Ich fühle mich wohl: Ich sitze oder liege in einem schattigen blumenbewachsenen Hinterhof mit Blick auf ein hölzernes Rondell der GEA und höre die Klänge des Jodel-Intensivseminars Jodldifrei von Heidi Clementi.
Wie bin ich hierher gekommen? Letzte Woche war ich noch in Bad Kreuznach und war am Überlegen, ob ich wieder wandern gehen kann. Meine seltsame letztjährige Krankheit hatte sich pünktlich zum Jahrestag wieder gemeldet und war an 6-7 Stellen an den Armen wieder aufgebrochen. Mein rechtes Knie hat überraschenderweise stark geschmerzt, wahrscheinlich eine Reaktion auf meinen neuen Hüftschwung. Vor einem Monat hat mein Orthopäde mir eine beidseitige Coxathrose (Hüfte) bestätigt und meine Patentochter, die Osteopathin ist, hat mir empfohlen mein Gangbild zu verändern. Das habe ich getan. Etwas zwischen Marilyn Monroe und John Wayne ist das erklärte Ziel und ich gehe inzwischen tatsächlich mit mehr Hüftschwung. Nur das linke Knie schmerzt seitdem …
Aber ich lebe nur einmal und Corona war jetzt auch lange genug. Am Montag bin ich schließlich in aller Frühe aufgebrochen und mit dem Zug nach Linz gefahren, wo ich letztes Jahr meine Wanderung unterbrechen musste. Ein Wiener Freund hatte mich gefragt: „Bist deppert? Was willstn in Linz??! Da is doch garnix!“ Der verständliche Irrtum eines Wiener Weltstädters, der in Wien den Nabel der Welt vermutet.
Ich erlebe das anders. Linz hat mich mit offenen Armen empfangen: In meinem Lieblingscafé Cup of Soul wurde ich sofort wiedererkannt, herzlich begrüßt und bewirtet. Iris, die Chefin hat ein besonderes Gespür für die kleinen Details, die das Leben schöner machen, ihr kleiner Hund ist quasi das Schmusetier für alle Gäste und die barfüssige Andrea flitzt mit viel guter Laune hin und her und schaut, das jeder Gast gut versorgt ist. Das Angebot ist originell, da klassische Kaffeehausprodukte mit CBD und Hanfprodukten originell und schmackhaft kombiniert werden. Ich werde gerne wiederkommen.
Andere Erlebnisse will ich nur kurz auflisten: Mit einer bulgarischen attraktiven Krankenschwester habe ich mich sehr gut über ihre Deutschlanderfahrungen ausgetauscht. In der Institution Ars Electronica habe ich den Linzer Bürgermeister bei einer Eröffnung einer neuen Ausstellung bewundern dürfen. Dem Paradies bin ich in der Ausstellung „Höhenrausch“ näher gekommen und hatte dort einen sensationellen Blick auf die Linzer Stadt und einem künstlichen Tiefnebel. Last but not least habe ich mit dem jüngsten Professor Österreichs auf einem lauschigen Platz in der Linzer Innenstadt zu Abend gegessen und über die Zukunft der Gruppendynamik diskutiert bis das Restaurant schließen musste. Es war einfach herrlich!
Aber eigentlich will ich ja wandern und am Mittwoch bin ich dann mit dem Bus nach Gmünd zum E8 gefahren. Gmünd ist eine Stadt im Waldviertel. Das Waldviertel ist eine karge Gegend mit viel Wald, Mooren und Steinen. Die Waldviertler sind bekannt dafür, dass sie harte Arbeiter sind, die der kargen Natur hier in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt abgetrotzt haben. Die Waldviertler sind eher nicht für ihren Humor bekannt. Das habe ich dann auf der Suche nach dem Weg gemerkt. Als ich ein Paar fragte, ob ich stören darf, um mich nach dem richtigen Weg zu erkundigen, bekam ich als Antwort ein schlichtes „Nein“. Von der unterschiedlich erlebten Gastlichkeit der Waldviertler später noch mehr.
Es gibt hier viele Teiche und kleine Seen und in der Nähe eines Teichkettenrundweges fand ich dann schließlich den E8. Ausreichend ausgeschildert konnte ich mein Handy ausschalten und einfach den Markierungen folgen. Zuerst ging es durch den Malerwinkel, kurz einen Fluß (Braunau) entlang und dann auf die Blockheide. Ein wunderschönes Fleckchen Erde mit vielen granitenen Findlingen, Seen, Wald und einem Aussichtsturm, wo ich mir ein Eis gekauft habe. Auf dem E8 bin ich dann wieder alleine. Es geht durch einen aufgelockerten Nadelwald, mit ein paar Laubbäumen dazwischen.
