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Im Waldviertel: Schrems – Waidhofen an der Thaya – Dobersberg

Ich sitze am Frühstückstisch in der Gesellschaft der Intensivjodlerinnen und lerne dabei einiges über die Kunst des Jodeln. U.a. dass eine gute Sängerin nicht unbedingt eine gute Jodlerin abgibt und dass sich gute Jodlerinnen auf der einen Seite sehr auf sich selber fokussieren müssen, aber auf der anderen Seite sich stimmlich zueinander bewegen, um einen gemeinsamen Klangteppich zu weben. Heidi, die Jodellehrerin ist nicht nur pädagogisch bezüglich der Musik aktiv, sondern auch ein Vorbild für die Emanzipation von Ansprüchen. Der Titel Jodeldifrei hat also auch eine lebensphilosophische Dimension.  Die Jodlerinnen haben mich in ihrer Tischgemeinschaft aufgenommen und ich habe richtig viel Freude an den gemeinsamen Gesprächen.

Schrems hat mich am Ende dann doch positiv überrascht. Anfangs dachte ich noch, was für ein elender und unfreundlicher Ort. Aber jetzt habe ich das städtische Moorschwimmbad erlebt, das ich von der Anlage, Großzügigkeit und Architektur für das gelungenste Moorbad halte, das ich jemals besucht habe. Und der Eintritt ist frei! Schrems hat ein eigenes Theater und Kunstmuseum (ein Grieche hatte sich vor Jahrzehnten ins Waldviertel verirrt, ist in Schrems hängengeblieben und hat ein Kunstmuseum und Skulturenpark in die Welt gebracht) und dann natürlich die GEA. Die GEA stellt Möbel, Matratzen und Schuhe her, die fast unverwüstlich sind. Ich hatte am Vormittag mir den Verkaufsraum (das hölzerne Rondell) angeschaut und dann gleich 2 Paar Schuhe (die berühmten „Waldviertler“ gekauft. Die Schuhe werden jetzt an meine Heimatadresse gesandt. Ich hatte sogar das Vergnügen die Lokalprominenz Heini Staudinger kennenzulernen, der der Spiritus Rektor der GEA und in ganz Österreich bekannt ist. Also Schrems ist definitiv einen Abstecher wert, aber man sollte sich dafür dann auch Zeit nehmen.

Gundi hat mich überzeugt, nicht über Heidenreichstein zu wandern, sondern gleich in das Thayatal zu gehen. Ich nehme den Bus von Schrems nach Waidhofen an der Thaya und starte die heutige Wanderung am Hauptplatz der gut erhaltenen Stadt. Der Wanderweg ist hervorragend ausgeschildert und ich komme gut voran. Durch die Stadt, an einer Straße entlang und dann direkt an den Fluß Thaya. 

Eine der Jodlerinnen hat mir erzählt, dass die Thaya während des Kalten Krieges der Grenzfluss zur Tschechoslowakei war und man immer noch Grenzmarken sehen könne. Durch die abgeschiedene Lage gäbe es dort sogar Fischadler. Ich bin gespannt, wildlebende Fischadler habe ich noch nie gesehen.

Die Thaya

Heute ist es warm. Ich habe glücklicherweise die Sonne im Rücken und es geht eine frische Brise. Der Weg führt durch Dörfer und kleine Städte an Feldern vorbei und leider auch teilweise auf von Autos befahrenen Landstraßen. Die dunklen Straßen sind von der Sonne aufgeheizt und die Autofahrer anscheinend keine Wanderer gewöhnt. Immer wieder weichen sie mir erst im letzten Moment aus. Es ist warm und ich schwitze ordentlich. Immer wieder mache ich eine Trinkpause. Das Wandern selber geht gut. Der neue Hüftschwung ist weniger anstrengend und ich bin lockerer in den Oberschenkeln. Das Knie tut fast nicht mehr weh. 

Endlich von der Straße weg und es geht durch einen Naturpark, der teilweise bewaldet ist. Bisher habe ich kaum Menschen gesehen auf dem Wanderweg, einmal werde ich von einem Radfahrerpaar überholt. Dafür sehe ich Wildtiere: einen Feldhasen, ein Fasanenpaar, den Kuckuck kann man gut hören und fast hätte ich eine Kreuzspinne über den Haufen gerannt, die ihr Netz über den Weg spannte. Der Weg ist auch wieder fast zugewachsen und macht den Eindruck, dass hier schon einige ZEIT kein Mensch mehr durchgelaufen ist. An einem Skilift habe ich einen guten Blick auf Dobersberg meinem heutigen Etappenziel. Es geht an einem Saugatter entlang bergab. Es lässt sich keine Sau sehen. Denen ist es bestimmt auch zu warm. 

