Archive : Tauber

Vom Taubertal ins Frankenland: Schonach – Rothenburg ob der Tauber – Wachsenberg

Als ich Schonach verlasse und die Straße vor mir sehe, muss ich – wie fast jeden Morgen – an das Lied „That Lonesome Road“ von James Taylor denken. Dann summe ich oder singe es teilweise so 500 bis 600 Meter weit.

Heute vormittag laufe ich an der Wetterscheide entlang in Richtung Südosten. Links von mir kann ich eine geschlossene Wolkendecke sehen, rechts von mir ist es sonnig und leicht bewölkt. Es geht wieder durch kleine landwirtschaftlich geprägte Ortschaften, Felder, Streuobstwiesen und kleinere Waldstücke. Inzwischen ist es leicht hügelig geworden, kein Vergleich mit den Höhenunterschieden wie im Spessart oder Odenwald, es wird immer flacher. Nur wenn ich in das Taubertal absteigen und danach wieder aufsteigen muss, habe ich eine nennenswerte Steigung. Ich komme gut voran. Mittags mache ich Rast an einer Bank mit schöner Aussicht ins Taubertal. Ich bin auf der sonnigen Seite, aber heute weht ein sehr kräftiger, ja fast stürmischer Wind, so macht mir die Hitze nichts aus.

Blick ins Taubertal

Ich nähere mich Rothenburg ob der Tauber. Zuerst durch ein neues Wohngebiet, dann stehe ich vor der alten Stadtmauer. An dieser Stelle wurde eine Kirche als Teil der Stadtmauer gebaut. Ich gehe durch den Torbogen in die Stadt. Rothenburg ist eine sehr gut erhaltene mittelalterliche Stadt und dafür weltweit sehr bekannt.

Kirche als Teil der Stadtbestigungsanlage

Ich begegne vielen Touristen und sehe zum ersten Mal seit Corona wieder asiatische Besucher, wie z.B. Indern. Kurz überlege ich, ob das schon Touristen aus den Herkunftsländern sind oder ob es sich um welche handelt, die in Europa leben und arbeiten. Wahrscheinlich eher letztere.

Ich merke, dass ich so viele Touristen nicht mehr gewöhnt bin. Vor 40 Jahren hatte ich mal per Zufall Rothenburg besucht. Das war damals alles noch sehr beschaulich gewesen und wir waren fast alleine als Fremde in der Stadt. Inzwischen ist die Stadt eine einzige große Touristenfalle geworden. Dort sind die Gläser in den Gastwirtschaften kleiner als sonst in Franken üblich, dafür dann aber doppelt so teuer. Das Stück Torte, das ich mir kaufe, ist von der Größe her eher ein Probierstück. Es schmeckt gut, aber in Bad Kreuznach schmeckt die Torte auch sehr gut, dafür sind die Stücke aber doppelt so groß.

In einem schönen Café am Marktplatz lerne ich eine sehr sympathische holländische Familie aus Delft kennen. Sie machen eine Woche Urlaub in Deutschland. Drei Tage in Rotenburg und Umgebung, um die Romantik zu finden, und drei Tage im Schwarzwald, um wahrscheinlich die Ruhe zu bekommen. Die holländische Familie ist voller angefachter Konsumfreude, wie unsere heimische Wirtschaft bestimmt schon festgestellt hat. Heute sind sie u.a. einem begabten Trachtenverkäufer in die Hände gefallen. Zuerst hat er die 18 Monate alte Tochter eingekleidet. Sie sieht wirklich supersüß damit aus! Als nächstes war dann die Mutter dran. Auch sie ist im Dirndl ein echter Hingucker! Last man Standing war der Vater, der sich schließlich auch seinem Schicksal ergab. Eine Lederhose aus feinstem und weichem Ziegenleder und ein weißblaues Hemd sind das Ergebnis. Ob er damit auch so fantastisch aussieht wie seine weiblichen Familienmitglieder, kann ich leider nicht feststellen. Er hat beide Kleidungsstücke nicht angezogen und diese in einer Einkaufstüte dabei, die er mir dann auch zeigt.

