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Vom Rhein an den Rand des Odenwalds – Worms – Bensheim

Heute ist es sommerlich warm. Ich breche entsprechend früh in Worms auf, um die kühle Morgenluft gut auszunutzen. Ich mag es nicht, wenn es zu warm ist und ich vermute, meiner Krankheit tut es auch nicht gut.

Auf dem Weg zum Rheinufer begegne ich Schulkindern, alle mit Gesichtsmaske. Am Rheinufer treffe ich auf das Hagendenkmal. Hagen ist meine Lieblingsfigur im Nibelungenlied. Am Rheinufer geht es flussaufwärts bis zur Nibelungenbrücke und dann über den Rhein. Auf der anderen Uferseite geht es nach links und ich freue mich: eine E8 Wegmarkierung, richtig mit Sternen und blauen Hintergrund. Liegt es daran, dass ich jetzt in Hessen bin? Hessen – bedingt durch Frankfurt – denkt vielleicht internationaler als die doch für mich provinziellere Rheinland-Pfalz. Schnell führt der Weg auf einen Hochdamm, der zum Schutz vor Überschwemmungen angelegt wurde. Hier lässt es sich angenehm wandern. Ein bisschen erhöht habe ich einen schönen Blick. Überhaupt kann ich kilometerweit gucken. Hier gibt es kaum Höhenmeter zu überbrücken, hier ist alles flach und ich kann mein Tagesziel den Odenwald schon jetzt gut erkennen.

Von dem Hochdamm geht es nach rechts durch die Felder in den Ort Hofheim rein. In einem Lebensmittelladen kaufe ich mir eine Brotzeit. Von Hofheim aus geht eine Landstraße durch die Felder direkt nach Biblis. Und in Biblis finde ich 5(!) E8 Wegmarkierungen. Ich werde leicht euphorisch. Ich hatte schon die Befürchtung, dass der E8 das gleiche Schicksal wie die Trimm-Dich-Pfade in den 70ern in der alten BRD erlitten habe. Nach einem Boom sind diese heutzutage mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Aber nicht der E8 in Biblis! 5! Und ab Biblis tauchen jetzt regelmässig E8 Wegmarken auf. Sie geben mir Orientierung und das Gefühl der Sicherheit auf dem richtigen Pfad zu sein. Vielleicht liegt es ja doch daran, dass ich jetzt in Hessen bin.

Nach Biblis geht es einen Bachauenwald entlang, in dem es viele Erlen gibt. Ich liebe diese Baumart, hat sie ja etwas magisches und ein bisschen unheimliches an sich. Sie wächst gerne an Bachläufen oder an dem Rand von Mooren und Sümpfen und galt früher als ein Hexenbaum. Goethe hat dieses düstere Motiv dann in der Ballade „Der Erlkönig“ genial aufgegriffen. Heute bieten mir die Erlen Schatten und ich mag es sie anzuschauen. Ich mache an einer Bank Rast.

Von dort aus geht es mit einem Linksknick an der IBB Biblis vorbei. Was das ist? Das International Broadcasting Bureau. In Deutschland betreibt das IBB Kurzwellensender für Radio Free Europe/Radio Liberty in Biblis (laut Wikipedia) und hat hier einen beeindruckenden Park von Radiosendern und Masten aufgebaut.

Danach wieder rechts durch ein Waldgebiet. Allmählich ist es richtig heiß geworden. Obwohl ich im Schatten der Bäume gehe, merke ich, dass ich noch nicht so richtig fit bin und werde langsamer. Jetzt wird es merklich anstrengender für mich. Um mich abzulenken, fange ich an über Themen nachzudenken.

Ein Thema möchte ich gerne mit euch teilen, über das ich schon seit Zell nachdenke, als ich mich mit dem Ehepaar aus Niedersachsen unterhalten habe. Der ungefähr 2 Jahre ältere Ehemann hat mich befragt, wieviel Kilometer am Tag ich laufen würde, was mein Ziel ist, wie schwer der Rucksack ist, wieviele Kilometer insgesamt usw. Also viele Zahlen oder Leistungsparameter, um meine Leistung einschätzen zu können und sie mit seinem eigenem Leistungsvermögen vergleichen zu können. Mir ist aufgefallen, dass ich das von vielen so gefragt werde oder sie sich dafür interessieren. Ich stelle an mir persönlich fest, dass mich das immer weniger interessiert und mich zur Frage bringt, was ich eigentlich in diesem Blog schreiben will.

Vielleicht dazu eine kleine Provokation? Kennt ihr das Gedicht Osterspaziergang von Goethe?

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück; …

Wenn Goethe heutzutage nach seiner Wanderung befragt worden wäre, würde sein Osterspaziergang so aussehen:

Ostersonntag 2020, Strecke: von Frankfurt am Main nach Hanau in 4 Stunden, 18 Kilometer, mit Tragegewicht 4 Kg, 10–15 Höhenmeter, eigenes Körpergewicht lag bei 80 kg, ohne Sportausrüstung. Konkurrenz: ich habe Meister Eckhard 10 Minuten Vorsprung abgenommen und es war eine gute Vorbereitung für den nächsten Frankfurt Marathon, da werde ich dem jungen Schiller aber mal so richtig zeigen, wer der Altmeister ist.

