Archive : Eiserner Vorhang

Im Waldviertel entlang der Thaya: Hardegg – Weinstadt Retz

Es ist bewölkt und nieselt ein bisschen, als ich aufbreche. Zuerst mache ich einen kurzen Abstecher auf die Brücke. Diese Brücke gab es während der Zeit des Eisernen Vorhanges nicht. Jetzt ist es eine Fussgängerbrücke und es gibt einen regelmässigen Grenzverkehr. Der Wirt ist z.B. ein gebürtiger Tscheche, der sie täglich benützt.

Die Thaya dampft. An einem Flusspfad entlang wandere ich durch das Naturschutzgebiet. Alles ist ruhig und ich sehe Nebelbänke. Der Weg ist nass vom Regen und glänzt. Gleich am Anfang finde ich riesige Pilze. Es liegt über allem eine sehr romantische Stimmung. Eichendorff hätte sich gefreut. Der Regen hört auf und manchmal muss ich unter umgestürzte Bäume oder darüber klettern. 

Schließlich biege ich rechts ab und es geht steil bergauf. Ich erreiche einen Umschwung. Der Flusslauf der Thaya hat hier viele Schleifen und der Umschwung ist eine kurze aber steile Verbindung zwischen zwei Schleifen. Von dort gibt es einen herrlichen Blick auf eine Thayaschleife.

Auf dem Umschwung

Auf der anderen Seite steige ich bergab und nach kurzer Zeit verlasse ich den Fluß und folge einem Bachlauf. Schade, dass Thayatal hat mir sehr gut gefallen.

Ich wandere den Bachlauf hoch und laufe heute den größten Teil des Weges durch lichten Wald. Nur zweimal kreuze ich eine Straße. Das glatte Gegenteil von gestern. Es ist wieder sonnig geworden und wird dann stechend heiß. Ich bin froh, dass ich die Stadt Retz am Nachmittag erreiche. Edi und Helmut kann ich leider nicht sehen, wahrscheinlich haben sie noch rechtzeitig ihren Bus erreicht und fahren zu ihrem Auto mit dem sie nach Linz fahren wollen. Schade, die beiden Männer sind wirklich lustig und angenehm. Ich hätte sie gerne noch auf einen Gespritzten eingeladen.

Retz hat einen beeindruckenden Hauptplatz, der über 1,6 ha groß ist. Ganz Retz soll mit Weinlagern unterkellert sein. Eine anderthalbstündige Führung bei 12-17 Grad Celsius wird angeboten. Das werde ich morgen vormittag buchen, allein schon wegen der Temperatur. Jetzt aber dauert es mir zu lange und ich fühle mich müde. Am Hauptplatz finde ich ein Gasthaus, in dem ich mich einquartiere.

Im Waldviertel entlang der Thaya: Geras – Hardegg

Es hat in der Nacht stark geregnet und gewittert. Sogar die Frösche aus dem Stiftsweiher haben irgendwann aufgehört zu quaken.

Es ist heute alles schön frisch und kühl. Am Vormittag ist es auch bewölkt und ich starte relativ spät los. Es geht mal wieder über Feldwege und durch die Getreidefelder. Heute fällt mir das Wandern leichter, obwohl ich am linken Fuß inzwischen eine Blase habe.

Zur Mittagszeit erreiche ich Langau. In einem Spargeschäft, das an einem Ausgang ein kleines Kaffeehaus eingerichtet habe, bestelle ich mir etwas zu Trinken. Der kleine Laden ist total voll: zwei Radlerpaare aus der Gegend von Linz, zwei Wanderer und ein Einheimischer. Die Radlerfrauen sind total extrovertiert und involvieren jeden in ein Gespräch. Nach einer kurzen Weile verabschieden sich die zwei Wanderer und ich werde ausgefragt.

Nach der Mittagspause geht es weiter, wieder über Felder, manchmal durch kleine Waldstücke. Heute ist viel mit Autos befahrene Landstraße dabei, das kann ich nicht leiden. Schließlich komme ich an eine Wegmarkierung, die mich verwirrt, da BEIDE Richtungen angezeigt werden. Ich entschließe mich für links und werde belohnt: auf dem Weg liegt ein großer und gut eingewachsener See. Ich kann nicht widerstehen und schon bin ich wieder nackt in einem Naturgewässer. Ich schwimme richtig lang und lass mich anschließend von der Sonne trocknen. Dann nehme ich die Wanderung wieder auf. Ich komme an einem Schild vorbei, in dem das Baden ausdrücklich verboten ist.

Schließlich komme ich wieder an einer ähnlichen verwirrenden Wegmarkierung vorbei, dann verstehe ich! Es hat sich dabei um eine eingebaute Wegschleife gehandelt. Egal. ob ich rechts oder links gegangen wäre, denn E8 hätte ich nicht verpasst. Das einzige, was hätte passieren können, dass ich den See verpasst hätte. Und das hätte ich trotz Badeverbot wirklich schade gefunden.

