Archive : Mühlviertel

Vom Mühlviertel an die Donau: Waxenberg – Sankt Veit – Linz

Direkt nach dem Frühstück unternehme ich einen Abstecher auf die Burgruine Waxenberg. Die Gemeinde Waxenberg hat die Burgruine instand gesetzt und den Burgturm begehbar renoviert, zusätzliche „Kunstwerke“ erweitern den Gesamteindruck.

Ich besteige den Turm und als ich oben angekommen bin, stehe ich inmitten einer Hochzeitsfeier von Einheimischen! Es ist so voll, dass ich zeitweise das wirklich tolle Panorama nicht sehen kann. Die Hochzeitsgäste sind alle aufgeregt und schwirren nur so umeinander. Ich merke auch schnell, dass ich nicht erwünscht bin und nach 10 Minuten verlasse ich den Turm und warne nach mir Kommende.

Der Wirt meiner letzten Herberge klärt mich auf und erzählt mir, dass immer wieder Ameisenhochzeiten sich auf dem Turm versammeln und keiner dieses Phänomen erklären kann. Es sind tausende von geflügelten Ameisen, die dort umherfliegen und mir ständig in die Augen geflogen sind oder sich auf meine Haut gesetzt haben. Die Ameisensäure ist nur leicht zu spüren gewesen, aber bei sovielen Ameisen ist es dann doch unangenehm. Ich bin beeindruckt von diesem Naturphänomen und rätsle, warum die Tiere sich den hohen Turm ausgesucht haben.

Ich wandere von Waxenberg nach Sant Veit. Einmal vom Berg runter, durch das Tal und auf die andere Seite wieder hoch. Sankt Veit liegt auch auf einem Berg. Positiv habe ich bisher erlebt, wie gut die ländliche Infrastruktur im Mühlviertel ist. Fast jedes Dorf hat einen Sparladen und andere Geschäfte. Auch Bushaltestellen mit stündlichen Abfahrten ist hier eine Selbstverständlichkeit.

Ich habe heute morgen auf die Wettervorhersage geguckt. Heute soll der letzte sonnige Tag für eine ganze Weile zu sein. Ich beschließe, die guten Busverbindungen zu nutzen und fahre mit dem Bus nach Linz, um einen Pausentag zu machen. In Linz, der drittgrößten Stadt in Österreich, habe ich einen schönen Tag mit vielen und intensiven Begegnungen. Ich lerne z.B. eine Maniküre/Pediküre kennen, mit der ich einen Gin Tonic trinke gehe und mich sehr gut unterhalten kann. Sie war in ihrer Jugend Profihandballerin gewesen und hat eine Menge skurriler Kunden, von denen sie mir lustige Geschichten erzählt.

Dieser Eintrag kommt mit Verspätung. Bitte entschuldigt. Der Grund ist der folgende: Am Donnerstagmorgen erhalte ich eine WhatsApp Nachricht. Meine Tante, mit der ich in einer Wohngemeinschaft lebe, hatte gestern einen Verkehrsunfall und liegt seitdem im Krankenhaus. Ich beschließe meine Tour zu unterbrechen und morgen nach Bad Kreuznach zurückzukehren, so dass ich mich um sie kümmern kann bis sie wieder fit ist.

Am Freitag bin ich mit dem Zug von Linz nach Bad Kreuznach gefahren. Meine Tante habe ich im Diakoniekrankenhaus besucht. Sie ist aktuell schmerzfrei und wird wahrscheinlich am Montag entlassen werden. Ich soll euch alle schön grüßen und für die vielen guten Wünsche danken!

Im Mühlviertel: Sankt Peter – Waxenberg

Sankt Peter am Wimberg im Mühlviertel

Heute ist wieder schönstes Wanderwetter! Bei Sankt Peter geht es direkt auf einen Wanderweg, der durch sattgrüne Wiesen führt. Die meisten Wiesen hier werden gerade geheut. Manchmal ist die Wiese schon fertig abgeerntet, dann liegt das Gras gemäht am Boden und trocknet zu Heu oder ein Bauer mäht die Wiese und es riecht nach frisch gemähten Gras. Olfaktorisch ist das ein echter Traum!