Kreuzspinne

Kurz vor Dobersberg mache ich Halt und überlege, welchen Gasthof ich zuerst anvisieren soll. Da taucht ein Wandererpaar hinter mir auf. Beide tragen das gleiche leuchtende T-Shirt, nutzen intensiv ihre Teleskopstöcke und sind gut verschwitzt. Beide sehen aus, als ob sie nicht nur Tageswanderer sind und ich spreche sie an. Seit langem endlich mal wieder Mehrtageswanderer. Ich frage nach, ob sie einen Quartiervorschlag für Dobersberg hätten. Sie kennen sich auch nicht aus, aber haben ein Übernachtungspackage gebucht und nennen mir ihr Quartier für Dobersberg. Ich beschließe dort auch hinzugehen.

Nach 15 Minuten bin ich am Gasthof und bekomme auch ein günstiges, einfaches Zimmer. Ich dusche und rufe dann eine Kollegin an, mit der ich mich morgen in Liebnitzmühle an der Thaya treffen möchte. Wunderbar, sie hat Zeit und freut sich, auch ein Gästezimmer kann sie mir versprechen, da der lokale Gasthof leider ausgebucht ist.

Im Gasthof treffe ich das Radlerpaar wieder, die mich begeistert begrüßen. Das ist mir auch noch nicht passiert, dass die einzigen Radler, die mich heute überholt haben, in der gleichen Kneipe ihr Tagesziel haben und sich auch noch freuen, mich zu sehen. Ich treffe auch das Wandererpaar wieder und wir essen gemeinsam zu Abend. Es wird ein sehr schöner Austausch, da beide auch Wanderfreunde sind. Zum ersten Mal kann ich mich mit jemanden über die Strecke unterhalten, die ich gerade gewandert habe. Sie waren den ganzen Tag seit Waidhofen hinter mir und haben sogar meine Fusspuren im Gras gesehen. So haben wir uns dann gegenseitig noch auf Dinge aufmerksam machen können. Ich hatte z.B. in einer kleinen Kapelle am Weg Gebeine gesehen, sie hatte eine Haselnussplantage besonders interessant gefunden und er hatte eine Stelle im Wald, die nach Weihrauch geduftet hat. Schade, dass ich so etwas nicht öfters teilen kann. Beide sind seit 43 Jahren miteinander verheiratet und haben 8 Enkelkinder, für die sie jetzt ein Baumhaus bauen. Da werde ich schon ein bisschen neidisch, da die beiden sich offensichtlich gut verstehen und ergänzen. 

Morgen starten die beiden schon um 5 Uhr morgens. Da sie schneller sind als ich, werde ich dann wohl derjenige sein, der ihre Spuren im Gras entdecken kann ….

Back on the Trail: Bad Kreuznach – Linz – Gmünd – Schrems

Ich fühle mich wohl: Ich sitze oder liege in einem schattigen blumenbewachsenen Hinterhof mit Blick auf ein hölzernes Rondell der GEA und höre die Klänge des Jodel-Intensivseminars Jodldifrei von Heidi Clementi. 

Innenhof bei GEA in Schremps: für Ton bitte auf das Bild klicken

Wie bin ich hierher gekommen? Letzte Woche war ich noch in Bad Kreuznach und war am Überlegen, ob ich wieder wandern gehen kann. Meine seltsame letztjährige Krankheit hatte sich pünktlich zum Jahrestag wieder gemeldet und war an 6-7 Stellen an den Armen wieder aufgebrochen. Mein rechtes Knie hat überraschenderweise stark geschmerzt, wahrscheinlich eine Reaktion auf meinen neuen Hüftschwung. Vor einem Monat hat mein Orthopäde mir eine beidseitige Coxathrose (Hüfte) bestätigt und meine Patentochter, die Osteopathin ist, hat mir empfohlen mein Gangbild zu verändern. Das habe ich getan. Etwas zwischen Marilyn Monroe und John Wayne ist das erklärte Ziel und ich gehe inzwischen tatsächlich mit mehr Hüftschwung. Nur das linke Knie schmerzt seitdem …

