen später Nachmittag.

Ich habe telefonisch ein Zimmer klar gemacht. Leider nicht am Rannasee, wie ich es mir gewünscht hätte, aber die Unterkünfte dort sind entweder geschlossen oder komplett belegt. Ich habe eine Unterkunft in Oberkappeln gefunden, das in Österreich liegt. Das bedeutet nochmal vier Kilometer mehr.

Ab dem nächsten Ort versuche ich es mit Trampen, um ein paar Kilometer Landstraße abzukürzen, bis ich wieder auf einen Wanderweg komme. Niemand nimmt mich mit. Ein Bauer auf einem langsamen Traktor lacht mich sogar aus. Sollten die Niederbayern im Landkreis Passau nicht ganz so nett sein, wie im Rest von Niederbayern? Aber Humor haben sie offensichtlich. Immer wieder sehe ich skurrile Gegenstände (eine Telefonzelle, aus der die Queen angeblich telefoniert haben soll), erweiterte religiöse Figuren (ein Jesus am Kreuz mit Waffen und Handwerkszeug) oder lustige Schilder (für eine Übersetzung stehe ich gerne zur Verfügung).

Ich wandere weiter und nutze die nächste Gelegenheit von der Landstraße weg zu kommen. Dort entdecke ich eine kleine Kapelle mit einer Bank und einer schönen Aussicht. Diese Kapelle ist der erfolgreichen Flurbereinigung vor fünfzig Jahren gewidmet worden. Die Flurbereinigung hat neun Jahre gedauert. Eine lange Zeit. Es wird auch zwei Bürgermeistern gedacht, die anscheinend beide im Amt und während der Flurbereinigungsphase gestorben sind. Das muss eine wirklich schwierige Flurbereinigung gewesen sein, denke ich mir. Ich mache Rast und genieße den Ausblick und die Abendstimmung. Es sind ein paar dunkle Wolken aufgezogen. Ich höre immer wieder etwas über mir brummen. Was ist das? Als ich nach oben schaue, sehe ich an der Decke der Kapelle ein Hornissennest. Vielleicht ein Symbol für die Giftigkeit der Protagonisten während der Flurbereinigung? Irgendwie haben sie sich anscheinend damals dann doch geeinigt und sich selbst ein Denkmal gesetzt. Die Hornissen in dem Nest aber sind lebendig.

Es wird Abend und ich wandere nach Wildenranna talabwärts. Es liegen noch mindestens sechs bis sieben Kilometer vor mir. Meine Füsse schmerzen. Ich habe keine Lust mich wieder zu verlaufen und frage die erstbesten Passanten nach dem kürzesten Weg: Eine Niederbayerin, die gerade ihre Tochter und Enkelkind verabschiedet. Sie sind hilfsbereit und überlegen, welches der beste Weg sein könnte. Dann fangen sie das Erklären an: Es gibt einen direkten Waldweg, aber mit hohem Risiko sich zu verlaufen. Ich muss frustriert aussehen, denn auf einmal bietet die Großmutter mir an, mich die letzten Kilometer zu fahren. Hurra, es gibt doch nette Niederbayern im Landkreis Passau! Mit dem Auto fahren wir dann die letzten Kilometer Landstraße für heute und ich komme so mit Sonnenuntergang in Oberkappeln, im Mühlviertel, in Oberösterreich und in Österreich an.

Endlich in Oberkappeln

Ich bin schon gespannt, wie die Österreicher den E8 markiert haben.

Im Bayrischen Wald: Passau – Krellberg

Heute morgen geht es wieder los nach der gestrigen Pause. Passau und die Flüsse liegen im Nebel. Ich verabschiede mich von der schwarzen Ilz. Es geht anfangs ersteinmal wieder bergauf. Der E8 ist nur an der Ilzbrücke ausgeschildert, ansonsten fehlt jedwede Markierung. Ich orientiere mich am Goldsteig und folge dessen Markierungen. Es geht an einer Kirche vorbei und bald bin ich auf einem gut ausgebauten Waldweg. Von da aus über Felder zu einem Ort, wo ich mich im lokalen Supermarkt mit Lebensmittel versorge. Dann geht es wieder in den Wald. Immer weiter folge ich dem Goldsteig.