Mir begegnet eine Wandergruppe aus österreichischen Damen. Sie haben leider keine Zeit für ein Gespräch und sind schnell unterwegs. Sie wandern den Granitweg. Die hauptsächliche zugrundeliegende Gesteinsart im Mühlviertel ist Granit. Oft kann ich Granitbrocken liegen sehen. Die Damen sind alle mit Teleskopstöcken ausgerüstet. Vielleicht sind sie ja deswegen so schnell.

Ich merke heute, dass ich im Kopf müde werde. Das Wandern läuft dann fast wie von selbst (insbesondere da ich ja jetzt digitale Unterstützung habe) und ich denke an alles mögliche.

Einmal führt mich die Wanderapp mitten durch die Wildnis, um mir nach einer halben Stunde zuzurufen: „Der Weg liegt 150 Meter links von dir!“. Die Warnung hätte ich vor dreissig Minuten gebraucht. Ich schlage mich links durch Wald und Wiese und tatsächlich ich bin in kurzer Zeit wieder auf dem offiziellen Wanderweg.

Mittags mache ich Pause und lege mich auf eine Wiese im Schatten von zwei Birken. Ich bin in einer Bilderbuchlandschaft: Die Sonne scheint, ein lauer Wind sorgt für Abkühlung, saftig grüne Wiesen, idyllisch gelegene Dörfer mit großen und neuen Häusern, tollen Gärten; sogar die Rindviecher, denen ich heute begegnet bin, wirken glücklich. Kein Wunder: sie dürfen ihre Hörner tragen, Muttertiere zusammen mit ihren Kälbern oder Schumpen sind auf einer großen Wiese mit Bach und – ich glaube ich träume – ich sehe sogar einen Stier! Die Kühe hier müssen nicht auf die künstliche Befruchtung durch den Tierarzt warten, wenn sie Nachwuchs haben wollen. Die Weiden erinnern mich an das Oberallgäu. Kaum habe ich das gedacht, entdecke ich sogar Silberdisteln.

Am Nachmittag erreiche ich Waxenberg. Auf dem Berg steht eine Burgruine. Die Herberge ist heute vom gehobenen Niveau, aber ich habe im Umkreis von 8 Kilometern nichts freies oder geöffnetes gefunden. Einige Herbergen machen jetzt ihren Betriebsurlaub, da in Österreich heute die Schulen wieder angefangen haben. Mein Zimmer hat sogar eine Badewanne! Seit letztem Jahr lebe ich in Bad Kreuznach bei meiner Tante in einer Wohnung ohne Badewanne. Früher habe ich in Wohnungen mit Badewanne gelebt und das vielleicht zwei oder dreimal im Jahr genutzt. Jetzt wo ich keine Badewanne mehr zur Verfügung habe, ist es für mich Luxus pur. Ich lasse mir als erstes eine Badewanne ein. Mir fällt ein, dass ich nicht nach dem Preis gefragt habe, und befürchte billig wird es nicht. Aber den Gedanken schieb ich auf morgen und lege mich in die Wanne.

Burgruine Waxenburg von meinem Zimmer aus

Mir geht es gut.

Im Mühlviertel: Lembach – Neufelden

Heute morgen erfahre ich, dass ab Montag die Coronaregeln in Österreich wieder verschärft werden, d.h. Maskenpflicht in öffentlichen Räumen. Heute ist noch keine Maskenpflicht in Gaststätten und Hotels. Viele Gäste nutzen das noch einmal aus. Ich bin der einzige, der mit Maske herumläuft, bei mir ist das Tragen inzwischen schon zur Gewohnheit geworden.

Der erste Teil der heutigen Strecke ist ein Zubringer zum E8. Ich vertraue der Kartenanwendung, dass mir ein guter Wanderweg dahin schon gezeigt werden wird. Zuerst geht es auf einen Seufzerweg, der Kurgäste mit den Schönheiten der Natur bekannt machen möchte. Aber schnell führt mich die App durch Waldabschnitte, an Wiesen und Bauernhöfen vorbei, wo schon lange kein Wanderer mehr gegangen ist.

