Archive : Juni

Zwischen Main und Spessart: Obernburg – Klingenfels – Großheubach

Es hat sich ein Sponsor für meine Wanderung gemeldet und mir bereits eine ordentliche Summe überwiesen. Hurra! Ich freue mich riesig und danke dem edlen Spender herzlich!

Heute morgen bin ich in der Römerstraße in Obernburg gestartet, dann an der Kirche St. Peter und Paul vorbei. Der mittelalteriliche Kirchturm ist gut erhalten, aber das Kirchenschiff ist aus der Mitte des letzen Jahrhunderts und hat ein 12-giebliges Dach mit großen bunten Fenstern, ein gepflasterter Weg führt in dieses Gebäude. Die Architektur finde ich sehr angenehm und erinnert mich an die Werke der Familie Böhm aus Köln und Neviges. Bei dem Namen der Kirche fällt mir immer wieder ein, dass mein Vater katholisch getauft, aber evangelisch konfirmiert wurde.

Von dort aus geht es auf eine Brücke über den Main. Es ist frisch und bewölkt. Das ist mir inzwischen das liebste Wanderwetter. Zuerst geht es durch einen Ort bis zum Beginn des Spessarts und von da ab durch den Wald. Fand ich die Beschilderung für den E8 im Odenwald schon gut, finde ich die in Mainfranken noch besser. An fast jeder Weggabelung finde ich das Zeichen. So komme ich gut voran. In Bayern sind auch viel mehr Wanderer unterwegs: alleine, in Paaren oder in Wandergruppen. Die meisten begegnen mir freundlich und interessiert und es kommt zu kurzen Begegnungen. So viele Wanderer habe ich in den letzten 12 Tagen insgesamt nicht gesehen.

Eine Begegnung möchte ich teilen: ein 82-jähriger Mann kommt mir entgegen. Mir fällt auf, dass er einen richtigen Wanderhut trägt und auch sonst gut ausgerüstet ist, er hat aber keinen großen Rucksack bei sich. Er mustert mich aufmerksam und nach einer kurzen Begrüßung fragt er mich, ob ich weiter wandern würde als nur einen Tag. Wir kommen ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass er nach seiner Verrentung zwei Fernwanderungen durch Europa alleine unternommen hatte. Einmal von Polen auf dem Jakobsweg nach Santiago di Compostella und ein zweites Mal von Schleswig-Holstein nach Rom. Seine Augen sind wach und funkeln und am liebsten würde er mit mir auf den E8 nach Osten wandern. Aber er fühlt sich körperlich zu schwach. Inspiriert ziehe ich weiter.

Der Mainfrankenweg und der E8 laufen teilweise parallel und sind hier ein Höhenwanderweg. Ich komme auf die bisher schönste Strecke. Ein Höhenwanderweg entlang des Mains bis Klingenberg. Die Aussicht ist fantastisch und begleitet mich den ganzen Weg. Ich kann den Main, die anliegenden Ortschaften, den Odenwald und das Umland sehen. Ich kann das Maintal hören. Laute Motorengeräusche erfüllen das ganze Tal. Alles wirkt sehr lebendig und emsig. Am Weg entlang sind immer wieder modern gestaltete Aussichtsplattformen und es geht durch die Weinberge. Immer wieder zeigen Schilder, was es alles interessantes zu sehen und zu wissen gibt. Offenbar verkaufen auch die Winzer immer wieder ihren Wein an diesem Weg. Ein echter Luxuswanderweg mit lokaler Weinversorgung! Das würde meinem Vater bestimmt gut gefallen.

An der Ruine Clingenberg mache ich Rast. Der dortige Gasthof hat heute Ruhetag. Es gibt eine Terrasse von der man aus gut in das Maintal gucken kann. Ich esse ein bisschen was, lege mich dann auf eine Bank, mache ein Nickerchen und lasse mich von den relativ vielen Touristen nicht stören.

Von dort aus geht es wieder durch den Spessart zuerst runter ins Tal, über eine Landstraße und dann bergan durch den Spessart dem Main aufwärts folgend. Die letzten Kilometer sind immer diejenigen, die mich am meisten anstrengen.

Ich erinnere mich daran, dass ein ehemaliger Kollege in Kleinheubach auf der anderen Mainuferseite wohnt. Ich frage ihn per email, ob er Lust hat, sich mit mir heute Abend zu treffen. Er hat Zeit und Lust!

Kurz vor Oberheubach werde ich noch einmal mit einem tollen Panorama auf Großheubach, Main und Kleinheubach belohnt. Komisch, aus den Erzählungen meines Kollegens hatte ich immer geschlossen, dass es sich um ein kleines verschlafenes fränkisches Bauerndorf handeln müsste, in dem sich eine Firma für Patisserie angesiedelt hatte. Was ich sehe, ist aber viel größer, es gibt ein Schloß, viele Firmen, es ist viel Verkehr und die ganze Stadt brummt und lärmt, so lebendig ist sie.

Mein Kollege muss später herzhaft lachen als ich ihm von meinen enttäuschten Phantasien über seinen Heimatort erzähle.

Vom Odenwald an den Main: Vielbrunn – Obernburg am Main

Heute morgen werde ich zuerst von Stimmengewirr und dann von einer elektronisch verstärkten Stimme geweckt. Meinen Plan, heimlich am Morgen eine Runde nackt schwimmen zu gehen, muss ich aufgeben. Im Freibad findet ein Taufgottesdienst der christlichen Gemeinde Michelstadt statt, die viele russlanddeutsche Mitglieder hat. Es ist eine Erwachsenentaufe und die Täuflinge stehen in weißer Kleidung am Beckenrand, die Frauen tragen zusätzlich noch eine Haube. Später werden sie im Schwimmbadwasser vom ebenfalls weiß gekleideten Priester getauft. Ich bin gerührt.

Ich gehe zum Frühstücken und beobachte dabei den weitern Verlauf des Gottesdienstes. Nach dem Ende der Veranstaltung breche ich auch auf.

Das Wetter ist heute frisch und bewölkt. Ich komme gut voran. Am Anfang kommt ein Anstieg, danach geht es mehr oder weniger bergab bis nach Obernburg am Main. Ein Teil des E8 geht parallel zum Limesweg. Der Limesweg orientiert dabei sich an dem historischen Verlauf des Limes in dieser Gegend. Dabei werden verschiedene Stellen, wie z.B. Wachtürme und ein Kastell, gezeigt, die einem einen Eindruck geben, wie gut und effizient die römische Verteidigung entlang des Limes organisiert war. Mir gefallen solche geschichtlichen Zusammenhänge.