Unsere Gesellschaft hat das Galilei Motto „Alles messen was messbar ist, und messbar machen, was noch nicht messbar ist“ vollständig auf den Freizeitbereich übertragen. Alles nicht messbare beim Wandern, wie z.B. sinnliche Eindrücke der Natur oder Begegnungen mit anderen Menschen oder Gefühle werden dagegen oft ignoriert.

Ich habe mich entschlossen, bei diesem Blog mehr auf diese nicht messbaren Qualitäten zu achten. Wenn euch die messbaren Inhalte mehr interessieren, dafür gibt es inzwischen gute Informationen im Internet, die genaue Steckenprofile der Abschnitte des E8 zeigen oder Vergleichsinformationen mit anderen Wanderern bzw. Sportlern.

Inzwischen bin ich vor den Toren Bensheim angelangt. Ich bin müde und erschöpft und hier ist es über 30 Grad Celsius warm. Von unterwegs habe ich mir telefonisch ein Zimmer organisiert. In Bensheim stehe ich auf einmal vor einem steilen Anstieg. Die halbe Stadt liegt am Hang und meine Unterkunft liegt ganz oben. Wenn ich jetzt ein Taxi sehe, dann lasse ich mich die letzten 800 Meter vor die Haustür fahren. Aber kein Taxi ist in Sichtweite und ganz langsam gehe ich den Berg hoch.

Endlich angekommen, beziehe ich gleich mein Zimmer, dusche und lege ich sofort ins Bett und schlafe ein. Ich bin fix und fertig.

Zell – Wachenheim – Monsheim – Pfeddersheim – Worms

Heute habe ich mein bisher bestes Frühstück bekommen: frische Brötchensorten vom Bäcker, selbstgekelterter Traubensaft, verschiedene kleine herzhafte Leckereien, Müsli, Hausmacher Wurst und die Tageszeitung. Jetzt schreibe ich schon wie für Kinder, frei nach Enid Blyton, regelmässig muss man schreiben, das es etwas Leckeres zu essen gibt. Verzeiht, ich werde mich mit Essensbeschreibungen ab sofort zurückhalten.

Dann geht es auch schon wieder los. Ich nehme die ein bisschen höhergelegene Straße nach Wachenheim. Die Sonne scheint und die Luft ist klar. Von der Straße habe ich einen besseren Blick in die Weinberge und das Tal der Pfrimm. Nach einem kleinen Friedhof, nehme ich nach rechts den Weg durch die Weinberge runter nach Wachenheim. Dabei schrecke ich einen Fasan auf. Schon toll, wieviele Tierarten ich auf dem Weg inzwischen erleben durfte.

In Wachenheim geht es an dem Bach Pfrimm abwärts. Bäume geben Schatten und ich komme gut voran. Vor Monsheim beginnt ein naturkundlicher Pfad, der immer wieder Schaubilder über Vögel zeigt. Der Wald ist hier dicht und naturbelassen. Der Weg ist schmaler geworden. Die Urwaldähnliche Atmosphäre gefällt mir.

Durch Monsheim geht es durch und danach wieder an der Pfrimm entlang bis nach Pfeddersheim. Kurz bevor die Wohnhäuser anfangen sind Plätze für die Pfeddersheimer eingerichtet worden, an denen sie grillen können. Kurz darauf wundere ich mich über den Lärm den grüngelbe Vögel in den Bäumen machen. Vögellärm der mir fremdartig und exotisch vorkommt. Ich treffe auf einen älteren Mann mit einer Kamera und einem Riesenobjektiv, der aufmerksam die Baumkronen beobachtet. Er erklärt mir dann, dass es sich bei den Vögeln um Halsbandsittiche handelt. Diese Vögel sind irgendwann aus ihrer Gefangenschaft ausgebrochen und haben inzwischen erfolgreich eine Kolonie hier in Pfeddersheim gegründet.

Es geht weiter nach Pfeddersheim hinein durch ein Wohngebiet. Mein Vater war vor circa 40 Jahren in Pfeddersheim ein paar Jahre stationiert gewesen. Wir haben ihn damals dort besucht und in dieser Zeit hat er seine Vorliebe für Wein entwickelt. Ich habe Pfeddersheim als langweiligen Ort in Erinnerung und daran hat sich anscheinend nichts geändert. Die Bundeswehr hat in der Zwischenzeit diesen Standort aufgegeben.

Am Bahnhof wartet ein ehemaliger Kollege auf mich. Ich freue mich ihn zu sehen und wir packen meinen Rucksack in sein Auto. Er fährt uns nach Worms und wir verbringen ein paar Stunden am Rhein in einer der beliebten Strandbars. Dabei trinken wir gemeinsam etwas und tauschen uns darüber aus, wie es uns in den letzten Monaten ergangen ist. Er gibt mir noch ein paar gute Tips, was ich mir morgen mit meinem Sohn in Worms angucken kann. Dann ist es auch schon Zeit, Abschied zu nehmen und meinen jüngsten Sohn vom Bahnhof abzuholen. Ich freue mich ihn in die Arme zu nehmen und bring ihn zu dem Hotel, wo wir die Nacht verbringen. Morgen werden wir gemeinsam Worms angucken und dabei darauf achten, dass ich auch einen Erholungstag vom Wandern habe.