In Zieglreuth wird das Gefälle noch mal steiler. Entsprechend langsamer werde ich. Ich komme an einem Garten vorbei, aus dem Schlagermusik ertönt. Ein älterer Mann steht am Zaun und mustert mich eindringlich. Ich schaue ihn auch an und sage: „Grüß Gott!“. Er grüßt zurück und ruft mir zu: „Sie sehen gut aus! Der Bart ist schön und der Hut auch. Sie sehen aus wie aus Südfrankreich!“ Ich muss lachen und erkläre ihm, dass ich aus Deutschland sei. Auf einmal fängt der Mann an zu erzähle:. Er ist vor einigen Monaten schwer im Garten gestürzt und hat sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. U.a. dass auch ein Gesichtsnerv davon betroffen war und dass das Monate dauert bis alles heilen würden. Jetzt darf er nicht mehr Auto fahren und muss bei seinen Gartenarbeiten aufpassen. Unvermittelt wechselt er das Thema, alle im Dorf würden ihn für den bösen Mann halten, weil er die Katzen der Nachbarn aus seinem Garten vertreiben würde. Als Entschuldigung führt er an, dass Katzen nie zuhause ihr Geschäft verrichten würden, sondern dafür seinen Garten benutzen. Er hat dafür eine Extraschaufel und Besen, damit sammelt er den Katzenkot ein und wirft ihn bei den Nachbarn in den Garten. Aber er liebt alle Tiere, versichert er mir.

Plötzlich sehe ich wie zwei Wanderer auf dem Weg von oben kommen. Zwei Weitwanderer. Ich unterbreche das Gespräch mit dem alten Mann und tausche mich kurz mit den beiden aus. Sie sind seit zwölf Tagen unterwegs und laufen heute noch bis Passau und beenden dann ihre Tour. Sie haben ähnliche Erfahrungen mit anderen Wanderern gemacht wie ich und sind dem Goldsteig der tschechischen Grenzen entlang gefolgt. Dann verabschieden wir uns. 

Ich drehe mich nach dem alten Mann um, der ist aber nicht mehr zu sehen. Ich gehe ein paar Schritte weiter und auf einmal taucht er wieder auf und hält eine Art Holzwurzel in der einen Hand. „Das ist der Teufel!“ sagt er mir und schaut mich intensiv an. Ich kann nicht widerstehen und fotografiere ihn so. Dann verabschieden wir uns freundlich von einander. Ich komme ins Grübeln, wie stark der Sturz ihn vielleicht auch mental beeinflusst haben könnte.

Nach Zieglreuth geht es wieder durch den Wald bis ich eine Landstraße mit separatem Fahrradweg erreiche. Die Wegmarkierungen des Goldsteigs sind gut zu erkennen. Ich habe wieder Netzempfang und überprüfe, inwieweit ich noch auf dem E8 bin. Mist! Er liegt um ca. 500 Meter daneben und ich bin an einer Stelle, wo der Goldsteig eine andere Route nimmt. 

Ich improvisiere und wandere nach Kellberg. Kellberg liegt auf der Spitze des Berges und ist ein Kurort. Nach einigen Versuchen finde ich einen Gasthof für die Nacht. Der Gasthof ist überraschend geschmackvoll eingerichtet. Der Innenarchitekt hatte ein gutes Gefühl für Proportionen und Farben. Ich fühle mich in meinem Zimmer wohl. Auch der Biergarten ist sehr hübsch. In den Fluren hängen Bilder der jungen Tochter des Hauses auf verschiedenen Urlauben und unterschiedlichen Situationen. Gut gemacht. Da hat ein guter Fotograf (oder Fotografin) sein Motiv gefunden. Alle Bilder sind gerahmt und mit Passepartout. Mein alter WG Kumpel, der selber professionell fotografiert hat und eine Galerie für einige Jahre sein eigen nannte, hätte sich gefreut.