Vor den Toren von Obernburg holt mich ein ehemaliger Kollege mit dem Auto ab und bringt mich zu seinem Haus. Der Vorbesitzer des Hauses war Förster gewesen. Das Haus liegt am Hang, direkt am Waldrand mit einem schöne Blick in das Maintal und ist großzügig geschnitten. Ich kriege eine gute Suppe zum Essen und reichlich zu trinken. Viele Kinder sind im Haus und spielen. Es gibt Hühner und Schafe. Ich fühle mich ein bisschen an die Kinder aus Bullerbü erinnert. Die Kinder sind alle beschäftigt und ich kann mich gut mit meinem Freund unterhalten. Am Ende meines Besuches spielen wir noch mehrere Partien Kicker. Der Hausherr gewinnt sourverän.

Morgen lege ich einen Pausentag in Obernburg ein.

Immer noch im Odenwald: Michelstadt – Vielbrunn

Heute morgen ist das Wetter noch unbeständig. Nach dem Frühstück gehe ich noch einmal auf mein Zimmer und schlafe tatsächlich noch einmal ein. Später ist das Wetter sonnig und ich beschließe loszugehen. Inzwischen stelle ich bei mir fest, dass ich beim Verlassen von Ortschaften gerne zuerst den falschen Weg wähle. So auch heute. Das sind erst einmal wieder 1,5 Kilometer Umweg. Ich wüsste gerne, woran das liegt.

Beim Verlassen von Michelstadt fallen mir sieben Häuser auf, die in einer Reihe stehen. Jedes Haus ist zweigeteilt und hat anscheinend unterschiedliche Besitzer, denn jede Hälfte sieht anders aus. Sei es Farbe oder Fenster oder der Garten. Es sieht immer so aus, als ob jemand einen Strich in der Hausmitte gezogen hat und dann jeder Besitzer seinem eigenem Geschmack gefolgt ist. Insgesamt macht es einen Eindruck auf mich, wie ein gemeinsamer Rahmen doch sehr unterschiedlich ausgestaltet werden kann.

Obwohl es in der Nacht kräftig geregnet hat, ist es bereits warm und schwül. Nach Michelstadt geht es stetig und teilweise kräftig bergauf, meistens durch Wald. Ich fange schnell kräftig das Schwitzen an. Nach einer Stunde ist kein trockener Faden mehr an mir, sogar der Hut ist total nass und tropft. Mir läuft der Schweiß in schweren Tropfen am Körper runter. Ich muss öfters eine Trinkpause machen. Heute ist nicht mein Tag.

Unterwegs chatte ich einen lieben ehemaligen Kollegen an, der in der Nähe von Obernburg wohnt. Er lädt mich ein, bei ihm am Sonntag vorbeizukommen. Das hebt gleich meine Stimmung.

Ich kämpfe mich bis zum Örtchen Vielbrunn durch und freue mich schon, in einem der Cafés oder Restaurants eine Pause zu machen. Im Vorfeld von Vielbrunn fängt es auch an interessanter zu werden. Am Ortseingang wartet die Odintanne, ein Baum der schon mehrere Jahrhunderte alt ist. Denkmalgeschützte Steinstelen säumen teilweise die Wege. Kirschbäume ragen immer wieder in den Weg und bieten ihre reifen Früchte an. Vielbrunn wirkt auf den ersten Blick wie ein kleines verschlafenes Dorf, ist aber mit 1700 Einwohnern größer als ich gedacht hatte. Es hat sogar einen Golfplatz. In einem ehemaligen Feriendorf haben sich Großstädter eingekauft und verbringen hier ihren Ruhestand. Enttäuscht muss ich feststellen, dass das erste Café coronabedingt geschlossen ist. Andere Läden, wie Metzger und Bäckerei, haben bereits geschlossen. Es ist bereits Samstagnachmittag. Ich bin frustriert, aber ich will nicht aufgeben. Endlich finde ich ein Hotel mit Café, das offen hat. Glück gehabt. Die Beerentorte schmeckt sensationell gut, der Sohn der Wirtin ist Konditor. Von dem Café aus kann ich ein Freibad erkennen. Ich erhole mich allmählich. Ich spreche mit der Wirtin und frage sie nach meinem nächsten Ziel, wo ich eine Unterkunft finden könnte. Sie kennt keine, aber empfiehlt mir, auf jeden Fall vorher zu checken, ob etwas frei ist. Im Internet finde ich ein „Bed & Breakfirst“. Meine Anrufversuche scheitern, es hebt niemand ab. Ich sehe dunkle Wolken aufziehen und werde unsicher, ob vielleicht nicht doch noch ein Gewitter kommt.

Am Schluß entscheide ich mich, in Vielbrunn zu bleiben und in das Freibad zu gehen, bevor ich unterwegs von einem Gewitter erwischt werden und dass dann ohne Unterkunft.

Das Freibad ist sehr überschaubar. Es sind vielleicht 20 Gäste da, die sich alle kennen oder nach einiger Zeit kennen lernen. Ich frage die Frau an der Kasse bzw. Kiosk, wie es gelingt, dieses Freibad in so einem kleinen Ort zu finanzieren. Ein Förderverein betreibt das Schwimmbad. D.h. die Vereinsmitglieder betreiben das Bad und die Stadt bezahlt die Energiekosten und das Wasser. Die Stadt erhält den Erlös aus den Eintrittskarten. Ich bin begeistert.

Ich gehe schwimme und kühle ab. Dann lege ich mich in den Schatten einer mächtigen Linde und beobachte das Treiben der Badegäste. Alle sind entspannt und unterhalten sich gut, auch ich werde miteinbezogen.

Die folgende Szenerie zeigt exemplarisch, wie hier das Sommergefühl ist: Ein Mittvierziger in bunten Badeshorts zieht an mir vorbei. Er hält vier leere Bierflaschen in der Hand und singt: „das Leben ist so schön“ und freut sich darüber, dass er trinkfester ist als die drei Rumänen, die er heute im Bad kennengelernt hat. Sein ältester Sohn spielt mit vier jungen Dorfschönheiten Volleyball oder zeigt ihnen seine Sprungkünste im Bad. Der jüngere Sohn schwimmt tapfer eine 10 Meter Bahn und beeindruckt anschließend mit Popcorn die kleinen Mädchen.