In einem Café in Rothenburg

Ich fliehe aus Rothenburg durch das Galgentor. Hier verlasse ich den E8 für ein paar Tage und wechsele auf den Roten-Flieger-Weg. Dieser Weg wird mich nach Neustadt an der Aisch führen. In einem kleinen Dorf in diesem Landkreis werde ich am Montag meinen jüngsten Sohn treffen und ein oder zwei Tage mit ihm verbringen. Mein Sohn hilft seinem Onkel in der Landwirtschaft für eine Woche.

Nach dem Galgentor beginnt wieder die neuere Stadt. Ich folge der Straße geradeaus. Die Häuser entlang der Straße werden schnell einfacher und kleiner. Bald bin ich auf einem Weg, der durch Felder führt bis zur Autobahn A7. Dabei komme ich an der europäischen Wasserscheide vorbei.

Europäische Wasserscheide

Nach einer Unterführung gelange ich zum Ort Neusitz. In einer Gastwirtschaft bekomme ich etwas zu Essen und kann dabei mithören, wie der Wirt mit einem jungen Mann bespricht, wie seine Zimmer neu eingerichtet werden sollen. Endlich mal ein Gastronom der den gesenkten Mehrwertsteuersatz zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft zu nutzen weiß.

Von Neusitz aus geht es noch einmal die Anhöhe hoch nach Wachsenberg. Dort finde ich Quartier für die Nacht. Entfernt kann ich die A7 hören. Ansonsten ist der kleine Ort sehr idyllisch gelegen mitten im Wald. Ich bin der einzige Gast.

Im Taubertal: Gamburg – Tauberbischofsheim – Lauda

Heute mittag bin ich mit einem ehemaligen Kollegen und seiner Frau in Tauberbischofsheim zum Mittagessen mit anschließendem Wandern verabredet.

Der Himmel ist bewölkt und eine frische Brise weht. Ich durchquere das schöne Gamburg und verlasse es an der Stelle von Burg Gamburg, einer sehr gut restaurierten Anlage in Privatbesitz. Gamburg gefällt mir gut und ich beschließe irgendwann mal dort zu zweit ein Wochenende zu verbringen.

Burg Gamburg

Zuerst geht es aus dem Taubertal raus auf die Höhe. Oben angelangt bin ich zum ersten Mal durchgeschwitzt. Die umliegenden Berge sind flacher als der Spessart oder Odenwald und nicht so dicht bewaldet. So wechseln sich Streuobstwiesen, Felder und Wald ab. Mir gefallen die Blühstreifen, die neben den Feldern von den Landwirten angelegt worden sind. Zur Zeit blühen diese und es summt und brummt darin gewaltig.

Heute habe ich eine Termin. Zuerst bin ich versucht, schneller zu wandern, um ja den Termin zu halten. Ich besinne mich. Und wenn ich nicht so schnell bin, dann wird mich mein Kollege halt vor Tauberbischofsheim an einer geeigneten Stelle mit dem Auto abholen. Ich gehe ruhig weiter und achte auf meine Umgebung. Heute sind mehr Leute auf den Wanderwegen, wahrscheinlich weil Sonntag ist.

In Tauberbischofsheim findet mich mein Kollege dank der modernen Kommunikation- und Navigationswerkzeuge so gut wie ohne Verzug. Wir freuen uns, uns wiederzusehen. Mein Kollege hat mehrere Jahre bei mir ein- zweimal im Monat übernachtet, um Wegzeit zu sparen. Das hat zu einer beständigen Freundschaft geführt und wir verstehen uns gut.

Als erstes gehen wir in einem Gasthof essen. Ich werde eingeladen. Ein herzliches Dankeschön dafür! Am Schluß schafft es sogar mein Kollege den Abschlußkaffee for free zu verhandeln, da wir lange warten mussten. Das Warten war mir aber gar nicht so unrecht, weil wir schön Zeit zum Austausch hatten.

