Heute Nacht habe ich schlecht geschlafen. Das Zimmer ist hell und liegt der Hauptstraße zugewandt, so dass ich die regelmässig durchfahrenden Autos gut hören kann. Schließlich musste ich mich auch noch mit einer Mücke auseinandersetzen, die sich an mir mehrfach verging und mir immer wieder geschickt entfloh. Als ich müde zum Frühstück gehen wollte, habe ich sie dann doch noch erwischt. Rache ist süß!
Heute ist es trocken und kühl. Ich ziehe mir seit langem wieder zwei Oberteile an. Kurz hinter dem Ort geht es richtig bergauf und ich komme ordentlich ins Schwitzen. Kurz vor dem Gipfel begegne ich dem ersten freirumlaufenden Hund ohne besitzanzeigendem Menschen. Ein erster Hund zum Üben für die verwilderten Hunde in Rumänien? Nein, es ist ein süsser Dackel, der mich ein Teil meines Weges begleitet und dann wieder umdreht.
Schließlich erreiche ich das Gipfelkreuz des Ganterns. Als erstes wechsele ich meine Oberkleidung, beide Teile sind klitschnass. Das Gipfelkreuz hat auch ein Gipfelbuch, das ich mir interessiert anschaue. Es umfaßt die letzten zwei Monate. Kein Wanderer auf dem E8, zwei die den Jakobsweg von Regensburg nach Prag laufen und zwei die den Goldsteig wandern. Ansonsten nur Ausflugstouristen. Fernwandern ist in Deutschland inzwischen eine sehr rare Angelegenheit geworden.
Ich spüre, dass ich eine schlechte Nacht hatte. Es geht nur schwerfällig vorwärts und ich komme leicht ins Schwitzen. Einmal interpretiere ich sogar den Wegweiser falsch und laufe 400 Meter in die falsche Richtung. Glücklicherweise eine Sackgasse, wer weiß, wann ich es sonst gemerkt hätte.
Gegen Mittag komme ich in dem Ort Kunitz an. Ich suche eine offene Gastwirtschaft, aber heute ist Dienstag und damit Ruhetag. In einer Bäckerei bekomme ich eine Tasse Kaffee und einen Zwetschgendatschi und mache Mittagspause. Inzwischen ist es früher Nachmittag und ich überlege, wie weit ich heute noch kommen könnte. Ich laufe los und beschliesse, dass das Naturfreundehaus Kreuzhaus eine gute Entfernung hat. Ich rufe an und frage nach einem freien Zimmer. Der Wirt bedauert, da alles belegt sei, bietet aber sofort an, wenn ich komme, mich in einen benachbarten Ort zu fahren, wo ich etwas finden könnte. Ich danke für das spontane Angebot und nehme es an. Super! Wie freundlich von dem Wirt! Beruhigt gehe ich weiter. Nach Kunitz durchquere ich zuerst ein Bachtal und habe dann wieder einen ordentlichen Aufstieg vor mir bis ich auf einem Höhenkamm lande. Eine tolle Aussicht belohnt meine Anstrengung. Schade, dass es heute so wolkig und neblig ist. Ich könnte sonst bestimmt weitersehen. Der größte Teil des Weges führt jetzt durch den Wald. Ein paar Stellen bieten aber dann tolle Panoramablicke an. Es gibt hier einen Kult, den Verstorbenen zu gedenken. Eine eigens errichtet Kapelle und vier nebeneinanderstehende Holztafeln beeindrucken mich am meisten.
Gedenktafeln
Abends komme ich im Kreuzhaus an. Es ist kalt und ich bin wieder total durchgeschwitzt . Vor dem Haus sitzen zwei Männer, die rauchen und sich unterhalten. Der eine, ein Franke, gibt sich gleich als der Wirt zu erkennen, mit dem ich telefoniert habe. Ich setze mich dazu und bekomme gleich eine Johannisbeersaftschorle zum Trinken. Der andere Mann ist ein Niederbayer. Wir sprechen kurz darüber, wo ich ein Zimmer bekommen könnte. Plötzlich erinnert der Niederbayer sich an einen Bekannten, der ein günstiges Zimmer haben könnte. Fünf Minuten später ist die Sache arrangiert. Ich bin dankbar.
Dann bestelle ich mir ein Essen, das die Frau des Wirtes zubereitet: Echte fränkische Bratwürste, Brot und Kraut. Ich lasse es mir schmecken und muss immer wieder über den Wirt und seine Witze lachen. Der Mann hat einen knochentrockenen fränkischen Humor. Mit einem todernstem Gesicht erzählt er ein Witz nach dem anderen. Im Lokal selber sind eine Menge Stammgäste, die öfters zum Kreuzhaus hochkommen und sich auch gegenseitig gut kennen. Es ist eine vertraute Atmosphäre, die immer wieder von Lachen unterbrochen wird.
Nach dem Essen fährt mich der Wirt zu meiner Unterkunft. Es ist niemand da. Der Schlüssel steckt in einem Umschlag mit meinem Namen. Es ist eine richtige Pension.Im Erdgeschoss sind die Speisezimmer, Gastraum, Bar und Küche, Im ersten Stockwerk sind die Zimmer. Ich verabschiede mich von dem Wirt und bedanke mich nochmals für seine Hilfsbereitschaft. Wirklich toll!
Dann gehe ich in das Haus. Ein bisschen komisch fühlt es sich schon an, so ganz alleine in einem fremden Haus. Ich beziehe mein Zimmer. Alles ist sauber und ordentlich. Alle Räume sind mit modernen Bildern ausgestattet. Es gibt keinen Fernseher. Ein W-Lan ist vorhanden, aber keiner ist da, der mir das Passwort nennen könnte. Ich gehe einmal quer durch das Haus, um nach dem Passwort zu suchen. Dabei komme ich mir vor, als ob ich etwas verbotenes tun würde. Ich finde kein Passwort, aber eine Tageszeitung. Wer wohl die Gastwirte sein mögen? Vertrauen haben sie ja, dass muss ich ihnen schon lassen. Das Haus gefällt mir. Die Lage direkt am Wald. Die klare, ein bisschen altmodische Einrichtung mit den modernen Bildern. Es gibt auch ein richtiges Kinderspielzimmer. Die Coranabestimmungen liegen immer wieder rum.
Ich bin auf Morgen neugierig. Wen werde ich hier treffen? Wer und wie sind die Wirtsleute? Wie wird das Frühstück sein? Wie teuer wird die Übernachtung? Wie komme ich morgen wieder auf den E8?