Inzwischen geht es auf den Abend zu und ich beschließe mal wieder eine Unterkunft zu suchen. In dem Dorf Eugenia gehe ich vom E8 ab. Laut den Wegweisern soll es hier Übernachtungsmöglichkeiten geben. In der ersten winzigen Gasstätte: „Es tut uns leid, aber alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt und zu Essen haben wir auch nichts“. In der zweiten Gaststätten (auch sehr einfach aber ein bisschen größer): „Wir haben nix frei, alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt. Aber 2,5 km weiter da gibts einen Gasthof, der hat mehr Zimmer“. Nach 2,5 km komme ich nach Schrems zu dem Gasthof, der sieht schon wesentlich besser und größer aus. Aber: „Wie lange wollen Sie bleiben? Eine Nacht? Da muss i mal fragen. …. Also alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt. Und jetzt können Sie bitte auch schon weitergehen“ Wow, dachte ich mir, habe ich das jetzt richtig gehört? Wo bleibt die österreichische Höflichkeit und der berühmte Charme? Auf dem Hauptplatz finde ich dann ein noch größeres und schöneres Hotel, das allerdings ein bisschen verlassen wirkt. Im Hotel treffe ich auf drei junge Menschen, die ich nach einem Zimmer frage. Die drei sind Berufsschüler, die hier einquartiert wurden, wer die Zimmer vergibt, wissen sie nicht, aber eine Telefonnummer haben sie für mich. Ich rufe an. Die erste freundliche Stimme des Tages meldet sich. „Hallo hier spricht die Marianne. Aber gerne können Sie bei uns übernachten. Kommen Sie doch zu unserer Hauptstelle, da ist es schöner und etwas zu essen haben wir auch für Sie“. Wunderbar, denke ich mir und stelle mir vor, heute nacht in einem Ausbildungsheim für Berufsschüler zu übernachten. Das kann ja auch ganz interessant werden…
Schließlich erreiche ich kurz vor 19 Uhr die Adresse. Komisch, alles scheint geschlossen zu sein. Der Personaleingang ist zu, der Lieferanteneingang ist dicht, ein seltsames Holzrondell scheint eine Art Verkaufsraum für Schuhe und Möbel zu sein. Vielleicht von den Berufsschülern? Aber auch geschlossen. Ich rufe noch einmal Marianne an. Marianne hilft mir wieder sehr freundlich: „Einfach weitergehen, dann kommen Sie auf einen Hinterhof“ Bei der Erklärung gehe ich mit dem Handy in der Hand gleich weiter. Tatsächlich ein schön bewachsener Hinterhof erscheint. „Sehen Sie die Frauen auf der Veranda? Dann sehen Sie auch gleich mich!“ Und tatsächlich, ich kann die Frauen erkennen und dann eine Gestalt, die aus dem Gebäude heraus winkend erscheint. Marianne. Zufrieden komme ich näher und begrüße sie. Dann bemerke ich, dass ich die Neugierde der Frauen auf der Veranda auch auf mich gezogen habe. Zwei gucken mich interessiert an, die ältere schaut mich mit weitaufgerissenen Augen sehr intensiv an. Ich schaue intensiv zurück. Sie kommt mir sehr bekannt vor. Aber das kann eigentlich nicht sein. Ich komme ein Stück näher. Wir schauen uns immer noch direkt an. Kann das …, aber nein das gibt es doch nicht. Schließlich erlöst sie uns und sagt: „Martin?“
Und ich antworte: „Gundi?!“ Gundi und ich kennen uns schon seit Jahren, aber immer nur per Telefon oder Zoom. Seit Corona treffen wir uns sogar regelmässig via Zoom, da wir beide zu einer experimentellen T-Gruppe der ÖGGO gehören. Gerade letzten Samstag hatten wir noch ein längeres Treffen gehabt und jetzt treffen wir uns ZUFÄLLIG im Waldviertel. Wir freuen uns total und klären die anwesenden Damen auf, die schon ein bisschen eifersüchtig und befremdet waren, dass ich ihnen so gar keine Beachtung geschenkt habe. Gundi und ich erleben uns zum ersten Mal dreidimensional und sind überrascht über den anderen Eindruck voneinander: farbiger, jünger… Wir freuen uns total!
Gundi ist im Waldviertel um mit anderen Frauen an einem Jodelseminar teilzunehmen. Ich beschließe den Ruf (bzw. das Jodeln) des Universums zu hören und einen Tag in Schremps zu bleiben. Zudem stellt sich heraus, das ich bei einer sehr interessanten karitativen Organisation Herberge gefunden habe: GEA steht für „Gast Auf Erden“ und hat in Österreich und Deutschland Niederlassungen. Es gibt also heute noch einiges zu entdecken neben dem bekannten Moor- und Naturbädern, die ich natürlich auch besuchen werde.