Am Abend gehe ich eine Runde durch das Dorf. Der Gasthof liegt neben der Kirche und gegenüber einem kleinen Museum, das die alte Dorfschmiede zeigt. Das Museum ist offen und ich lerne, dass damals Schmied, Wagner und Gasthof eine Art Aufgabenteilung hatte: wenn z.B. ein Bauer sein Wagen zum Reparieren brachte, dann machte der Schmied das entsprechende Eisenstück, der Wagner baute es ein und im besten Fall wartete der Kunde im Gasthof darauf, dass alles fertig wurde.

Morgen möchte ich den E8 bis zur österreichischen Grenze wandern.

Im Bayrischen Wald durch das Ilztal nach Passau

Um sechs Uhr werde ich von der bayrischen gemeinen Hausmücke geweckt. Ich spüre die zahlreichen juckenden Stiche, sie war offensichtlich schon ein paar Mal in der Nacht bei mir gewesen. Ich bin zu müde, um auf Mückenjagd zu gehen, aber schon zu wach, um gleich wieder einzuschlafen. Das Notzimmer hat keine Vorhänge und ich kann die Morgenröte sehen. Dann schlafe ich doch noch einmal ein.

Heute ist ein schöner und sonniger Tag. Ich verlasse Fürsteneck und wandere wieder zur Ilz runter. Der Weg geht immer auf der linken Seite der Ilz flussabwärts. Auf dem Goldsteig begegnen mir immer Tageswanderer, meistens Paare. Es scheint zu stimmen, was die Wirtin gesagt hat, September ist der beste Monat für die Gastronomie im Bayrischen Wald. Die Ilz und das Ilztal wird immer breiter, es ist wirklich ein wunderschönes naturbelassenes Flusstal. Der Weg läuft größtenteils durch Auwald immer in der Nähe des Flusses.

Heute habe ich Glück und sehe eine Wasseramsel, die immer wieder auf Steinen in der Ilz landet und sich dann ins Wasser stürzt. Die Wasseramsel macht den Fischen Konkurrenz um ihr Futter und wärmt sich immer mal wieder auf großen Flöussteinen in der Sonne auf. Auch drei Gänsesäger sehe ich, die pfeilschnell gegen den Strom mit dem Schnabel im Wasser auf Futterjagd gehen. Sie sind um einiges größer als Stockenten, die auch immer mal wieder auf dem Fluß zu sehen sind.

Der Goldsteig verläuft parallel zu Eisenbahngleisen. Ich erreiche den Ort Kalteneck und sehe einen Bahnhof. Der Zug verkehrt im Ilztal nur am Wochenende und wird mit ehrenamtlichen Mitarbeitern betrieben. Es hängt ein Fahrplan aus. Schade, heute ist Dienstag. Ich wär jetzt echt gern ein bisschen mit der Bahn gemütlich durch das Ilztal gefahren. Das ist bestimmt total romantisch. In Kalteneck bin ich mir unsicher, was den richtigen Weg betrifft. Netz habe ich auch keines mehr. Geht es jetzt rechts oder links an der Ilz nach Passau? Ich entscheide mich, weiter auf der linken Seite zu bleiben.

Nach ein paar hundert Metern stehe ich vor einer Wegsperre. Schon wieder Holzfällarbeiten! Ich drehe um und will zurückgehen. Dann fällt mir ein, dass der Weg ja parallel zur Bahnlinie verläuft. Wenn ich jetzt einfach die Bahngleise langlaufen würde und die Wegsperrung umgehe? Ich zögere, wegen der mögliche Gefahr. Aber dann: Die Bahn fährt ja schließlich nur am Wochenende. Und schon laufe ich auf den Gleisen flussabwärts. Jetzt komme ich mir ein bisschen vor wie ein amerikanischer Hobo; Wanderarbeiter, die an den Gleisen entlanggelaufen und schwarz mit Güterzügen kreuz und quer durch die Staaten gefahren sind. Bald wechsle ich wieder auf den Wanderweg und bleibe aufmerksam, falls die Holzfäller noch vor mir sind. Ich laufe weiter bis ich wieder auf ein Hindernis stosse. Bäume liegen quer über den Weg. Jetzt ist wirklich kein Wunder mehr, dass mir niemand begegnet. Dieses Hindernis kann ich einfach umgehen.

