Archive : Dinkelsbühl

Von der Romantischen Straße ins Vorland der südlichen Frankenalb: Dinkelsbühl – Obermichelbach – Hesselberg

Heute morgen durchquere ich Dinkelsbühls Altstadt und sehe überall Aktivitäten wegen der Kinderzeche in Coronazeiten. Ein Teil der Altstadt ist abgesperrt und man kommt nur mit vorreservierten Karten rein. Es findet ein Gottesdienst statt und viele Dinkelsbühler Erwachsene und Kinder kommen in Tracht zusammen. Schade, dass ich nicht mit dabei sein darf. Ich sehe überall Familien in Tracht, die in Richtung Altstadt laufen. Ich nehme mir vor, nächstes Jahr die Kinderzeche mit meinen Kindern zu besuchen. Vielleicht kaufe ich meinen Kindern auch Trachten, so wie die holländische Familie in Rothenburg. Ich freue mich schon auf das Gesicht meines Jüngsten, der das bestimmt voll uncool finden wird.

Ich verlasse die mittelalterliche Stadt und kann auf dem Wassergraben eine Entenfamilie beobachten. Ein wenig später sehe ich sogar einen Eisvogel. Auch der neue Teil der Stadt, den ich durchlaufe, ist sehr ansehnlich. In der 12.000 Einwohner Stadt ist anscheinend die Lebensqualität hoch.

Sobald ich die Häuser hinter mir habe, ist es schlagartig ruhig. Ich komme durch einen Buchenwald und staune. Mitten im Wald wird der Weg beidseitig von hohen und bestimmt 90-jährigen Buchen eingerahmt. Es wirkt wie eine Allee. Ich bin fasziniert von dieser Idee, im Wald eine Allee mit Bäumen zu gestalten und das vor ca. 100 Jahren! Die Erschaffer haben ihr Werk – so wie ich es heute sehe – nie selber erleben können.

Buchenallee bei Dinkelsbühl

Im Wald treffe ich einen Rentner, der auf einer Bank sitzt. Er wechselt seine Brille, als er mich nahen sieht. Er möchte mich genau sehen und bietet mir die Bank an. Ich verzichte und wir kommen ins Gespräch. Er kommt ursprünglich aus dem Münsterland und dem Ruhrgebiet und ist vor 24 Jahren nach Dinkelsbühl gekommen und geblieben. Schnell will er meine Leistung abfragen, wieviel Kilometer, wohin, wielange schon, etc. Ich lache und drehe den Spieß um und lasse ihn schätzen. Er kann anfangs richtig gut schätzen. Die Länge meines bisherigen Weges: 450 km. Als er mein Tagespensum mit 70 bis 80 Kilometer einschätzt, muss ich laut lachen. Es kommt raus, dass er das früher anscheinend geschafft hatte. Auch 300 Kilometer am Tag mit dem Fahrrad hatte er geschafft. Da war er schon am Limit, wie er gesteht. Ich denke mir still, kein Wunder, dass er irgendwann auch einen Herzinfarkt bekommen hatte. Seit seinem Infarkt macht er regelmässig am Vormittag einen Spaziergang durch den Wald und am Nachmittag dreht er eine Runde mit seinem e-Bike.

Ich muss leider den Wald verlassen. Heute ist es drückend warm und ich habe nur Landstraße vor mir und das kilometerlang. Ich habe nichts zu Trinken dabei und hoffe in Obermichelsbach etwas kaufen zu können.

In dem Ort werde ich von in Deutschland seltenen Tieren begrüßt: Alpakas! Eine Frau in Mittelfranken züchtet Alpakas, verkauft deren Wolle und macht Alpakaführungen. Alleine in diesem Dorf sehe ich fast 30 Tiere. Insgesamt hat sie anscheinend schon Hunderte, die an verschiedenen Standorten weiden. Die Alpakas sehen richtig süß aus, am Anfang halte ich sie noch für Jungtiere. Aber inzwischen denke ich, dass das nur so wirkte, weil sie frisch geschoren wurde. Vielleicht ist das eine Idee für meinen Ex-Schwager, seine Schafe gegen Alpakas einzutauschen.

Obermichelsbach wirkt sehr dörflich, hat aber 2 Gasthöfe. Einer hat am Montag sogar offen und ich bekomme meine Johannisbeersaftschorle. Für mich alleine will die Wirtin aber nichts kochen.