Ich gehe entspannt in meine Unterkunft und beschließe am morgigen Vormittag nach Obernburg zu wandern, um dort einen Pausentag einzulegen. Am Montag möchte ich mich auch mit einem Pädagogen treffen. Vielleicht ergibt sich daraus ein Engagement für mich.

Immer noch im Odenwald: Ostertal – Ober-Mossau – Michelstadt

Ich habe in der letzten Nacht fünf blutsaugende Mücken um 2:30 Uhr in meinem Zimmer getötet.

Am Morgen kann ich den Wirt leider nicht überzeugen, mir das Ladekabel zu verkaufen. Seine Mutter – übrigens eine reizende alte Dame – braucht es noch.

Ich passe nicht richtig auf als ich den Ort verlasse. Keine Netzverbindung und prompt habe ich mich verlaufen. Ich finde den Weg aber mit einem Kompass wieder. Knapp 2 Kilometer Umweg sind entstanden. Es geht über eine Landstraße hinweg hoch durch einen Nadelwald zur Lärmhütte. Auf dem Weg finde ich Blaubeeren, die reif sind. So richtig lecker direkt von der Pflanze.

Nach der Lärmhütte geht es abwärts nach Ober-Mossau. Ich komme zur Mittagszeit an. Hier steht eine große Privatbrauerei, die auch einen Ausschank hat. Ich lerne drei Wandersleute kennen, ein Ehepaar mit einer Freundin. Es stellt sich heraus, dass sie vom Odenwaldclub sind. Ich bedanke mich repräsentativ bei Ihnen für die gute Beschilderung. Es kommt ein nettes Gespräch zustande. Die drei sind gerade auf einer Drei-Tages-Tour. Die ersten echten Wanderer, die mehr als eine Tagestour unternehmen, denen ich begegne. Ich trinke eine Hopfenlimo und dann geht es weiter. Zuerst durch den Ort immer aufwärts, dann bei einer Kreuzung geht es wieder in den Wald. Es wird allmählich wärmer und schwüler. Es geht an einem Flugplatz vorbei und ich erreiche die Ortschaft Michelstadt. Kurz vor dem Ort ist ein Friedwald. Hier ist mein Onkel Karl-Heinz bestattet. Ich habe nur positive Erinnerungen an ihn. Vielen Dank für alles, Karl-Heinz!

Dann erreiche ich den Ortskern von Michelstadt. Zuerst laufe ich durch ein neumodisches Gewerbegebiet mit den üblichen Zweckbauten. Dann kommt der historische Ortskern mit alten gut zurecht gemachten Gebäuden. Ich komme in einem alten Gasthaus unter.

Ich kann direkt nebenan ein Ladekabel kaufen. Dann gehe ich in das Waldschwimmbad von Michelstadt. Ich freue mich schon, da ich seit Corona nicht mehr schwimmen war und weil es heute im Laufe des Tages immer wärmer geworden ist. Im Freibad ist von Corona fast nichts zu beobachten. Ein Gummirarmband wird verteilt, damit man besser zählen kann, wieviele Personen im Freibad sind. Ich zische fast als ich endlich im Wasser bin. Herrlich!

Später am Abend erreicht ein starkes Gewitter Michelstadt. Eine Freundin, die mit mir morgen wandern will, meldet sich bei mir. Wir verschieben wegen der Wetterlage die gemeinsame Wanderung. Ich werde dann morgen nach Lage entscheiden, ob und wie ich weiterwandern werde.

Mitten im Odenwald – Gadernheim – Lindenfels – Ostertal

In der Nacht habe ich entdeckt, dass mich 2 Dinge an Bensheim erinnern werden. Erstens ich habe den Zimmerschlüssel aus Versehen mitgenommen und zwar so einen richtig traditionellen, also keine Plastikkarte. Dafür habe ich etwas zurückgelassen und zwar zweitens das Ladegerät für mein Handy!

Ich schlafe unruhig und kann mir dadurch meine Träume merken. Zwei möchte ich teilen. Der erste Traum war mit einem lieben Freund und ehemaligem Kollegen. Wir fahren in einem Auto, er sitzt am Steuer und redet, ich sitze auf der Rückbank und höre. Auf einmal sitzt er auf dem Beifahrersitz, schaut nach hinten, wedelt mit beiden Händen und freut sich wie ein Schneekönig. „Siehst Du!“ ruft er „so gut funktioniert autonomes Fahren!“. Ich kriege einen kleinen Schreck, weil das Auto einen schwierigen Parcours voller Kurven fährt. Es passiert kein Unfall.

Ob das etwas damit zu tun hat, dass ich ohne Handy um 7 Uhr beim Wirt zum Frühstück angemeldet bin?

Der zweite Traum hat eine junge, hellhäutige, sommersprossige und rothaarige Frau im Mittelpunkt. Sie hat zusätzlich zu den vielen Sommersprossen abstrakte leichtblaue Zeichen im Gesicht. Es sieht aus wie bei indigenen Muster, z.B. den Maori nur in hellblau und nicht zusammenhängend. Ich kann nur schwer ihren Blick erfassen. Ich spreche mit ihr. Sie erzählt mir, dass sie sich schämt wegen ihrem Anblick und deswegen niemandem in die Augen sieht. Ich rede ihr gut zu und versuche mit ihr Blickkontakt aufzunehmen. Zuerst ist es schwierig, doch dann gelingt es mir. Ich muß den Atem anhalten, denn sie hat nur ein Auge in der Mitte. Die Augenfarbe ist blau.

Ich bin sogar früher als 7 Uhr wach und pünktlich beim Frühstück, das für die Umstände sehr gut und passend ist. Ich gebe den Schlüssel dieses Hauses ganz achtsam ab. Die Herausforderungen des Tages sind, wie finde ich ohne meine Kompass Pro Anwendung auf dem Handy meinen Weg ohne mich dabei großartig zu verlaufen? Wie kriege ich den Schlüssel wieder nach Bensheim ohne Postämter auf dem Weg?

Ich gehe los. Es ist noch morgendlich frisch und der Aufstieg liegt vor mir. Ich verlasse das Dorf und wandere zur höchsten Erhebung des Odenwaldes. Überall wird bereits die Heuernte vorbereitet, die Heuwender sind unterwegs und das Heu fliegt nur so durch die Luft. Ich sehe einen roten Milan (oder auch Gabelweihe) aufsteigen. Wow! Ich bin beeindruckt von diesen kunstvollen Seglern, die auch wegen ihrer Segelkünste und Vorliebe für Aas die Geier des Nordens genannt werden.