Es wird Nachmittag und allmählich kriege ich Appetit. Ich bin bisher ohne Pause gelaufen. Im nächsten Ort verlasse ich den Weg, weil ich einen Wegweiser zu einer Pizzeria sehe. Ich überquere den Fluß über eine Brücke. Aber der Gasthof hat heute Ruhetag und ich muss wieder umkehren. Dabei komme ich an einer Bushaltestelle vorbei. Eine Frau sitzt dort. Ich frage sie, auf welchen Bus sie wartet. Sie antwortet, nach Passau, wenn der Bus denn endlich käme. Ich denke kurz an meine Tante, sie würde jetzt sagen: „Was will dir das Universum sagen?“ Ich verstehe die Botschaft so, dass ich mit dem Bus den Rest der Strecke nach Passau fahren, einen Herberge finden und in aller Ruhe meinen Pausentag starten soll. Kaum ist meine Überlegung fertig, kommt auch schon der verspätete Bus und ich steige ein.

Im Bayrischen Wald durch das Ilztal: – Schloß Fürsteneck

Heute sehe ich früher auf als sonst. Heute habe ich einen Termin für eine Videokonferenz mit meiner experimentellen virtuellen Trainingsgruppe. Wann? 15 Uhr Wo? Weiß ich noch nicht, irgendwo an der Route, wo es ein W-Lan gibt. Ich breche auf. Zuerst geht es die Anhöhe hoch durch den Ort Saldenburg. Alles ist ruhig. Ich begegne in dem Ort keine Menschenseele. Saldenburg hat einen kleinen See, wo man schön baden kann. Heute nicht. Ich habe einen Termin. Der größte Teil der Strecke geht leicht bergab.

Zuerst wandere ich durch den Wald immer den Markierungen des südlichen Goldsteigs entlang. E8 und Goldsteig laufen ab den Saldenburger See gemeinsam. Sonst wäre ich echt aufgeschmissen. Kurz hinter Saldenburg habe ich schon keinen Empfang mehr und das bleibt so bis zu meinem Tagesziel. Es geht solange durch Wald, Felder und kleine Ortschaften bis ich den Ursprung der Ilz erreicht habe. Drei Bäche fließen zusammen und bilden die Ilz, die „schwarze Perle“ unter den Flüssen Deutschlands. Die Ilz ist eines der letzten Wildwassergebiete in Deutschland. Der Wanderweg geht mehr oder weniger dem Fluß entlang. Es soll hier Flussotter geben. Das wäre schon toll, wenn ich eines dieser seltenen Tiere sehen könnte.

Kurz darauf sehe ich ein Schild: Gasthof Schrottbaummühle hat am Montag Ruhetag. Mist! Das wäre der erste Gasthof gewesen, wo ich versuchen wollte, ein Zimmer mit W-Lan zu kriegen. Jetzt haben die Ruhetag. Kein Wunder, dass ich heute morgen niemand telefonisch erreicht habe. Ich ziehe das Tempo a,n ohne dabei die Schönheit des Flusstales ausser Acht zu lassen. Gar nicht so einfach, obwohl ich heute quasi wie von selbst laufe. Der Boden ist schön weich, fast federnd, da viele Fichten- und Tannennadeln auf dem Boden liegen. Es macht Spaß.

Ich erreiche die Schrottbaummühle. Ein paar Camper sehe ich, sonst niemanden. Der Gasthof hat tatsächlich Ruhetag. Ich schaue auf die Uhr. Fürsteneck ist meine nächste Möglichkeit. Hoffentlich haben die nicht auch heute Ruhetag. Ich schaue mir die Wanderkarte an und überlege, ob es vielleicht noch andere Alternativen gibt. Inzwischen ist es 13 Uhr. Eine Familie mit Hunden kommt um die Ecke gebogen und warnt mich vor Baumfällarbeiten, die auf dem Weg gerade geschehen. Ich überlege, wenn ich da auch noch aufgehalten werde, dann kann ich mir das virtuelle Treffen heute abschminken.

