Heute Nacht habe ich gut und lang geschlafen. Beim Frühstück bin ich der Letzte. Als ich Gotteszell durchquere, hält ein entgegenkommendes Auto neben mir: das Ehepaar aus Eschwege wünscht mir alles Gute für die weitere Wanderung! Irgendwie fühle ich mich dadurch vertrauter. Oft denke ich bei meinen Begegnungen mit den Menschen auf dem E8, dass ich sie wahrscheinlich nie wiedersehen werde, was diese Begegnungen für mich zu etwas Besonderem machen. Umso überraschender wenn ich dann doch jemandem zweimal oder auch mehrfach zufällig begegne.
Heute geht es erstmal stetig aufwärts, der größte Teil des Weges geht durch den Wald. An einem etwas dichterem Wegstück sehe ich auf einmal einen Schatten vor mir auftauchen. Ich erschrecke, es sieht aus wie ein Wolf! Nein, nicht ein Wolf, sondern sogar zwei!!! Auf die Begegnung mit verwilderten Hunden in Rumänien habe ich mich geistig schon vorbereitet. Die Begegnungen mit Wölfen dagegen hatte ich zurückgestellt, unter der Annahme, dass diese Tiere sehr scheu sind und den Menschen sowieso meiden.
Ich bleibe stehen. Die Tiere in etwa 30 Metern Entfernung bleiben auch stehen. Ich kann sehen wie ihre schwarzen Köpfe in meine Richtung sich drehen. Ich überlege, ob ich schnell meinen Rucksack ablegen soll als Schutz und nach meinem Messer greife. Auf einmal sehe ich, die Tiere sind nicht allein. Ein Mensch ist schemenhaft zu sehen. Also doch keine Wölfe. Ich bin erleichtert und marschiere weiter. Als ich die Gruppe erreiche, ist mein Adrenalinspiegel wieder auf Normalniveau. Es handelt sich um zwei belgische Schäferhunde, ihrer Besitzerin und deren Sohn.
Ich berichte den beiden von meinem Erschrecken und sie müssen lachen. Die Frau geht gerne mit den Hunden diesen Weg, weil hier so wenig Menschen gehen. Jetzt sind sie auf dem Rückweg und freuen sich schon auf das Mittagessen. Der Sohn hat dieses Jahr sein Abitur gemacht und möchte gerne in Österreich Psychologie studieren. Die inzwischen angeleinten Hunde beäugen mich kritisch, der jüngere knurrt mich anfangs sogar an. Im Laufe des Gesprächs fangen sie an sich zu langweilen, Für mich ein Zeichen, mich zu verabschieden und weiterzuziehen.
Zur Mittagszeit komme ich am Landshuter Haus an. Auf einmal sind viele Menschen da, Tageswanderer und viele Mountainbiker. Ich suche mir einen Tisch. Ich merke, dass die Anziehungskraft von Menschen auf mich in den letzten Tagen gestiegen ist. Die Belegschaft des Hauses hat eine Art Selbstbedienungssytem installiert. Dabei wird der Name und die Telefonnummer vom Wirt aufgenommen, der einem zuletzt noch eine Zahl zuruft. Diese Zahl habe ich dann sofort vergessen. Als ich meine Bestellung aufgegeben habe, fragt mich die Frau nach dieser Nummer. Ähh? Wie war die noch mal? Die Frau hinter mir hat aufgepasst und ruft mir zu: „Meine Nummer ist die 57,“ Aha, und Dankeschön!
Coronabedingt sitze ich an einem Tisch alleine. Es ist interessant, die verschiedenen Gruppen zu sehen: Familien oder Mütter mit Kindern, Gruppe von Mountainbikern (mit und ohne Führer). Eine Gruppen von Taubstummen finde ich besonders interessant, da sie sich still aber lebhaft in ihrer Zeichensprache unterhalten.
Nach einer Stunde laufe ich weiter. Diesmal nicht alleine. Immer wieder werde ich von Wanderern oder Mountainbikern eingeholt. Bin ich wirklich so langsam? Sogar Rentnerpaare überholen mich. Sind die bayrischen Rentner vielleicht alle so gut trainiert und rüstig, dass mich hier auch wirklich jeder einholt? Ich beschließe, dass es an meinem schweren Rucksack liegen muss.
Zwei Sehenswürdigkeiten liegen auf dem Weg nach unten: die hölzerne Hand und die Josephsbuche. Die Geschichte der hölzernen Hand habe ich fotografiert, so dass man sie nachlesen kann. An der Buche habe ich überhaupt nichts spektakuläres gesehen, ausser dass ein Bild von dem Heiligen daranging.
Die hölzerne Hand … … und ihre Geschichte
Am Ende des Weges liegt ein großer Parkplatz, der für mich die Beliebtheit des Landshuter Hauses erklärt.
Jetzt geht es ein Stück an der dichtbefahrenen Landstraße entlang. Dann sehe ich den Berghof. Auch der Berghof hat anscheinend schon bessere Tage gesehen. Das Panorama von dem Parkplatz ist toll, man kann weit in das Alpenvorland sehen. Die Alpen sind allerdings wie gestern im Dunst nicht zu sehen. Ich entdecke ein Schild, dass die Geschichte des Berghofes erzählt, der ursprünglich die Stiftung einer Ärztin war, um jungen Ärzten eine Ausbildung zu ermöglichen. Um Geld für die Stiftung zu erwirtschaften, wurde der Berghof zur Skierholung genutzt. Der Klimawandel hat dann dafür gesorgt, dass sich das nicht mehr rentiert.
Berghof
Der nahegelegene Golfclub dagegen brummt. Es stehen viele Autos da und auf dem Golfplatz ist jedes Loch mit drei bis vier Spielern besetzt. Alle haben gute Laune. Vielleicht weil das Wetter gut ist, das Wochenende begonnen hat und die Kinder noch in Ferienlaune sind.
Ich wandere am Golfclub vorbei. Es ist inzwischen 17 Uhr und ich habe noch acht Kilometer vor mir bis Lalling. Es geht jetzt weiter stetig bergab. Ich habe immer wieder einen schönen Talblick vor mir. Und das ist gut so. Der Blick motiviert mich Immer wieder – insbesondere weil die Sonne immer tiefer steht – die letzten Kilometer nicht nur einfach runter zu laufen, sondern immer mal wieder stehen zu bleiben und die Aussicht bewusst zu genießen.
Trotzdem werde meine Beine müde und ich muss aufpassen, nicht ins Straucheln zu geraten. Kurz vor Lalling komme ich durch einen Wald, in dem es schon dunkel wird. Also jetzt muss ich mich doch sputen. Bald ist es 20 Uhr. Kurz vor Lalling geht es nochmal richtig steil hoch. 700 Metern vor dem Ziel! Wie gemein! Kurz vor 20 Uhr erreiche ich meine Herberge, gerade rechtzeitig, die Küche schließt um 20 Uhr.
Vielleicht sollte ich morgen nicht ganz solange wandern. Meine Füße schmerzen. Manchmal ist ein plötzlicher und stechender Schmerz da. Die Fußpflegerin hatte gemeint, dass kommt von einer zu starken Dauerbelastung und ich sollte regelmässig einen Pausentag einlegen. Vielleicht ist es ja wieder soweit.