Ich komme gut voran. Ich habe inzwischen einen Schrittrhytmus beim Gehen entwickelt, so dass ich nicht außer Atem komme und mich auf jeden Schritt entspannt konzentriere. Auf einmal sehe ich ein Reh vor mir auf dem Weg. Es bemerkt mich gar nicht. Ich komme bis auf fünf Meter nah an das Tier ran. So nah war ich einem Reh in freier Wildbahn noch nie. Auf einmal entdeckt es mich, schreckt hoch und verschwindet schnell im Wald. Eine ähnliche Begegnung mit einem Reh habe ich eine halbe Stunde später noch einmal. Diesmal bin ich es der erschrickt, aber ich springe nicht in den Wald.

Zügig erreiche ich die höchste Erhebung des hessischen Odenwaldes der Neukirchener Höhe mit über 600 Metern. Hier steht auch der Kaiserturm, ein Ausflugsziel, das geschlossen hat. Es gibt auch keinen schönen Panoramablick, da der Wald den verstellt. Aber zur meiner Beruhigung ein Schild des Odenwaldclubs, der alle möglichen Wege zeigt und erklärt, unter anderem den E8. Ich bin also noch richtig.

Vom Kaiserturm aus geht es zum Ort Winterkasten immer leicht abwärts. Zuerst durch den Wald und dann durch Felder. Ich durchquere den Ort und komme dann auf einen sehr schönen Weg, der zu dem Städtchen Lindenfels führt. Ein toller Höhenweg, von dem man aus die ganze Umgebung gut sehen kann. Er wird auch von anderen Spaziergängern genutzt. Einen alten Mann werde ich nicht vergessen. Er kommt direkt auf mich zu und sagt erfreut: „Ach, Karl-Heinz!“ Ich bin erstaunt und sage ihm, wie ich wirklich heiße. Er ist enttäuscht und geht weiter.

Auf dem Weg nach Lindenfels sind auf 1000 Meter drei geologische Stationen verteilt, da hier drei ganz unterschiedliche Gesteinsarten zu sehen sind. In der Mitte ist der Bismarkturm, von dem aus ich einen tollen Blick in das Tal habe. Lindenfels ist ein hübsches aber sterbendes Städtchen. Ich versuche ein Ladegerät zu kaufen. Alle schicken mich zu den größeren Städten wie Bensheim oder sogar Darmstadt. Viele Geschäfte sind geschlossen. Ich verlasse Lindenfels. Es geht erst abwärts und dann wieder aufwärts. Der Weg ist zuerst angenehm breit und wird dann immer schmaler. Am Schluß werde ich immer wieder von Brombeerranken angegriffen. Einmal muss ich sogar auf alle viere, weil ein umgestürzter Baum den Weg versperrt. Hier scheint nicht oft jemand zu wandern.

Ich komme raus dem Wald an einer Kreuzung von Landstraßen. Es ist inzwischen bewölkt. Jetzt geht es nochmal steil hoch durch den Wald. Ich schwitze stark und muss immer wieder niesen. Ich habe Heuschnupfen. Da überall im Odenwald gerade das gute Wetter zur Heuernte genutzt wird, habe ich anscheinend meinen Teil mitbekommen.

Ich folge dem Nibelungenpfad eine zeitlang bis ich die höchste Erhebung erreicht habe. Überall ist Wald, alles ist sehr ruhig.

Am Schluß meiner heutigen Wanderung komme ich im Ostertal an. Dort finde ich einen Landgasthof. Jetzt lösen sich die zwei Dinge auf, die ich von Bensheim mitgenommen hatte. Den Schlüssel gebe ich dem Wirt. Der Wirt ist der Bruder der Wirtin aus Bensheim, mit der ich gestern noch telefonieren konnte. Der Wirt hat auch ein Ladekabel für mich. Hurra, die virtuelle Welt hat mich wieder. Deshalb gibt es heute nur ein Foto zur Auswahl, der Blick aus meinem Zimmer.

Wie ich ohne Handy den Weg gefunden habe? Am Abend hatte ich mir am Laptop den Weg angeguckt und mir charakteristische Landzeichen, wie den Kaiserturm gemerkt. Dem Odenwaldclub sei Dank, habe ich dann immer wieder eine E8 Wegmarke gefunden, wenn ich anfing unsicher zu werden. Ich habe mich kein einziges Mal verlaufen!

In dem Landgasthof kriege ich am Abend ein Zimmer und etwas zu essen. Es ist überraschend voll. Heute ist Schnitzeljagd. 15 verschiedene Arten der Schitzelzubereitung werden angeboten, sonst gibt es nichts. Kein Gasthof für Vegetarier. Es sind nur Einheimische da. Sie reden alle einen Dialekt, den ich kaum verstehe. Sie sehen anders aus und haben andere Kleidung an als ich. Ich fühle mich mittendrin seltsam alleine und exotisch.

Im Odenwald: Bensheim – Gadernheim

Ich war so müde von gestern, dass ich glatt verschlafen habe. Später als geplant breche ich auf. Auerbach ist ein hübsches altes und gut gepflegtes Städtchen. Alles ist entschleunigt. Sogar die Verkehrspolizei, die ich dabei beobachten durfte, wie sie zu zweit in einer Spielstraße eine Radarfalle aufgebaut haben und dann in aller Ruhe warteten. Nur Autos kamen nicht. Oberhalb von Auerbach fängt das sogenannte Fürstenlager an, ein großer Park mit vielen historischen Gebäuden. Hier starten eine Reihe von Wandertouren alle mit einem Blick auf das Rheintal. In der Ferne kann ich heute auch die Pfalz sehen, gut erkennbar an den Windrädern. Windräder scheint es in diesem Teil von Hessen nicht zu geben. Die Pfalz war gespickt damit. Das Wetter ist sonnig, aber nicht so warm wie gestern, weil im Odenwald ein schöner Wind bläst.

Ich laufe durch das Fürstenlager und nehme mir vor, hier mal mit meinen Kindern einen Tagesausflug zu machen. Die werden sich freuen! Besonders mein Jüngster … Alles ist sehr gut organisiert. Sogar ein erstes Hilfeset steht hier zur Verfügung (siehe Beitragsbild). Vielleicht komme hier ja gerne Senioren und lustwandeln in den schönen Anlagen. Ich lerne eine serbische Sonderpädagogin mit ihrem Schützling kennen. Sie bietet mir ein Zimmer an, falls ich auf meiner Reise durch Serbien kommen sollte. Ihre Telefonnummer habe ich auch.