Ich versuche es trotzdem. Kurz nachdem ich wieder auf dem Weg bin, sehe ich drei Vögel flußaufwärts schwimmen. Ich vermute, dass es Gänsesäger sind. Auf jeden Fall habe ich diese Vogelart noch nie gesehen. Es sind zwar keine Fischotter, ich bin trotzdem glücklich, diese Vögel beobachten zu können.

Jetzt aber weiter. Tatsächlich komme ich schon bald an eine Wegsperrung, die vor Baumfällmaßnahmen warnt. Ich kann die Kettensäge hören und tatsächlich kracht gleich daran ein Baum am Hang hinunter. Ich überquere die Absperrung und schaue nach dem Baumfäller. Ich kann ihn relativ schnell sehen, da er eine auffällige Schutzkleidung trägt. Nach ein paar mal Hallo rufen, wird er aufmerksam auf mich und winkt mich durch. Schnell durchquere ich den abgesperrten Wegbereich.

Gegen halb zwei bin ich nur noch einen halben Kilometer von Fürsteneck entfernt. Bisher ging es immer schön an der Ilz entlang. Jetzt geht es auf einmal steil den Hang hoch. Mist, auch das noch! Ich versuche, den Weg hochzugehen ohne viel an Tempo zu verlieren. Um 13:45 bin ich oben angelangt und sehe das Schloß Fürsteneck vor mir.

Ein Schild meldet mir: „Dienstag Ruhetag“. Ok, also offen haben sie, ich betrete das Schloß über die Brücke und finde über den Schloßplatz den Gasthof. Zuerst beachtet mich niemand und ich frage mich zur Rezeption durch. Das Mädchen an der Rezeption gibt mir dann die Auskunft, dass alle Zimmer belegt seien, sie aber noch die Chefin fragen könnte. Ein paar Minuten später ist die Chefin da und ich erläutern ihr meinen Wunsch: Ein Bett – W-Lan – Dusche. Auch sie erklärt mir, dass alle Zimmer belegt seien. Aber sie hat noch ein Zimmer für Notfälle, das direkt hinter der Rezeption und neben der Waschküche liegt. Ich sage sofort zu.

Jetzt bin ich erleichtert, es scheint doch noch mit meinem Termin pünktlich zu klappen. Die Wirtin zeigt mir das Zimmer. Auf einem Bett steht ihr schwarzer Schmuckkoffer. Ich muss lachen und sie zeigt mir ihren Schmuck. Ein – oder zweimal hat sie sogar schon was aus diesem Kasten auf Märkten verkauft. Sie packt den Koffer weg und beauftragt einen der Angestellten, dass Zimmer sauber zu machen. Ich muss solange warten und beschließe etwas zu essen, solange die Küche auf hat.

Im Speisezimmer funktioniert das W-Lan nicht und es gibt auch keinen Empfang. Echt jetzt?! Ich frage bei der Wirtin nach. Die Wirtin erklärt mir, dass die Mauern im Schloß so dick sind, dass das W-Lan nur in einigen wenigen Zimmer funktioniert würde. Die gute Nachricht: Das Notzimmer hätte sogar mit den besten Empfang. Na, hoffentlich stimmt das. Ich esse in Ruhe und gehe danach das W-Lan auf meinem Zimmer ausprobieren. Es funktioniert. Ufff!! In aller Ruhe gehe ich in der Waschküche duschen und bin 5 Minuten vor dem Termin in der Konferenz.

Das Treffen mit meinen Gruppenmitgliedern ist dann sehr kurzweilig, spannend und interessant. Um 18 Uhr beenden wir das virtuelle Treffen.

Ich schaue mir das Schloß ein bisschen an, das in seiner Geschichte noch niemals eingenommen wurde und als „unbesiegbar“ gilt. Die Lage hoch über der Ilz ist auf jeden Fall traumhaft. In meinem Zimmer kann ich den Fluß rauschen hören.