Danach gehen wir gemeinsam auf den E8. Beide sind interessierte und gebildete Wanderer. Die Frau meines Kollegen ist sogar Biologielehrerin und kennt sich gut mit Pflanzen und Tieren aus. So nutze ich einige Gelegenheiten sie zu fragen, was gerade so am Wegesrand steht oder welcher Falter uns grade umflattert. Für mich vergeht die Zeit wie im Flug. Mal unterhalte ich mich mit ihr, mal mit ihm, mal haben wir ein Gespräch zu dritt. Nach 5 Kilometern müssen die beiden leider wieder umkehren, um zum Auto nach Tauberbischofsheim zu wandern. Schade! Wir verabreden uns, im Oberallgäu mal eine Wandertour oder einen Klammdurchstieg zu machen.

Ich überquere die Autobahn in östlicher Richtung und mache an einem Wetterkreuz Rast. Dort sitzt bereits ein seniores Ehepaar, die aus Dortmund nach Tauberbischofsheim gezogen sind. Wir kommen ins Gespräch und die Frau fragt mich relativ schnell und direkt nach den „Leistungsparamentern“ meiner Wanderung. Ich bin irritiert und frage ihren Gatten, ob seine Frau immer so neugierig sei. Er antwortet mir, sie sei nicht neugierig, sondern wissbegierig. Aha. Sie interviewt mich weiter und ich frage ihn, ob seine Frau immer so wissbegierig sei. Er lacht und schweigt dann. Endlich erklärt sich die Frau, was sie so an meiner Wanderung interessiert. Sie möchte selber mit dem Fahrrad von Tauberbischofsheim nach Köln fahren, aber sie traut sich noch nicht so recht, weil es ihr zu teuer erscheint. Aha! Ich mache den beiden Mut, was die Dauer und die Kosten einer solchen Unternehmung betrifft. Am Schluß gibt sie mir ihre Adresse. Wir haben einen Deal. Falls ich das Schwarze Meer erreiche, schreibe ich den beiden eine Postkarte, die sie dann in Ehren halten werden. Und das Paar wird mit dem Fahrrad nach Köln fahren und meinen Vater besuchen und ihm schöne Grüße ausrichten von mir. Das haben wir uns in die Hand versprochen.

Es geht weiter durch Felder, Wiesen und Waldstücke. Inzwischen ist es schon fast 18 Uhr. So spät war ich bisher noch nie ohne Quartier. Ich erreiche Oberlauda. Keine Unterkunft und keine Busverbindung heute, die mich vielleicht in eine nahegelegene Stadt bringen könnte. Ich muss zu Fuß weiter nach Lauda. Ich bin müde. Ich verlasse den E8 und laufe zuerst an einer Landstraße entlang, später durch einen Vorort. Lauda ist eine hübsche mittelalterliche Stadt, die hervorragend in Schuss ist. Ich komme an einer Eisdiele vorbei und hole mir einen Eisbecher. Die Besitzerin gibt mir Tipps, wo ich eine Unterkunft finden könnte. Am Schluß kriege ich noch einen Maxi-Bananen-Milchshake. Ich muss an der Theke stehen bleiben, weil sie noch dreimal nachschenkt.

Am Ende des Tages habe ich Glück und erwische das letzte freie Zimmer der Stadt. Der Wirt klärt mich auf, warum die Herbergen hier so gut ausgelastet sind. Diesmal sind es nicht die Touristen, sondern Mitarbeiter der Deutschen Bahn, die hier regelmässig übernachten und 90% der Übernachtungsgäste stellen. So konnte die Gastronomie in Lauda bisher gut die Coronakrise überstehen. Alles ist voll ausgebucht bis Ende des Jahres. Ich bin froh, dass ich noch etwas gefunden habe.