Es geht durch den Wald auf die Ludwigshöhe. Von dort aus in Richtung Norden. Auf dem Weg treffe ich auf ein Jerusalem Denkmal. Es sind polierte Steinplatten die halbkreisförmig aufgestellt sind. Eine Tafel weist darauf hin, was das für ein Ort ist und dass Jerusalem 3000 km entfernt ist. Ob das stimmt? Ich wandere weiter.

Immer wieder kommen Fahrradfahrer. Entweder als einzelnes Mensch-Mountainbike-Wesen oder als Paar. Mir fällt auf, dass die Paare meistens älter sind und E-Bikes fahren. Und das ganz schön flott. Dabei ist folgende Variante beliebt: er fährt mit Muskelkraft und sie mit E-Batterie. So haben beide ein Gemeinschaftserlebnis, ohne dass sich ein Partner bis zur Erschöpfung verausgaben muss um mitzuhalten.

Im Odenwald gibt es sehr viele unterschiedliche Wanderwege. Auch verschiedene Fernwanderwege. Hier treffen sich E8 und E1. Ich bewege mich Richtung Tal und komme an Wiesen, wo gerade geheut wird, und an einem Steinbruch vorbei. Es ist alles sehr idyllisch. Im Tal liegt der Ort Reichenbach.

Es ist Mittagspause und ich suche nach einer Möglichkeit etwas zu essen. Corona scheint seine Folgen hier besonders in der Gastronomie zu haben. Die Gasthäuser sind geschlossen oder bieten einen Bestelldienst an. Leider nicht zur Mittagszeit. Doch ich habe Glück, Doras Café hat offen. Dora und ihr deutscher Mann sind gerade dabei einen großen neuen Apparat anzuschließen unter der Empfehlung von Einbahnverkehr, so dass die Ansteckungsgefahr geringer wird. Beide müssen darüber lachen. Hier kriege ich etwas zu trinken und selbstgemachte Kuchen. Dora und ihr Mann unterhalten sich mit mir. Dora kommt ursprünglich aus Polen und lobt das deutsche Gesundheitswesen sehr. Sie hat ihre polnische Mutter sogar nach Deutschland geholt, so dass sie medizinisch besser versorgt wurde. Die Mutter ist inzwischen verstorben. Ob das auch etwas mit dem deutschen Gesundheitssystem zu hatte, habe ich mich nicht getraut zu fragen. Doras Mann hat mir dann noch einen Tipp gegeben. Ich soll nach einem Gepäckservice in meiner nächsten Unterkunft fragen. Das Tragen des Rucksackes könnte meine Wanderlust negativ beeinflussen. Womit der gute Mann natürlich recht hat. Ich bin ja kein Muli.

Frisch gestärkt geht es weiter. Nach Reichenbach geht es erstmal wieder hoch. Der stärkste Anstieg an diesem Tag. Natürlich in der Mittagshitze. Aber ich habe Glück, entweder Schatten durch Bäume oder ein frischer Wind, wenn ich über die Wiesen und Felder wandere. So macht Wandern Spaß!

Unvermittelt komme ich an einer 17 Meter hohen Felsformation aus widerstandsfähigem Odenwald-Quarzit vorbei, ringsum sind hohe Bäume. Der Felsen ist das Ziel vieler Kletterfreunde und wurde vom Deutschen Alpenverein als Kletterfelsen anerkannt. Ich verzichte darauf, ihn auszuprobieren und denke an meine zwei Abstürze als ich früher klettern gewesen war.

Nach dem Wald kommen Felder und ich wandere durch Raidelbach nach Gadernheim. Ich finde hier Quartier. Der Wirt kann mir leider nichts zu essen anbieten. Seine Frau und er sind gerade heute aus Ungarn wiedergekommen. Beide waren müde und ich war froh, dass ich wenigstens ein Zimmer bekommen habe. Am Abend auf der Suche nach etwas zu essen, musste ich feststellen, dass auch die anderen Gasthäuser kein warmes Essen mehr anbieten. Ich vermute Corona auch hier als Ursache. Corona ist meiner Meinung nach, nicht – wie anfänglich befürchtet eine Versorgungskrise (Nahrung, Hygienartikel), sondern eine Freizeitkrise. Also eine Krise der organisierten und kommerzialisierten Freizeit. Und wie in jeder Krise werden jetzt Überkapazitäten abgebaut. Das scheint auch auf den Odenwald als Naherholungsgebiet zu zutreffen. Ich finde dann doch noch etwas, eine Dönerbude im Familienbetrieb. Wird das die Zukunft der Gastronomie im Odenwald sein? Heute ist mir das egal, Hauptsache es schmeckt mir.

Vom Rhein an den Rand des Odenwalds – Worms – Bensheim

Heute ist es sommerlich warm. Ich breche entsprechend früh in Worms auf, um die kühle Morgenluft gut auszunutzen. Ich mag es nicht, wenn es zu warm ist und ich vermute, meiner Krankheit tut es auch nicht gut.

Auf dem Weg zum Rheinufer begegne ich Schulkindern, alle mit Gesichtsmaske. Am Rheinufer treffe ich auf das Hagendenkmal. Hagen ist meine Lieblingsfigur im Nibelungenlied. Am Rheinufer geht es flussaufwärts bis zur Nibelungenbrücke und dann über den Rhein. Auf der anderen Uferseite geht es nach links und ich freue mich: eine E8 Wegmarkierung, richtig mit Sternen und blauen Hintergrund. Liegt es daran, dass ich jetzt in Hessen bin? Hessen – bedingt durch Frankfurt – denkt vielleicht internationaler als die doch für mich provinziellere Rheinland-Pfalz. Schnell führt der Weg auf einen Hochdamm, der zum Schutz vor Überschwemmungen angelegt wurde. Hier lässt es sich angenehm wandern. Ein bisschen erhöht habe ich einen schönen Blick. Überhaupt kann ich kilometerweit gucken. Hier gibt es kaum Höhenmeter zu überbrücken, hier ist alles flach und ich kann mein Tagesziel den Odenwald schon jetzt gut erkennen.

Von dem Hochdamm geht es nach rechts durch die Felder in den Ort Hofheim rein. In einem Lebensmittelladen kaufe ich mir eine Brotzeit. Von Hofheim aus geht eine Landstraße durch die Felder direkt nach Biblis. Und in Biblis finde ich 5(!) E8 Wegmarkierungen. Ich werde leicht euphorisch. Ich hatte schon die Befürchtung, dass der E8 das gleiche Schicksal wie die Trimm-Dich-Pfade in den 70ern in der alten BRD erlitten habe. Nach einem Boom sind diese heutzutage mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Aber nicht der E8 in Biblis! 5! Und ab Biblis tauchen jetzt regelmässig E8 Wegmarken auf. Sie geben mir Orientierung und das Gefühl der Sicherheit auf dem richtigen Pfad zu sein. Vielleicht liegt es ja doch daran, dass ich jetzt in Hessen bin.

