Bei schönstem Wanderwetter steige ich in den E8 wieder ein, wo ich ihn gestern verlassen habe. Am Anfang des Tages liegt der längsten Anstieg. Zuerst geht es durch den Wald, einmal ist der Weg sogar gesperrt. Dann treffe ich auf die Zufahrtsstrasse zu dem Ort Grandsberg, wo ich gestern schon sein wollte. Die Zufahrtsstrasse ist tatsächlich gesperrt, um genau zu sein, sie wird neu gebaut. Der Teer ist noch richtig heiß und meine Wanderschuhe kleben am Belag und machen ein schmatzendes Geräusch, wenn ich die Füße hebe. Ein Teil der neuen Straße muss ich am Rand laufen, der Belag ist noch zu heiß.
Ab Grandsberg ist es ein leicht ansteigender, breiter Weg durch den Wald. Hier sind auch viele Radfahrer wieder unterwegs, die meisten mit Mountainbike. Das letzte Stück ist steiler und sehr steinig. Mir kommt eine Familie entgegen, die ich schon kurz vor Grandsberg kennengelernt habe. Die beiden Damen unterhalten sich ein bisschen länger mit mir, da sie sehr wanderinteressiert sind. Die Männer – vom Mittagshunger getrieben – sind schon weiter vorausgeeilt. Die zwei lustigen Damen entpuppen sich als Schwiegermutter und -tochter, die ein sehr gutes Verhältnis miteinander haben.
Ein bisschen beneide ich die beiden darum, aber die gute Laune ist ansteckend und ich ziehe leichtfüssig das letzte Stück zum Hirschenstein hoch. Mit über 1000 Meter einer der höheren Berge im Bayrischen Wald. Zusätzlich hat man auf dem Gipfel einen kleinen Aussichtsturm aus Stein gebaut. Von dem hat man einen sehr gute Aussicht. Trotz des schönen Wetters kann ich leider die Alpen nicht sehen. Mir gefällt es dort oben so gut, dass ich ein bisschen verweile und nebenbei auch noch Leute kennenlerne. Denn heute sind am Hirschenstein vor allen Dingen, Wanderer anwesend neben ein paar wenigen Mountainbikern, die es hier hoch geschafft haben.
Nach einer gemütlichen Rast mache ich mich wieder auf dem Weg. Ich wähle den Weg nach Kalteck, der zwar länger, dafür aber noch 2 Aussichtspunkte bietet. Da bleiben ich dann ein bisschen länger sitze und genieße einfach das Panorama.
Meine Hoffnung in Kalteck auf eine Unterkunft zerschlägt sich schnell. Es ist ein Wintersportort, der sichtbar unter den warmen Winter der letzten Jahre gelitten hat. Das Berghotel steht leer und verlassen da. Ich rufe verschiedene Unterkünfte in Gotteszell an. Am Ende habe ich Glück und kriege ein Zimmer. Aber es sind noch 9 Kilometer zu laufen und es ist schon später Nachmittag. Ich überquere die Straße und wandere den Regensburgstein hoch. Auch da gibt es einen Aussichtspunkt, jetzt sogar mit Abendsonne. Der Regensburgstein war der letzte Anstieg des Tages, ab da geht es nur noch bergab. Zuerst durch den Wald. Ich merke, dass die Tage nicht mehr so lang wie noch im Juli sind. Es fängt schon an dämmrig im Wald zu werden. Meine Beine fangen an müde zu werden vom Abwärtslaufen. Als ich schließlich aus dem Wald rauskomme, habe ich das Tal, in dem Gotteszell liegt, vor mir. So, lässt es sich aushalten, mit dem Tal in der Abendstimmung vor mir erreiche ich meine Herberge. Die Wirtin empfängt mich mit dem Worten, falls ich noch etwas essen möchte, müsste ich bald kommen, da die Küche bald schließt. Ich beeile mich, denn ich habe seit dem Frühstück nur zwei Äpfel gegessen.
Beim Abendtisch lerne ich zwei Ehepaare kennen: Ein Ehepaar aus Eschwege, die sich vor zwei Tagen entschieden haben, spontan in Deutschland Urlaub zu machen und ein Ehepaar kommt aus Plauen. Der Sachse erkennt mich sofort wieder, da er mich am Hirschenstein gesehen hat. Seine Frau ist erstaunt, da er sonst nie jemanden wiedererkennen würde. Das liegt bestimmt an meinem weißen Bart und der Tatsache, dass die beiden den Goldsteig in einer Mehrtagestour bis Passau wandern. Auch der Goldsteig ist menschenleer und man merkt sich, wenn man schon mal jemandem begegnet.
Es wird ein geselliger Abend und wir unterhalten uns angeregt über die Tische hinweg, um die Abstandsregeln einzuhalten. Sogar der Wirt beteiligt sich an unseren Gesprächen über Wanderwege, den Bayrischen Wald, die sächsische Schweiz, den Tourismus in der Region und den Hütten des Alpenvereins. So einen Austausch zwischen Wanderer habe ich schon die ganze Zeit vermisst. Endlich! Die beiden Sachsen haben die Luxusvariante gewählt und lassen sich ihr Gepäck zum jeweiligen Tagesziel fahren und haben schon alle Unterkünfte im voraus gebucht. Vielleicht kann ich meinen Rucksack morgen auch mitfahren lassen, mal schauen, wie meine Route morgen aussieht. In Richtung Passau wandere ich schließlich auch.
Ich geh ganz beschwingt in mein Zimmer. Im Bayrischen Wald wird das Licht früh ausgemacht, um Strom zu sparen.
Meinen Füssen geht es trotz des langen Wandertages heute ganz gut. Der eine Tip meiner Fußpflegerin aus Bad Kreuznach mit dem Fersenstrumpf hat sich bewährt. Der andere Tip, am Ende eines Tages ein dreissigminütiges Fußbad mit Natron zu nehmen, hat auf jeden Fall eine sehr entspannende Wirkung. Ob es die Milchsäure schneller abbaut, werde ich morgen wissen.