Es geht weiter durch den Wald und wieder entlang der Landstraße und durch Felder. Besonders fallen mir heute die Feldlerchen auf, die Krach machen für 10. Es ist anscheinend wieder Balz- und Brutzeit. Ich erinnere mich an letztes Jahr. Auf einmal rieche ich Kamille sehr intensiv. Und tatsächlich, anscheinend wird nicht nur Mohn in der Region angebaut, sondern auch Kamille. Ich passiere ein Kamillefeld.

Und schon wieder Landstraße, glücklicherweise nicht stark befahren. Inzwischen sind die Wolken weg und gleich wird es wieder wärmer. Eine nicht endenwollende ansteigende Straße führt schließlich in einen Wald, Ich habe den Thaya-Naturpark erreicht. Auf einmal kriege ich eine Nachricht auf mein Handy: ich sei jetzt in Tschechien. Und tatsächlich hier war die Thaya früher der Grenzfluss zum Warschauer Pakt oder auch der Eiserner Vorhang. Heute gibt es eine Brücke über die Thaya, die direkt auf die tschechische Seite führt. Es geht durch den Wald in Serpentinen abwärts bis zur Thaya. Inzwischen ist es nach 18 Uhr. In dem engen Tal wird es schattig. 

Ich suche mal wieder erfolglos nach einem Quartier für die Nacht. „Wir haben wegen Pandemie geschlossen!“ „Wir haben heute Ruhetag.“ „Wir sind ausgebucht, junger Mann Sie können doch nicht so spät buchen, das geht doch nicht“ Vielen Dank für den jungen Mann, wenn die Frau wüsste, wie alt ich wirklich bin. Ich schaue mir den Friedhof näher an. Es ist heute Abend warm und ich überlege schon, ob ich heute Nacht im Freien schlafe werde. Ich versuche noch mal mein Glück. Und tatsächlich in dem menschenleeren Dorf begegne ich einer tschechischen Blondine auf der Thayabrücke. Sie schickt mich zu einem Gasthof in der Nähe. Als ich ankomme, sehe ich einen halbnackten Wanderer auf dem Balkon stehen, der mir zeigt, wo es reingeht. Ich habe Glück, der Wirt vermietet mir eine Ferienwohnung für die Nacht. Aber es gibt kein Essen mehr. Vom Balkon kriege ich die Einladung zum Essen. Super!

Wie sich herausstellt, sind die Wanderer zu zweit und hatten mich schon Mittags im Kaffeehaus gesehen. Sie heißen Edi und Helmut und sind zwei ehemaligen Kollegen, die jetzt ihren Ruhestand mit Wanderungen verbringen. Edi meint: „Wir ham schon Mittags gewusst, dass wir dich wiedersehen werden.“ Verdutzt frage ich nach dem Warum. Helmut hatte sich schon zwei Tage vorher nach Zimmern in Hardegg erkundigt und wusste damit, dass unserer Gasthof, der einzige war, der noch Zimmer vermietet.

Die beiden haben sich im nahen Bäckerladen gut für ein Abendbrot eingedeckt. Ich werde eingeladen und stifte meine Flasche Mineralwasser und eine Packung Kürbiskerne. Aber vorher werde ich noch um Hilfe gebeten. Die Zimmer haben Badewanne mit Dusche. Aber Helmut – der bereits in der Wanne sitzt – weiß nicht, wie die Dusche angeschaltet wird. So sehe ich bei meiner zweiten Begegnung im Leben Helmut nackt in der Badewanne. Leider finde ich den Mechanismus auch nicht heraus.

Dann essen wir auf dem Balkon. Es gibt verschiedene Brotsorten, Aufschnitt, hartgekochte Eier und Gespritzten Wein. Am Ende werden sogar Quarktaschen (oder Topfengolatschen) serviert. Es ist richtig lustig. Helmut sitzt in Unterhemd und Unterhose und sorgt aufmerksam dafür, dass unsere Gläser nicht leer bleiben. Ich bin ziemlich schnell betrunken. Edi erzählt von der einzigartigen Beziehung zu seiner Tochter und wir unterhalten uns über unsere Töchter, unsere Wandererlebnisse und -begegnungen von heute, welche Route zum Schwarzen Meer für mich die beste sein könnte, warum es immer weniger Weitwanderer gibt und über bulgarische Krankenschwestern in Linz. Es stellt sich heraus, dass beide in der Nähe von Linz leben und dort lange an der Universität im Rechenzentrum gearbeitet haben. Also wieder Linz! Die Stadt und ihre Bewohner und Bewohnerinnen meinen es echt gut mit mir!