Nach Biblis geht es einen Bachauenwald entlang, in dem es viele Erlen gibt. Ich liebe diese Baumart, hat sie ja etwas magisches und ein bisschen unheimliches an sich. Sie wächst gerne an Bachläufen oder an dem Rand von Mooren und Sümpfen und galt früher als ein Hexenbaum. Goethe hat dieses düstere Motiv dann in der Ballade „Der Erlkönig“ genial aufgegriffen. Heute bieten mir die Erlen Schatten und ich mag es sie anzuschauen. Ich mache an einer Bank Rast.

Von dort aus geht es mit einem Linksknick an der IBB Biblis vorbei. Was das ist? Das International Broadcasting Bureau. In Deutschland betreibt das IBB Kurzwellensender für Radio Free Europe/Radio Liberty in Biblis (laut Wikipedia) und hat hier einen beeindruckenden Park von Radiosendern und Masten aufgebaut.

Danach wieder rechts durch ein Waldgebiet. Allmählich ist es richtig heiß geworden. Obwohl ich im Schatten der Bäume gehe, merke ich, dass ich noch nicht so richtig fit bin und werde langsamer. Jetzt wird es merklich anstrengender für mich. Um mich abzulenken, fange ich an über Themen nachzudenken.

Ein Thema möchte ich gerne mit euch teilen, über das ich schon seit Zell nachdenke, als ich mich mit dem Ehepaar aus Niedersachsen unterhalten habe. Der ungefähr 2 Jahre ältere Ehemann hat mich befragt, wieviel Kilometer am Tag ich laufen würde, was mein Ziel ist, wie schwer der Rucksack ist, wieviele Kilometer insgesamt usw. Also viele Zahlen oder Leistungsparameter, um meine Leistung einschätzen zu können und sie mit seinem eigenem Leistungsvermögen vergleichen zu können. Mir ist aufgefallen, dass ich das von vielen so gefragt werde oder sie sich dafür interessieren. Ich stelle an mir persönlich fest, dass mich das immer weniger interessiert und mich zur Frage bringt, was ich eigentlich in diesem Blog schreiben will.

Vielleicht dazu eine kleine Provokation? Kennt ihr das Gedicht Osterspaziergang von Goethe?

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück; …

Wenn Goethe heutzutage nach seiner Wanderung befragt worden wäre, würde sein Osterspaziergang so aussehen:

Ostersonntag 2020, Strecke: von Frankfurt am Main nach Hanau in 4 Stunden, 18 Kilometer, mit Tragegewicht 4 Kg, 10–15 Höhenmeter, eigenes Körpergewicht lag bei 80 kg, ohne Sportausrüstung. Konkurrenz: ich habe Meister Eckhard 10 Minuten Vorsprung abgenommen und es war eine gute Vorbereitung für den nächsten Frankfurt Marathon, da werde ich dem jungen Schiller aber mal so richtig zeigen, wer der Altmeister ist.

Unsere Gesellschaft hat das Galilei Motto „Alles messen was messbar ist, und messbar machen, was noch nicht messbar ist“ vollständig auf den Freizeitbereich übertragen. Alles nicht messbare beim Wandern, wie z.B. sinnliche Eindrücke der Natur oder Begegnungen mit anderen Menschen oder Gefühle werden dagegen oft ignoriert.

Ich habe mich entschlossen, bei diesem Blog mehr auf diese nicht messbaren Qualitäten zu achten. Wenn euch die messbaren Inhalte mehr interessieren, dafür gibt es inzwischen gute Informationen im Internet, die genaue Steckenprofile der Abschnitte des E8 zeigen oder Vergleichsinformationen mit anderen Wanderern bzw. Sportlern.

Inzwischen bin ich vor den Toren Bensheim angelangt. Ich bin müde und erschöpft und hier ist es über 30 Grad Celsius warm. Von unterwegs habe ich mir telefonisch ein Zimmer organisiert. In Bensheim stehe ich auf einmal vor einem steilen Anstieg. Die halbe Stadt liegt am Hang und meine Unterkunft liegt ganz oben. Wenn ich jetzt ein Taxi sehe, dann lasse ich mich die letzten 800 Meter vor die Haustür fahren. Aber kein Taxi ist in Sichtweite und ganz langsam gehe ich den Berg hoch.

Endlich angekommen, beziehe ich gleich mein Zimmer, dusche und lege ich sofort ins Bett und schlafe ein. Ich bin fix und fertig.

Zell – Wachenheim – Monsheim – Pfeddersheim – Worms

Heute habe ich mein bisher bestes Frühstück bekommen: frische Brötchensorten vom Bäcker, selbstgekelterter Traubensaft, verschiedene kleine herzhafte Leckereien, Müsli, Hausmacher Wurst und die Tageszeitung. Jetzt schreibe ich schon wie für Kinder, frei nach Enid Blyton, regelmässig muss man schreiben, das es etwas Leckeres zu essen gibt. Verzeiht, ich werde mich mit Essensbeschreibungen ab sofort zurückhalten.

Dann geht es auch schon wieder los. Ich nehme die ein bisschen höhergelegene Straße nach Wachenheim. Die Sonne scheint und die Luft ist klar. Von der Straße habe ich einen besseren Blick in die Weinberge und das Tal der Pfrimm. Nach einem kleinen Friedhof, nehme ich nach rechts den Weg durch die Weinberge runter nach Wachenheim. Dabei schrecke ich einen Fasan auf. Schon toll, wieviele Tierarten ich auf dem Weg inzwischen erleben durfte.

In Wachenheim geht es an dem Bach Pfrimm abwärts. Bäume geben Schatten und ich komme gut voran. Vor Monsheim beginnt ein naturkundlicher Pfad, der immer wieder Schaubilder über Vögel zeigt. Der Wald ist hier dicht und naturbelassen. Der Weg ist schmaler geworden. Die Urwaldähnliche Atmosphäre gefällt mir.