Es geht weiter, und schon wieder Landstraße. Ich mag die endlosen Landstraßen in der Sonne nicht. Immer wenn Bäume Schatten spenden, werde ich langsamer. Östlich von Dinkelsbühl im Vorland der südlichen Frankenalb ist es merklich flacher geworden und die Waldstücke verschwinden fast ganz. Mein Tagesziel der Hesselberg ist die ganze Zeit gut sichtbar vor mir. Der Hesselberg ist ca. 600 Meter hoch und ein Solitär in dieser Gegend. In der Gaststätte hat man mir erzählt, dass man von dort aus an einem klaren Tag die Alpen sehen kann. Heute jedenfalls nicht, aber vielleicht habe ich morgen früh ja Glück.

Der Anstieg auf den Hesselberg ist heute die letzte Anstrengung des Tages. Die letzten Kilometer des E8 laufen parallel zu einem geologischen Pfad. Der Berg bietet sich an, die verschiedenen Gesteinsschichten der letzten 12 Millionen Jahre zu veranschaulichen.

Heute habe ich eine besondere Unterkunft: Das evangelische Bildungszentrum Hesselberg. Für mich hat die Leitung netterweise eine Ausnahme gemacht und ich darf als Einzelgast übernachten. Die Einrichtung liegt sehr schön und man hat eine tolle Aussicht. Ich habe ein einfaches Zimmer mit Dusche und Bad, das reicht mir voll. Kein Fernseher, aber W-Lan. Passt, wie sie in Franken sagen. Um 18 Uhr bekomme ich sogar – zusammen mit einer Gruppe aus Bundespolizei und der Evangelische Seelsorge – ein warmes Abendessen. Ich werde separiert und eine Hälfte des Speisesaals ist nur für mich. Ich bin der einzige der vom Personal mit Namen angesprochen wird. Wie der Hesselberg im Vorland der Frankenalb bin ich heute auch ein Solitär der Coronazeiten im evangelischen Bildungszentrum.

Evangelisches Bildungszentrum Hesselberg

In der Hohenlohe: Großenhub – Wildenstein – Lautenbach – Dinkelsbühl

Meine Wirtin erzählt mir heute morgen, dass der Schwäbische Albverein vor ein, zwei Jahren die Wegmarkierungen erneuert hat. Offensichtlich haben sie dabei die Wegführung des E8 an den Jagststeig angepasst. Meine digitale Karten von dem Kompassverlag zeigt immer wieder einen ganz anderen Weg an. Ich orientiere mich nur noch an den Wegmarkierungen des Albvereins und checke nur noch manchmal mit der App, wo ich bin. Das klappt ganz gut.

Von Großenhub geht es direkt über die Felder. Heute morgen scheint die Sonne und es ist kein Wölkchen am Himmel. Es geht durch ein Dorf hinauf in den Wald. Am Morgen finde ich den Wald immer am besten. Es ist kühl, alles riecht frisch und es sind noch keine Mücken unterwegs.

Das nächste große Hindernis ist die Autobahn A7, die ich auf einer Brücke überquere. Ich bin schon oft die A7 hier entlang gefahren auf dem Weg ins Oberallgäu. Heute ist der Verkehr dicht. Es ist Ferienzeit. Von der Brücke geht es aufwärts nach Wildenstein. Als ich das Zentrum der Gemeinde erreiche, fangen die Glocken an lang zu läuten. Heute wird in Wildenstein Konfirmation gefeiert. Später im Jahr als üblich und im Freien. Ich verfolge für 10 Minuten den Beginn des Gottesdienstes. Immerhin sechs Konfirmanden in dem kleinen Ort und alle festlich angezogen. Ich muss an meinen Jüngsten denken, dessen Konfirmation bisher auf unbestimmt verschoben wurde.

Nach Wildenstein geht es wieder in den Wald. Hier soll es laut einem Schild einen Zauberwald geben. Im Wald sind verschiedene Holzfiguren in der Form von Zwergen und Elfen aufgestellt. Der Zauber im Wald ist für mich etwas anderes.

In Lautenbach gibt es einen kleinen See. Die Kellnerin im Restaurant erzählt, dass man auch darin baden kann, danach müsste man sich aber duschen, so schlammig ist das Gewässer. Daraufhin kann ich mir verkneifen, mich sofort in das Wasser zu stürzen. Das Restaurant bietet nicht nur eine überschaubare Speisekarte an, sondern eine mindestens genauso lange Cocktailkarte. Und das bereits zur Mittagszeit. Die anderen Gäste sind alle von auswärts aus den verschiedensten Teilen Deutschlands und mit den Autos angereist.

Ich wandere weiter. Inzwischen ist es warm geworden und ich muss relativ häufig über Asphalt und Teer laufen. Der Belag ist inzwischen richtig warm geworden und ich spüre wie die warme Luft aufsteigt und mich grillt.