Morgen geht es nach Passau und dann lege ich einen Pausentag ein.

Im Bayrischen Wald: Zenting – Hundsruck

Der Gasthof ist voll. Beim Frühstück sind alle Tische besetzt. Im Haus sind neben vielen Paaren, eine Seminargruppe und eine Gruppe von Wanderern. Das Frühstücksbüffet ist gut sortiert, viele frische Sachen. Es ist hektisch. Die Hygieneregeln machen den Ablauf für das Personal umständlich und sie sind alle im Laufschritt unterwegs. Ich sitze als einziger alleine an einem Tisch. Am Nachbartisch sitzt ein chinesisches Pärchen. Das Gesicht der Frau kommt mir bekannt vor. Ich spreche sie darauf an. Es stellt sich heraus, dass ich sie vor wahrscheinlich acht Jahren im Interview hatte. Sie kann sich an mein Gesicht nicht mehr erinnern. Kein Wunder, bei dem Weihnachtsmannbart, den ich aktuell trage! Jetzt ist sie frisch verheiratet und verbringt ein „Testwochenende“ im Bayrischen Wald, um auszuprobieren, ob sie hier ihre Flitterwochen verbringen wollen. Schon seltsam, man scheint sich wirklich immer zweimal im Leben zu begegnen.

Ich verlasse Zenting. Der Goldsteig war bisher immer sehr gut beschildert. Der E8 ist es seit Tagen nicht mehr. In Zenting läuft der E8 getrennt vom Goldsteig bis Saldenburg. Und schon sind die Wegmarken wieder sehr spärlich. Ich muss genau aufpassen. Es geht durch den Wald, dann überquere ich den Zentinger Bach. Nach einer Weile stosse ich in einem Dorf wieder auf den Goldsteig. Ich beschließe auf den Goldsteig zu wechseln. Leider zuerst in die falsche Richtung. Nach einem Kilometer merke ich es. Frustriert kehre ich wieder um zu dem Punkt, wo ich in die Irre gelaufen bin. Das einzig gute an dem Umweg ist, dass ich ein grünes Heupferd sehe. Es lässt mich ganz nah rankommen, so dass ich es fotografieren kann. Das Insekt ist sehr groß und kann sogar fliegen und doch ist es sehr gut getarnt.

Grünes Heupferd

Ich komme durch ein kleines Dorf. Dort sehe ich schwarze Minirinder. Sie sehen richtig kuschelig aus. Nach einer kleinen Rast geht es wieder durch den Wald. Ich folge einem Bach. Hier wächst sehr viel indisches Springkraut, das teilweise mehr als mannshoch gewachsen ist. Das Springkraut ist mir immer wieder auf meiner Wanderung begegnet. Zuerst noch klein und im Laufe des Sommers immer höher gewachsen.

Ich erreiche mein Tagesziel. Der Gasthof hat leider heute geschlossen. Die Wirtin ist aber nett und bereitet mir etwas kleines Warmes zu essen. Sie erzählt mir, dass schon seit Jahren kein E8 Wanderer bei ihr vorbeigekommen ist. Die Wanderer, die bei ihr zu Gast sind, laufen den Goldsteig entlang. Das bestätigt meine Beobachtungen der letzten Wochen. Ich komme mir wie ein Relikt aus alten Zeiten vor. Der letzte Mohikaner auf dem E8. Kein Wunder, dass die Wegmarkierungen für diesen Weg so oft stiefmütterlich behandelt werden. Die Wegepfleger investieren ihre Zeit und Energie eher auf die – auch von der EU – gesponserten Premiumwanderwege. Die snd wirklich top markiert.

Die Wirtsleute sind sehr nett und helfen mir, die Route für die nächsten Tage bis Passau festzulegen. Die Wirtin will sogar morgen bei einem ihr bekannten Gasthof anrufen, um zu checken, ob ich dort morgen übernachten kann.

Ich fühle mich gut und entspannt.