Aber ich lebe nur einmal und Corona war jetzt auch lange genug. Am Montag bin ich schließlich in aller Frühe aufgebrochen und mit dem Zug nach Linz gefahren, wo ich letztes Jahr meine Wanderung unterbrechen musste. Ein Wiener Freund hatte mich gefragt: „Bist deppert? Was willstn in Linz??! Da is doch garnix!“ Der verständliche Irrtum eines Wiener Weltstädters, der in Wien den Nabel der Welt vermutet. 

Ich erlebe das anders. Linz hat mich mit offenen Armen empfangen: In meinem Lieblingscafé Cup of Soul wurde ich sofort wiedererkannt, herzlich begrüßt und bewirtet. Iris, die Chefin hat ein besonderes Gespür für die kleinen Details, die das Leben schöner machen, ihr kleiner Hund ist quasi das Schmusetier für alle Gäste und die barfüssige Andrea flitzt mit viel guter Laune hin und her und schaut, das jeder Gast gut versorgt ist. Das Angebot ist originell, da klassische Kaffeehausprodukte mit CBD und Hanfprodukten originell und schmackhaft kombiniert werden. Ich werde gerne wiederkommen. 

Andere Erlebnisse will ich nur kurz auflisten: Mit einer bulgarischen attraktiven Krankenschwester habe ich mich sehr gut über ihre Deutschlanderfahrungen ausgetauscht. In der Institution Ars Electronica habe ich den Linzer Bürgermeister bei einer Eröffnung einer neuen Ausstellung bewundern dürfen. Dem Paradies bin ich in der Ausstellung „Höhenrausch“ näher gekommen und hatte dort einen sensationellen Blick auf die Linzer Stadt und einem künstlichen Tiefnebel. Last but not least habe ich mit dem jüngsten Professor Österreichs auf einem lauschigen Platz in der Linzer Innenstadt zu Abend gegessen und über die Zukunft der Gruppendynamik diskutiert bis das Restaurant schließen musste. Es war einfach herrlich!

Aber eigentlich will ich ja wandern und am Mittwoch bin ich dann mit dem Bus nach Gmünd zum E8 gefahren. Gmünd ist eine Stadt im Waldviertel. Das Waldviertel ist eine karge Gegend mit viel Wald, Mooren und Steinen. Die Waldviertler sind bekannt dafür, dass sie harte Arbeiter sind, die der kargen Natur hier in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt abgetrotzt haben. Die Waldviertler sind eher nicht für ihren Humor bekannt. Das habe ich dann auf der Suche nach dem Weg gemerkt. Als ich ein Paar fragte, ob ich stören darf, um mich nach dem richtigen Weg zu erkundigen, bekam ich als Antwort ein schlichtes „Nein“.  Von der unterschiedlich erlebten Gastlichkeit der Waldviertler später noch mehr.

Es gibt hier viele Teiche und kleine Seen und in der Nähe eines Teichkettenrundweges fand ich dann schließlich den E8. Ausreichend ausgeschildert konnte ich mein Handy ausschalten und einfach den Markierungen folgen. Zuerst ging es durch den Malerwinkel, kurz einen Fluß (Braunau) entlang und dann auf die Blockheide. Ein wunderschönes Fleckchen Erde mit vielen granitenen Findlingen, Seen, Wald und einem Aussichtsturm, wo ich mir ein Eis gekauft habe. Auf dem E8 bin ich dann wieder alleine. Es geht durch einen aufgelockerten Nadelwald, mit ein paar Laubbäumen dazwischen. 