Im Taubertal: Wertheim – Reicholzheim – Kloster Bronnbach – Gamburg

Heute ist der fast 80-jährige Wirt wieder derjenige, der alles macht: Service – Empfang – Rezeption -Küche. Wie schon gestern Abend. Ein Gast fragt ihn, ob er alles allein machen muss. Er antwortet mit: „Nein, manchmal mache ich auch eine Pause.“ Später erzählt er mir, dass seine deutsch-brasilianische Ehefrau eine Woche vor dem Lockdown nach Brasilien gereist ist und nicht mehr zurückkommen darf. Seitdem macht er den Laden alleine.

Am Anfang laufe ich durch die Altstadt von Wertheim quer über den Marktplatz. Überall sind Andenken- und Kunst-Stände aufgebaut und es sind schon einige Touristen da, die in den verschiedenen Cafés ihr Frühstück einnehmen. Es geht hoch in Richtung Burg Wertheim. Die ursprüngliche Route des E8 kann ich nicht gehen, da auf dem Weg liegende Terassenbauten baufällig sind. Ich muss einen Umweg laufen, direkt an der Burgruine vorbei. Sobald ich Wertheim verlasse, bin ich wieder allein. Es geht steil den Berg hinauf durch den Wald. Als ich auf der Berghöhe angekommen bin, geht es auf einem Höhenweg weiter. Der Bergrücken ist schon fast wie ein Hochplateau, eben und breit. Ich komme durch Wiesen und Felder an einem Hof vorbei. Vor 12 Uhr steige ich in den Ort Reicholzheim an der Tauber ab. Hier kaufe ich mir eine Brotzeit. Danach geht es wieder hoch auf den Bergkamm. Es geht an einen Wald vorbei. Das Wetter ist sonnig, aber immer wieder kommt eine frische Brise auf. Der Wald ist abwechslungsreich und teilweise verwildert.

Der E8 führt an dem Kloster Bronnbach vorbei, einem ehemaligen Zisterzienserkloster, das jetzt für Schulungen und Seminaren genützt wird. Ich finde es gut, dass der E8 solche Sehenswürdigkeiten auf der Route berücksichtigt. In den Biergarten der Klosterschänke gehe ich nicht, fast alle Tische sind mit Radlern besetzt. Ich besichtige das Kloster. Es ist ein altes Kloster, das in der gotischen Zeit gebaut wurde, dann im Barock und Rokoko seine Ausgestaltung erlebte. Alles ist großzügig angelegt. Das Kalefaktorium gefällt mir. Die Wärmestube der Mönche ist jetzt ein Kaminzimmer, in dem verschiedene Sitzgelegenheiten, Couchtische und Sofen stehen. Ich setze mich auf einen der überraschend bequemen Sitzgelegenheiten. Es ist angenehm kühl und ich werde schläfrig. Ich schlafe ein. Später weckt mich eine Mitarbeiterin, die etwas aus dem Raum holt. Sie beruhigt mich und empfiehlt mir, mich nicht stören zu lassen.

Nach dem Kloster geht es wieder auf die Berghöhe in den Wald und ich erreiche am Ende des Nachmittages mein Tagesziel Gamburg an der Tauber. Ein sehr idyllischer Ort mit Gänsen, die den Rasen vom Fußballplatz kurz halten und Kindern, die im Fluß baden. Die Gänse rufen auch Nachts immer wieder, ansonsten ist alles ruhig.

Mein Blick aus dem Gästezimmer auf Gamburg und Burg Gamburg

Ich habe Glück und kriege im ersten Gästehaus „Haus Martin“ das gelbe Zimmer. Eigentlich war das Zimmer reserviert, wurde aber heute vormittag kurzfristig storniert wegen Corona. Die Wirtin bietet mir Kirschen an. Bald ist die Kirschenzeit in der Region vorbei. Immer wieder habe ich in den letzten Tagen von Kirschbäumen am Wegesrand genascht. Heute waren sie besonders süß und überreif. Ich freue mich über die angebotenen Süßkirschen und esse sie alle auf.

Ich tausche mich mit einem ehemaligen Kollegen aus. Wir verabreden uns morgen zum Mittagessen und planen dann mit seiner Frau gemeinsam ein Stück des Weges zu laufen. Ich bin schon gespannt, wie das gemeinsame Wandern wird.