Heute morgen verabschieden mich meine Vermieter mit den Worten: „Und nach Reubach werden Sie wohl nie wieder kommen!“ Zuerst widerspreche ich mit dem Spruch, „Man sieht sich immer zweimal im Leben“. Aber als ich später darüber nachdenke, gebe ich ihnen recht. Wenn ich mit hoher Wahrscheinlichkeit zum ersten und letzten Mal an diesen Orten auf dem E8 bin, dann möchte ich diese aber auch bewusst wahrnehmen in ihrer Vergänglichkeit und Einzigartigkeit.
Ich verlasse Reubach. Mir fällt auf, dass mich fast jeder im Dorf anspricht, nach meinem Weg fragt und Tipps gibt. Sie halten mich alle für einen Pilger auf dem Jakobsweg. Meine Vermieter hatten erzählt, dass dieses Jahr coronabedingt kaum Pilger unterwegs sind. Es scheint sich die Aufmerksamkeit auf die wenigen Pilger und Wanderer, die für Pilger gehalten werden, zu konzentrieren. Nach Reubach geht es schnell über die Felder und an Waldgebieten vorbei. Es hat immer wieder in der Nacht geregnet, aber jetzt ist das Wetter trocken und bewölkt.
Ich komme an großen Erdbeerfeldern vorbei. Es werden mit Hilfe von rumänischen Erntehelfern die Erdbeeren gepflückt. Es sind bestimmt 20 bis 25 Rumänen an der Arbeit. Sie haben Sonnenschirme und Wagen, so dass sie schneller arbeiten können. Ein Feld ist für Selbstpflücker. Hier lerne ich Elfriede und ihren Ehemann kennen. Elfriede hat die Aufsicht und ist nett zu mir. Sie schenkt mir ein Körbchen Erdbeeren, die ich alle gleich aufesse. Lecker, frisch vom Regen gewaschen, direkt vom Strauch gepflückt schmecken sie mir am besten. Klar, eine Portion Schlagsahne wäre noch besser, aber die gibt es am Feld nicht. Ich unterhalte mich ein bisschen mit Elfriede und ihrem Mann. Sie kommt aus Hohenlohe und hat schon als 14-Jährige bei der Erdbeerernte mitgeholfen. Inzwischen hat sie die Aufsicht und freut sich immer wieder die sieben Woche Erntezeit mitmachen zu dürfen.
Mich zieht es weiter. Nach den Erdbeerfeldern komme ich durch ein Waldstück, einer Mischung aus Fichtenwald und Birkenpionierwald. Dann wieder Strecke auf Landstraße, durch ein kleines Dorf durch und wieder Landstraße. Vor Wallhausen sehe ich eine Plantage mit roten Johannisbeersträuchern. Sowas habe ich bisher noch nicht gesehen. Die Johannisbeeren sind schon fast reif.
In Wallhausen gehe ich eine Gastwirtschaft. Das Hauptgericht und Getränk kosten nur 10 Euro. Ich staune. Bekomme ich jetzt schon Pilgerrabatt nach meinem Aussehen? Obwohl andere Preise auf der Karten stehen, bekomme ich einen Spezialpreis. Hohenlohe ist gut zu seinen Pilgern.
Ich verlasse Wallhausen und komme an Getreidefeldern vorbei. Die Klosterruine, Anhausen die mitten auf einem Feld steht, erregt meine Aufmerksamkeit. Bevor ich ankomme, fliegen zwei rote Milane von der Ruine weg. Dieser Monolith wirkt hier total fremd und wie ein antikes Kunstwerk. Quasi ein Klostertorso. Oder ein moderner Künstler hat hier ein Landschaftskunstwerk kreiert. Danach geht es in den Wald. Hier ist es sehr dicht, fast schon urwaldmässig. Später Landstraße und durch ein Dorf. Ein Dorf in dem es einen sehr schönen Garten gibt, der mich an das Hochbeet in Bad Kreuznach erinnert. Wenn das meine Tante hier sehen könnte!
Klosterruine in Hohenlohe Ein Klostertorso
Von dort aus geht es in das Tal der Jagst. Der Teil des Flusses steht hier unter Naturschutz. Der Fluß ist nicht besonders schnell, so daß sogar Seerosen darin wachsen können. Der Pfad flußaufwärts ist sehr schmal, aber auch schön: Moosbewachsene Steine und Bäume und immer wieder die Jagst, auf der Enten schwimmen oder Reiher stehen. Manchmal witscht eine Eidechse direkt vor mir in das Wasser. Die sind ganz schön groß hier. Ob das vielleicht schon die ersten Zwergkrokodile sind, die aufgrund der Klimaerwärmung es hier schön finden? Das Jagsttal ist eine echte Empfehlung für alle, die solche Naturgewässer lieben.
An der Jagst Reife Schlehen in Hohenlohe Brücke über die Jagst
Es geht immer mal wieder aus dem Jagsttal raus. Mal an einem Steinbruch vorbei, mal durch ein Dorf. In dem Dorf Neidenfels begegnet mir ein altes Ehepaar, die ein paar Äpfel gepflückt haben. Beide sind sehr an mir und meiner Wanderung interessiert und dabei hellwach. Es stellt sich heraus, dass beide schon über 90 Jahre alt sind. Beim Spazierengehen halten sie Händchen. Ich muß an eine ehemalige Kollegin denken, die sich genauso eine loyale und liebevolle Partnerschaft für ihr Alter wünscht. Die alte Frau fragt mich, wie ich es schaffe, so lange auf meiner Wanderung alleine zu sein. Ich wundere mich auch ein bisschen über mich selbst, das ist auf der Wanderung bisher überhaupt kein Problem. Früher hätte mich das wahnsinnig gemacht und meine Erfahrungen mit Alleinsein, als ich z.B. mit 19 Jahren ein einsames Forsthaus 2 Wochen lang gehütet hatte, waren sehr schlecht gewesen. Vielleicht liegt es jetzt an meiner digitalen Erreichbarkeit, das es mir nichts ausmacht, alleine zu wandern. Ich fühle mich nicht alleine. Jederzeit könnte ich jemanden anrufen oder ich werde angerufen.
Spät am Abend erreiche ich Crailsheim.