Inzwischen geht es auf den Abend zu und ich beschließe mal wieder eine Unterkunft zu suchen. In dem Dorf Eugenia gehe ich vom E8 ab. Laut den Wegweisern soll es hier Übernachtungsmöglichkeiten geben.  In der ersten winzigen Gasstätte: „Es tut uns leid, aber alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt und zu Essen haben wir auch nichts“. In der zweiten Gaststätten (auch sehr einfach aber ein bisschen größer): „Wir haben nix frei, alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt. Aber 2,5 km weiter da gibts einen Gasthof, der hat mehr Zimmer“. Nach 2,5 km komme ich nach Schrems zu dem Gasthof, der sieht schon wesentlich besser und größer aus. Aber: „Wie lange wollen Sie bleiben? Eine Nacht? Da muss i mal fragen. …. Also alle Zimmer sind mit Arbeitern belegt. Und jetzt können Sie bitte auch schon weitergehen“ Wow, dachte ich mir, habe ich das jetzt richtig gehört? Wo bleibt die österreichische Höflichkeit und der berühmte Charme? Auf dem Hauptplatz finde ich dann ein noch größeres und schöneres Hotel, das allerdings ein bisschen verlassen wirkt. Im Hotel treffe ich auf drei junge Menschen, die ich nach einem Zimmer frage. Die drei sind Berufsschüler, die hier einquartiert wurden, wer die Zimmer vergibt, wissen sie nicht, aber eine Telefonnummer haben sie für mich. Ich rufe an. Die erste freundliche Stimme des Tages meldet sich. „Hallo hier spricht die Marianne. Aber gerne können Sie bei uns übernachten. Kommen Sie doch zu unserer Hauptstelle, da ist es schöner und etwas zu essen haben wir auch für Sie“. Wunderbar, denke ich mir und stelle mir vor, heute nacht in einem Ausbildungsheim für Berufsschüler zu übernachten. Das kann ja auch ganz interessant werden…

Schließlich erreiche ich kurz vor 19 Uhr die Adresse. Komisch, alles scheint geschlossen zu sein. Der Personaleingang ist zu, der Lieferanteneingang ist dicht, ein seltsames Holzrondell scheint eine Art Verkaufsraum für Schuhe und Möbel zu sein. Vielleicht von den Berufsschülern? Aber auch geschlossen. Ich rufe noch einmal Marianne an. Marianne hilft mir wieder sehr freundlich: „Einfach weitergehen, dann kommen Sie auf einen Hinterhof“ Bei der Erklärung gehe ich mit dem Handy in der Hand gleich weiter. Tatsächlich ein schön bewachsener Hinterhof erscheint. „Sehen Sie die Frauen auf der Veranda? Dann sehen Sie auch gleich mich!“ Und tatsächlich, ich kann die Frauen erkennen und dann eine Gestalt, die aus dem Gebäude heraus winkend erscheint. Marianne. Zufrieden komme ich näher und begrüße sie. Dann bemerke ich, dass ich die Neugierde der Frauen auf der Veranda auch auf mich gezogen habe. Zwei gucken mich interessiert an, die ältere schaut mich mit weitaufgerissenen Augen sehr intensiv an. Ich schaue intensiv zurück. Sie kommt mir sehr bekannt vor. Aber das kann eigentlich nicht sein. Ich komme ein Stück näher. Wir schauen uns immer noch direkt an. Kann das …, aber nein das gibt es doch nicht. Schließlich erlöst sie uns und sagt: „Martin?“

Und ich antworte: „Gundi?!“ Gundi und ich kennen uns schon seit Jahren, aber immer nur per Telefon oder Zoom. Seit Corona treffen wir uns sogar regelmässig via Zoom, da wir beide zu einer experimentellen T-Gruppe der ÖGGO gehören. Gerade letzten Samstag hatten wir noch ein längeres Treffen gehabt und jetzt treffen wir uns ZUFÄLLIG im Waldviertel. Wir freuen uns total und klären die anwesenden Damen auf, die schon ein bisschen eifersüchtig und befremdet waren, dass ich ihnen so gar keine Beachtung geschenkt habe. Gundi und ich erleben uns zum ersten Mal dreidimensional und sind überrascht über den anderen Eindruck voneinander: farbiger, jünger… Wir freuen uns total!

Gundi ist im Waldviertel um mit anderen Frauen an einem Jodelseminar teilzunehmen. Ich beschließe den Ruf (bzw. das Jodeln) des Universums zu hören und einen Tag in Schremps zu bleiben. Zudem stellt sich heraus, das ich bei einer sehr interessanten karitativen Organisation Herberge gefunden habe: GEA steht für „Gast Auf Erden“ und hat in Österreich und Deutschland Niederlassungen. Es gibt also heute noch einiges zu entdecken neben dem bekannten Moor- und Naturbädern, die ich natürlich auch besuchen werde.