Heute morgen ist das Wetter noch unbeständig. Nach dem Frühstück gehe ich noch einmal auf mein Zimmer und schlafe tatsächlich noch einmal ein. Später ist das Wetter sonnig und ich beschließe loszugehen. Inzwischen stelle ich bei mir fest, dass ich beim Verlassen von Ortschaften gerne zuerst den falschen Weg wähle. So auch heute. Das sind erst einmal wieder 1,5 Kilometer Umweg. Ich wüsste gerne, woran das liegt.
Beim Verlassen von Michelstadt fallen mir sieben Häuser auf, die in einer Reihe stehen. Jedes Haus ist zweigeteilt und hat anscheinend unterschiedliche Besitzer, denn jede Hälfte sieht anders aus. Sei es Farbe oder Fenster oder der Garten. Es sieht immer so aus, als ob jemand einen Strich in der Hausmitte gezogen hat und dann jeder Besitzer seinem eigenem Geschmack gefolgt ist. Insgesamt macht es einen Eindruck auf mich, wie ein gemeinsamer Rahmen doch sehr unterschiedlich ausgestaltet werden kann.
Obwohl es in der Nacht kräftig geregnet hat, ist es bereits warm und schwül. Nach Michelstadt geht es stetig und teilweise kräftig bergauf, meistens durch Wald. Ich fange schnell kräftig das Schwitzen an. Nach einer Stunde ist kein trockener Faden mehr an mir, sogar der Hut ist total nass und tropft. Mir läuft der Schweiß in schweren Tropfen am Körper runter. Ich muss öfters eine Trinkpause machen. Heute ist nicht mein Tag.
Unterwegs chatte ich einen lieben ehemaligen Kollegen an, der in der Nähe von Obernburg wohnt. Er lädt mich ein, bei ihm am Sonntag vorbeizukommen. Das hebt gleich meine Stimmung.
Ich kämpfe mich bis zum Örtchen Vielbrunn durch und freue mich schon, in einem der Cafés oder Restaurants eine Pause zu machen. Im Vorfeld von Vielbrunn fängt es auch an interessanter zu werden. Am Ortseingang wartet die Odintanne, ein Baum der schon mehrere Jahrhunderte alt ist. Denkmalgeschützte Steinstelen säumen teilweise die Wege. Kirschbäume ragen immer wieder in den Weg und bieten ihre reifen Früchte an. Vielbrunn wirkt auf den ersten Blick wie ein kleines verschlafenes Dorf, ist aber mit 1700 Einwohnern größer als ich gedacht hatte. Es hat sogar einen Golfplatz. In einem ehemaligen Feriendorf haben sich Großstädter eingekauft und verbringen hier ihren Ruhestand. Enttäuscht muss ich feststellen, dass das erste Café coronabedingt geschlossen ist. Andere Läden, wie Metzger und Bäckerei, haben bereits geschlossen. Es ist bereits Samstagnachmittag. Ich bin frustriert, aber ich will nicht aufgeben. Endlich finde ich ein Hotel mit Café, das offen hat. Glück gehabt. Die Beerentorte schmeckt sensationell gut, der Sohn der Wirtin ist Konditor. Von dem Café aus kann ich ein Freibad erkennen. Ich erhole mich allmählich. Ich spreche mit der Wirtin und frage sie nach meinem nächsten Ziel, wo ich eine Unterkunft finden könnte. Sie kennt keine, aber empfiehlt mir, auf jeden Fall vorher zu checken, ob etwas frei ist. Im Internet finde ich ein „Bed & Breakfirst“. Meine Anrufversuche scheitern, es hebt niemand ab. Ich sehe dunkle Wolken aufziehen und werde unsicher, ob vielleicht nicht doch noch ein Gewitter kommt.
Am Schluß entscheide ich mich, in Vielbrunn zu bleiben und in das Freibad zu gehen, bevor ich unterwegs von einem Gewitter erwischt werden und dass dann ohne Unterkunft.
Das Freibad ist sehr überschaubar. Es sind vielleicht 20 Gäste da, die sich alle kennen oder nach einiger Zeit kennen lernen. Ich frage die Frau an der Kasse bzw. Kiosk, wie es gelingt, dieses Freibad in so einem kleinen Ort zu finanzieren. Ein Förderverein betreibt das Schwimmbad. D.h. die Vereinsmitglieder betreiben das Bad und die Stadt bezahlt die Energiekosten und das Wasser. Die Stadt erhält den Erlös aus den Eintrittskarten. Ich bin begeistert.
Ich gehe schwimme und kühle ab. Dann lege ich mich in den Schatten einer mächtigen Linde und beobachte das Treiben der Badegäste. Alle sind entspannt und unterhalten sich gut, auch ich werde miteinbezogen.
Die folgende Szenerie zeigt exemplarisch, wie hier das Sommergefühl ist: Ein Mittvierziger in bunten Badeshorts zieht an mir vorbei. Er hält vier leere Bierflaschen in der Hand und singt: „das Leben ist so schön“ und freut sich darüber, dass er trinkfester ist als die drei Rumänen, die er heute im Bad kennengelernt hat. Sein ältester Sohn spielt mit vier jungen Dorfschönheiten Volleyball oder zeigt ihnen seine Sprungkünste im Bad. Der jüngere Sohn schwimmt tapfer eine 10 Meter Bahn und beeindruckt anschließend mit Popcorn die kleinen Mädchen.
Ich gehe entspannt in meine Unterkunft und beschließe am morgigen Vormittag nach Obernburg zu wandern, um dort einen Pausentag einzulegen. Am Montag möchte ich mich auch mit einem Pädagogen treffen. Vielleicht ergibt sich daraus ein Engagement für mich.