Ich war so müde von gestern, dass ich glatt verschlafen habe. Später als geplant breche ich auf. Auerbach ist ein hübsches altes und gut gepflegtes Städtchen. Alles ist entschleunigt. Sogar die Verkehrspolizei, die ich dabei beobachten durfte, wie sie zu zweit in einer Spielstraße eine Radarfalle aufgebaut haben und dann in aller Ruhe warteten. Nur Autos kamen nicht. Oberhalb von Auerbach fängt das sogenannte Fürstenlager an, ein großer Park mit vielen historischen Gebäuden. Hier starten eine Reihe von Wandertouren alle mit einem Blick auf das Rheintal. In der Ferne kann ich heute auch die Pfalz sehen, gut erkennbar an den Windrädern. Windräder scheint es in diesem Teil von Hessen nicht zu geben. Die Pfalz war gespickt damit. Das Wetter ist sonnig, aber nicht so warm wie gestern, weil im Odenwald ein schöner Wind bläst.
Ich laufe durch das Fürstenlager und nehme mir vor, hier mal mit meinen Kindern einen Tagesausflug zu machen. Die werden sich freuen! Besonders mein Jüngster … Alles ist sehr gut organisiert. Sogar ein erstes Hilfeset steht hier zur Verfügung (siehe Beitragsbild). Vielleicht komme hier ja gerne Senioren und lustwandeln in den schönen Anlagen. Ich lerne eine serbische Sonderpädagogin mit ihrem Schützling kennen. Sie bietet mir ein Zimmer an, falls ich auf meiner Reise durch Serbien kommen sollte. Ihre Telefonnummer habe ich auch.
Es geht durch den Wald auf die Ludwigshöhe. Von dort aus in Richtung Norden. Auf dem Weg treffe ich auf ein Jerusalem Denkmal. Es sind polierte Steinplatten die halbkreisförmig aufgestellt sind. Eine Tafel weist darauf hin, was das für ein Ort ist und dass Jerusalem 3000 km entfernt ist. Ob das stimmt? Ich wandere weiter.
Immer wieder kommen Fahrradfahrer. Entweder als einzelnes Mensch-Mountainbike-Wesen oder als Paar. Mir fällt auf, dass die Paare meistens älter sind und E-Bikes fahren. Und das ganz schön flott. Dabei ist folgende Variante beliebt: er fährt mit Muskelkraft und sie mit E-Batterie. So haben beide ein Gemeinschaftserlebnis, ohne dass sich ein Partner bis zur Erschöpfung verausgaben muss um mitzuhalten.
Im Odenwald gibt es sehr viele unterschiedliche Wanderwege. Auch verschiedene Fernwanderwege. Hier treffen sich E8 und E1. Ich bewege mich Richtung Tal und komme an Wiesen, wo gerade geheut wird, und an einem Steinbruch vorbei. Es ist alles sehr idyllisch. Im Tal liegt der Ort Reichenbach.
Es ist Mittagspause und ich suche nach einer Möglichkeit etwas zu essen. Corona scheint seine Folgen hier besonders in der Gastronomie zu haben. Die Gasthäuser sind geschlossen oder bieten einen Bestelldienst an. Leider nicht zur Mittagszeit. Doch ich habe Glück, Doras Café hat offen. Dora und ihr deutscher Mann sind gerade dabei einen großen neuen Apparat anzuschließen unter der Empfehlung von Einbahnverkehr, so dass die Ansteckungsgefahr geringer wird. Beide müssen darüber lachen. Hier kriege ich etwas zu trinken und selbstgemachte Kuchen. Dora und ihr Mann unterhalten sich mit mir. Dora kommt ursprünglich aus Polen und lobt das deutsche Gesundheitswesen sehr. Sie hat ihre polnische Mutter sogar nach Deutschland geholt, so dass sie medizinisch besser versorgt wurde. Die Mutter ist inzwischen verstorben. Ob das auch etwas mit dem deutschen Gesundheitssystem zu hatte, habe ich mich nicht getraut zu fragen. Doras Mann hat mir dann noch einen Tipp gegeben. Ich soll nach einem Gepäckservice in meiner nächsten Unterkunft fragen. Das Tragen des Rucksackes könnte meine Wanderlust negativ beeinflussen. Womit der gute Mann natürlich recht hat. Ich bin ja kein Muli.
Frisch gestärkt geht es weiter. Nach Reichenbach geht es erstmal wieder hoch. Der stärkste Anstieg an diesem Tag. Natürlich in der Mittagshitze. Aber ich habe Glück, entweder Schatten durch Bäume oder ein frischer Wind, wenn ich über die Wiesen und Felder wandere. So macht Wandern Spaß!
Unvermittelt komme ich an einer 17 Meter hohen Felsformation aus widerstandsfähigem Odenwald-Quarzit vorbei, ringsum sind hohe Bäume. Der Felsen ist das Ziel vieler Kletterfreunde und wurde vom Deutschen Alpenverein als Kletterfelsen anerkannt. Ich verzichte darauf, ihn auszuprobieren und denke an meine zwei Abstürze als ich früher klettern gewesen war.
Nach dem Wald kommen Felder und ich wandere durch Raidelbach nach Gadernheim. Ich finde hier Quartier. Der Wirt kann mir leider nichts zu essen anbieten. Seine Frau und er sind gerade heute aus Ungarn wiedergekommen. Beide waren müde und ich war froh, dass ich wenigstens ein Zimmer bekommen habe. Am Abend auf der Suche nach etwas zu essen, musste ich feststellen, dass auch die anderen Gasthäuser kein warmes Essen mehr anbieten. Ich vermute Corona auch hier als Ursache. Corona ist meiner Meinung nach, nicht – wie anfänglich befürchtet eine Versorgungskrise (Nahrung, Hygienartikel), sondern eine Freizeitkrise. Also eine Krise der organisierten und kommerzialisierten Freizeit. Und wie in jeder Krise werden jetzt Überkapazitäten abgebaut. Das scheint auch auf den Odenwald als Naherholungsgebiet zu zutreffen. Ich finde dann doch noch etwas, eine Dönerbude im Familienbetrieb. Wird das die Zukunft der Gastronomie im Odenwald sein? Heute ist mir das egal, Hauptsache es schmeckt mir.