Durch Monsheim geht es durch und danach wieder an der Pfrimm entlang bis nach Pfeddersheim. Kurz bevor die Wohnhäuser anfangen sind Plätze für die Pfeddersheimer eingerichtet worden, an denen sie grillen können. Kurz darauf wundere ich mich über den Lärm den grüngelbe Vögel in den Bäumen machen. Vögellärm der mir fremdartig und exotisch vorkommt. Ich treffe auf einen älteren Mann mit einer Kamera und einem Riesenobjektiv, der aufmerksam die Baumkronen beobachtet. Er erklärt mir dann, dass es sich bei den Vögeln um Halsbandsittiche handelt. Diese Vögel sind irgendwann aus ihrer Gefangenschaft ausgebrochen und haben inzwischen erfolgreich eine Kolonie hier in Pfeddersheim gegründet.

Es geht weiter nach Pfeddersheim hinein durch ein Wohngebiet. Mein Vater war vor circa 40 Jahren in Pfeddersheim ein paar Jahre stationiert gewesen. Wir haben ihn damals dort besucht und in dieser Zeit hat er seine Vorliebe für Wein entwickelt. Ich habe Pfeddersheim als langweiligen Ort in Erinnerung und daran hat sich anscheinend nichts geändert. Die Bundeswehr hat in der Zwischenzeit diesen Standort aufgegeben.

Am Bahnhof wartet ein ehemaliger Kollege auf mich. Ich freue mich ihn zu sehen und wir packen meinen Rucksack in sein Auto. Er fährt uns nach Worms und wir verbringen ein paar Stunden am Rhein in einer der beliebten Strandbars. Dabei trinken wir gemeinsam etwas und tauschen uns darüber aus, wie es uns in den letzten Monaten ergangen ist. Er gibt mir noch ein paar gute Tips, was ich mir morgen mit meinem Sohn in Worms angucken kann. Dann ist es auch schon Zeit, Abschied zu nehmen und meinen jüngsten Sohn vom Bahnhof abzuholen. Ich freue mich ihn in die Arme zu nehmen und bring ihn zu dem Hotel, wo wir die Nacht verbringen. Morgen werden wir gemeinsam Worms angucken und dabei darauf achten, dass ich auch einen Erholungstag vom Wandern habe.

Dannenfels – Bolanden – Albisheim – Zellertal – Zell

Nach einem sehr guten Frühstück, zu dem viel nachgeschenkt wurde, breche ich von Dannenfels aus. Der ganze Ort Dannenfels liegt quasi in Hanglange. Wer von der Unterstraße zur Oberstraße geht, macht richtig viele Höhenmeter. Jeder Bürger, der dir wohlgesonnen ist, rät deshalb die höhere Straße nur dann zu verlassen, wenn es unbedingt notwendig ist. In dem Ort gibt es richtige schöne Esskastanien in unterschiedlichen Altersstufen. Richtig alte Bäume mit mächtigen Stämmen und dann auch noch echte Jungbäume. Alle blühen sie.

Ab Dannenfels geht es mit 2 Unterbrechungen immer leicht bergab. Man kommt zuerst durch Felder. Hier sehe ich zum ersten Mal fliegende Heuschrecken, immerhin 6 Exemplare. Ob es schon immer fliegende Heuschrecken in Deutschland gegeben hat oder ob diese Art wegen der Klimaerwärmung jetzt in die Pfalz eingewandert ist, weiß ich nicht.

Nach den Feldern geht es wieder links in den Wald. Alles ist schön grün. Man kommt durch den Ort Bolanden. Am Anfang sieht man einen Sportplatz, dann kommen die Neubausiedlungen mit vielen großen Häusern. Je näher ich dem alten Ortskern komme, desto älter und kleiner werden die Häuser. Ich sehe kaum Menschen auf der Straße, alle Geschäfte haben zu.

Danach geht es in Richtung Bolanderhof. Nach dem Hof muss man aufpassen, da die Karte kurz wieder die falsche Richtung anzeigt. Anstelle von links muss man rechts gehen und kommt dann zu einer Unterführung der Autobahn A63. Nach der A63 Unterführung geht es auf einen flachen Berg den Galgengewanne, der später in den Wartberg übergeht. Der Berg ist ein kleines Hochplateau, auf dem zahlreiche Windräder und viele Felder stehen. Der Aufstieg lohnt sich, es gibt einen fantastischen Rundblick, der einen auf den nächsten Kilometern begleitet.

Am Ende des Wartberges geht es rechts nach Albisheim. In dem Ort gibt es leider keine Gasthäuser mehr, dafür aber ein Edeka Markt, einen fantastischen Kinderspielplatz und ein tolles Biotop um einen Weiher herum. Warum mir der Kinderspielplatz gefällt? Es gibt tolle fast schon natürliche Spielgeräte, wie eine Hangrutsche, ein Atrium im Hang und eine Reihe von Baumstämme (siehe Beitragsbild), die übereinander liegend eine herrliche Herausforderung für Kinder sind. Dementsprechend gut ist der Spielplatz gut besucht. Das Feuchtbiotop ist durch einen Elektrozaun geschützt. Mit meinem Fernglas kann ich trotzdem einige Tiere gut beobachten. Gut, die Frösche hört man auch so sehr deutlich, aber ich sehe 5 Reiher, 4 Nilgänse, 3 Blesshühner, 5 Stockenten und ich möchte nicht wissen, was mir alles entgangen ist. Eine Brücke zum Beobachten hat der Nabu aufgestellt und dabei auch eine Liste einer Biologin aufgehängt. Diese Liste zeigt über 76 verschiedene Vogelarten auf, die von ihr beobachtet wurden. Aktuell war die Liste auch: Juni 2020.

Es ist schwülwarm und ich beschließe im nächsten Ort Zellertal nach einer Unterkunft zu suchen. Meine Beine werden müde und ich gehe bewusst ein bisschen langsamer. In Zellertal sind aber leider alle Gasthäuser zu oder wegen Corona geschlossen. Ich fange schon an, Autofahrer anzusprechen, ob sie in den nächstgelegenen Ort Wachenheim fahren und mich mitnehmen können. Aber keiner oder keine will nach Wachenheim. Am Ortsausgang fällt mir ein Schild auf: Hotel Kollektur in Zell. Ganz in der Nähe. Ich rufe an und kriege tatsächlich die freundliche Auskunft, das ein Bett frei ist, der Restaurantbetrieb leider geschlossen hat. Es wird sogar noch besser, Zell liegt auf dem Berg und ich stehe im Tal. Aber ich muss nicht abgekämpft die Steigung hochlaufen, sondern werden mit dem Auto abgeholt. Das Hotel ist in einem schön renovierten historischem Kollekturhaus aus dem 18. Jahrhundert. Die Aussicht von der Dachterrasse ist abwechslungsreich und ich kann mit viel Muße dort sitzen und mich einfach freuen, angekommen zu sein. Es gibt sogar – trotz geschlossenem Restaurant – einen Flammkuchen und ein belegtes Brot für mich zu essen. Der Gastgeberin sei Dank! Mit mir sind noch 6! weitere Gäste da: ein Ehepaar aus Niedersachsen und 4 Freundinnen, die ihre Freundschaft mit Sekt feiern. Mit dem Ehepaar komme ich in ein gutes Gespräch, da sie auch wanderbegeistert sind. Nach einem Tag alleine auf dem Weg ist das jetzt genau das richtige für mich.