Kurz vor Dinkelsbühl geht es hoch auf eine Kuppe in das Dorf Segringen. Hier würde ich gerne in einem Gasthof unterkommen, den mein Bruder mir empfohlen hat. In dem Gasthof geht es geschäftig zu, es wird gerade eine Konfirmation gefeiert. Leider ist kein Zimmer mehr frei.

Direkt neben dem Gasthof ist ein Friedhof. Hier mache ich Rast. Interessant finde ich die einheitliche Gestaltung der Grabkreuze. Es erinnert mich an einen Soldatenfriedhof. Auf den Kreuzen stehen die letzten Berufe der Verstorbenen und wie alt sie in Jahren, Monaten und Tagen geworden sind. Es steht z.B. „Altsitzer“ oder „Altsitzerin“ auf den Kreuzen. Oder „Rentner“, „Bürokauffrau“ oder „Hausfrau“. Je nachdem wie alt der Mensch geworden ist, die letzte Station im Leben. Ich überlege, was auf meinem Grabkreuz stehen würde: „Privatier“, „Badmintontrainer“, „Gruppendynamiktrainier“, „Freiberufler coronabedingt ohne Arbeit“ oder „Wandernder Vater, der bloggt“? Haben die Verstorbenen selber entschieden, was auf den Kreuz geschrieben steht oder haben das dann die Hinterbliebenen beschlossen? Was würden meine Kinder in dem letzteren Fall schreiben lassen? Ein Glück, dass ich mit meinen Kindern schon vor meiner Wanderung gesprochen habe, wie ich mir aktuell meine Trauerfeier vorstelle und darin kommt kein Grabkreuz vor.

Von Segringen geht es weiter ins nahegelegene Dinkelsbühl mal wieder auf der Suche nach einer Unterkunft. Auch der zweite Tip meines Bruders schlägt leider fehl. Alles belegt. Dinkelsbühl ist heute voll mit Touristen. Nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus Europa. Ich kann Franzosen, Holländer, Italiener, Polen und auch Spanier ausmachen. In Dinkelsbühl ist noch viel mit Auto erreichbar, so dass ich viele Touristen mit ihren Fahrzeugen sehen kann. Radfahrer gibt es hier viel seltener.

Schließlich komme ich in einem Romantikhotel unter. Es kommt sogar noch besser. Die nette Dame am Empfang trägt mich für das hauseigne Schwimmbad und die Sauna ein für den Zeitraum von 20 bis 21 Uhr. Vor Corona bin ich zum letzten Mal in der Sauna gewesen. Ich freue mich schon jetzt auf Bad und Sauna.

Vorher gehe ich noch ein wenig in die Altstadt von Dinkelsbühl. Mir fällt die Metzgerei Mießmeier auf. Dort stehen 4 Tische zusammen, an denen mit 10-15 Personen und lauter Musik gefeiert wird. Stundenlang und unermüdlich. Brauchen die Menschen so sehr diese Ventile, um mit dem heutigen Druck der Leistungsgesellschaft umgehen zu können? Ist das der wahre Sinn von Ischgl, Mallorca, Ibiza, den Parties auf dem Opernplatz in Frankfurt oder dem Münchner Oktoberfest? Ein-, zweimal im Jahr oder im Monat richtig die Sau rauslassen und dann auf der Arbeit wieder Leistung zeigen? Die Feiernden jedenfalls machen weiter und singen lauthals jedes Lied mit. Mein Vater würde sagen, sie „schreien“, da die Musikalität eher zweitrangig dabei ist.

Später erfahre ich von einer Angestellten des Gasthofes, dass in Dinkelsbühl normalerweise in dieser Woche die Kinderzeche gefeiert wird. Die Kinderzeche in Dinkelsbühl ist ein Kinder- und Heimatfest. Der Sage nach sollen Dinkelsbühler Kinder im Dreißigjährigen Krieg die Stadt vor den Schweden gerettet haben. Seit 2016 befindet sich das Fest auf der Liste des Immateriellen Kulturerbes in Deutschland. Dieses Jahr musste das Fest abgesagt werden. Die tapfer feiernden Menschen in der Metzgerei sind also das Coronaüberbleibsel dieses Volksfestes. Schade, das große Fest hätte ich gerne mitgefeiert.

Um 20 Uhr gehe ich in die Sauna. Ich bin alleine – mal wieder. Aber so kann ich ohne Textilien schwimmen und saunieren. Ich fühle mich nach Wochen wieder porentief rein. Das letzte Mal habe ich mich so sauber nach der Badewanne in Bad Mergentheim gefühlt. Meine Gymnastik mache ich auch seit langem und merke, dass sich die Beweglichkeit meiner Achillessehne verändert hat. Vielleicht sollte ich mein morgendliches Dehnungsprogramm um etwas für die Waden und Achillessehne erweitern.