Morgen plane ich nach Worms zu wandern. Ich möchte dann einen Tag Pause einlegen, mich mit einem ehemaligen Mitarbeiter treffen, der in Worms lebt. Am Abend kommt mein jüngster Sohn aus Frankfurt. Wir werden dann am Montag gemeinsam Worms erobern. Ich freue mich schon auf die Sohn-Vater-Zeit.

Rockenhausen – Marienthal – Bastenhaus – Donnersberg – Dannenfels

Mit einem reichhaltigen Frühstück im Bauch verlasse ich Rockenhausen im Norden, um wieder auf den E8 in östlicher Richtung zu kommen. Ich habe Glück gleich am Anfang kommt ein Naturwaldreservat. Ein gemischter Eichen- und Buchenwald, der sich selbst überlassen wurde und sich jetzt wieder Richtung „Urwald“ entwickeln soll. Das wird meiner Meinung nach noch ein paar Jahrhunderte dauern, aber ein Anfang ist ja gemacht, wie schön. Und schon habe ich meine erste tierische Begegnung des Tages. Mitten auf dem Weg kommt mir ein Marder entgegen! Erst bei einer Entfernung von 15 Metern bleibt er stehen, schaut mich an und kehrt um und trollt sich. Ich hatte Marder immer für nachtaktiv gehalten und hatte noch nie einen in freier Wildbahn gesehen. Ich bin entzückt und dann noch tagsüber. Aber zu dieser Jahreszeit anscheinend keine Seltenheit, da die Marder auf Partnersuche sind und tagsüber ihr Revier markieren um zu zeigen, was für tolle Typen sie sind.

Immer wieder sind Naturwaldreservatschilder aufgestellt (siehe Beitragsbild). Es ist ein Hirschkäfer darauf abgebildet. Der Hirschkäfer ist eines meiner zwei Krafttiere. Wer selber daran interessiert ist, seine Krafttiere zu finden, kann sich gerne an Helga and Manfred Weule wenden, die mir dabei geholfen haben. http://i-cons.info/was_tut_sich.htm

Ich freue mich jedenfalls die Schilder mit meinem Krafttier zu sehen. Noch schöner wäre es natürlich, den Hirschkäfer in der Natur zu sehen. Die Chancen sind aktuell gar nicht schlecht, da Hirschkäfer in alten Eichenbeständen vorkommen und Juni und Juli die Monaten sind, in denen sie in ihrer Käferform auftreten. Hirschkäfer gehören übrigens zur Gattung der Waldkäfer, die man auch „Schröter“ nennt.

Nach dem Wald geht es links auf eine Landstraße, die kurz danach in einer anderen Landstraße mündet. Es geht geradeaus weiter am Waldrand entlang. Später geht es dann links wieder in den Wald und auf den Wolfkopf (420 meter ü. N.N.). Leider ist es auf dem Gipfel bewaldet und man hat keine Aussicht.

Weiter geht es dann durch Getreidefelder Richtung Marienthal. Achtung an der Landstraße gibt es keine Wegmarkierung und auch meine Kompasswander Anwendung zeigt den falschen Weg. An der Straße müsst ihr rechts gehen und nicht links! Nach ca. 200 Meter kommt dann auf der linken Straßenseite wieder der Wanderweg, der mit einer Holzbrücke über den Bach nach Marienthal führt. Marienthal ist ein sehr gepflegter kleiner Ort, hat aber leider keine Netzverbindung. Die einzige Kneipe hat nur Mittwochs, Donnerstags und Samstags offen. Heute leider nicht. Ich setze mich trotzdem in den Garten und esse meine Brotzeit und mache eine kleine Pause.

Dann geht es weiter durch den Wald nach Bastenhaus. Inzwischen hat es das Regnen angefangen. Ich bin froh als ich Bastenhaus erreiche, da es dort ein Wellnesshotel gibt, dass offen hat. Ich bekomme dort Kaffee und Kuchen. Als es zu regnen aufhört, wandere ich weiter. Der Donnersberg wartet auf mich. Der Donnersberg ist der höchste Berg der Pfalz. Richtig geht es dann auch einen schmalen und steilen Pfad durch einen Buchenwald hoch. Eine Steigung, wie ich sie durchaus auch schon in den Alpen erlebt habe. Ich gehe ruhig und langsam um nicht außer Atem zu kommen. Auf einmal höre ich vor mir ein Geräusch. Ein Mountainbiker kommt mir auf seinem Rad entgegen. In 10 Meter Entfernung bleibt er vor mir stehen. Helm, schwarzes Dress, dazu ein passendes stylisches Mountain Bike, Schutzbrille, ich kann einen weißen Bart erkennen. Er wartet bis ich an ihm vorbeikommen, dann grüßt er mich respektvoll und bedankt sich. Ich bin überrascht und frage ihn: „Warum?“ Er antwortet, dass er durch mich gezwungen war, innezuhalten und langsamer zu fahren und dass sei gut für ihn. Spontan ergänze ich: „Und gesünder“. Er lacht und sagt mir, dass ich damit recht hätte. Endlich mal ein Mensch-Maschine-Wesen, das nicht durch den Wald ohne Rücksicht und Achtsamkeit geschwindigkeitsoptimiert rast, sondern meine pure Gegenwart als Symbol für Entschleunigung und damit für sich als lebensrettend wahrnimmt. Ich bin erfreut.

Am Abend komme ich müde in Dannenfels an. Die letzte Stunde hatte es geregnet. Glücklicherweise wanderte ich durch einen erwachsenen Buchenwald. Die Buchen sind clever und fangen den Regen mit den Blättern ein, leiten das Wasser am Stamm entlang zu ihren Wurzeln am Boden. Ich selber bleibe trocken.