Einmal muss ich durch eine hüfthohe Brennnesselschneise und das mit kurzen Hosen. Als Grundschüler bin ich einmal in einen Brennnesselwald gefallen, es hat gebrannt wie Hölle und ich hatte überall Quaddeln vom Nesselgift. Darauf hin hat mich meine geliebte Großmutter mit der Zukunftsaussicht getröstet, dass ich in meinem Leben keine Gicht und Rheuma mehr bekommen könnte, weil das Nesselgift dagegen helfen würde. Jetzt muss ich an meine Großmutter denken.

Ich komme an einer Wiese mit neugierigen Kühen vorbei, die auf mich zukommen und ein paar Schritte begleiten. Dabei fallen mir drei Kühe auf. Eine schnuppert der anderen am Hinterteil rum und besteigt sie dann von hinten. Die andere Kuh lässt es sich gefallen und bleibt stehen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Kuh zur Zeit paarungsbereit ist. Der Bauer müsste jetzt den Tierarzt zum Besamen holen.

Ich erreiche die kleine Mühl, einer der Flüsse die dem Mühlviertel ihren Namen gegeben haben. Ich laufe flussaufwärts und freue mich an dem vollen Fluß. Das Mühlviertel soll angeblich das wildwasserreichste Gebiet in Österreich sein.

In Doll überquere ich den Fluß und laufe südöstlich zur Großen Mühl nach Neufelden. Einem einzigen Mann begegne ich auf dem Weg nach Neufelden. Er steht an einem großen Haufen von Baumstämmen und sucht nach einem Eichenstamm, den er für den Bau eines Tisches braucht. Er trägt mich nach meiner Meinung, ob einer der Stämme eine Eiche sei. Viele Eichen habe ich heute noch nicht gesehen, hier gibt es mehr Nadelbäume und Ahorn. Er wohnt ganz in der Nähe und sucht schon seit ein paar Tagen.

Am späten Nachmittag komme ich in Neufelden an. Neufelden liegt zwar direkt an der Großen Mühl, aber bestimmt 70-80 Höhenmeter höher. Die letzten Meter haben es dadurch noch mal in sich und das mit dem Ziel direkt vor meine Augen. Neufelden selber ist ein hübsches Städtchen.

Ich habe Glück mit meiner Herberge. Die Wirtin ist sympathisch und gibt mir einen Upgrade auf das Zimmer. Das Zimmer hat einen tollen Ausblick auf die Große Mühl bzw. dem Stausee und ist großzügig geschnitten. Unter dem Hotel verläuft eine Wasserleitung, die zum Wasserkraftwerk führt, wo Strom erzeugt wird.

Stausee der Großen Mühl bei Neufelden

Es gibt sogar ein Hallenbad mit Whirlpool, das ich sofort ausgiebig benutze. Ich bin alleine im Hallenbad. Mein Muskelkater lockert sich, ich entspanne mich und fühle mich im Wasser federleicht. Meine Füsse fühlen sich an wie mit Wattekissen gepflastert. So ist das Leben schön und mir geht es gut!

Im Mühlviertel: Oberkappel – Ameisberg – Lembach

Der Gasthof hat sechs Zimmer. Die Wirtin erzählt mir, dass es eine Zeit gab, als Gasthöfe oder Restaurants in der Region ihr Geschäft um Zimmervermietung erweiterten. Meistens nur wenige Zimmer. Das Hauptgeschäft blieb aber der Restaurantbetrieb. So ist es auch in diesem Gasthof: das Essen ist phänomenal und die Gaststube ist brechend voll (soweit man das in Coronazeiten sagen kann).

Beim Verlassen von Oberkappel mache ich noch schnell einen Abstecher an die ehemalige Grenzstation. Dabei komme ich an einem Cafehaus vorbei. In dem Cafehaus sitzen bestimmt 15-20 österreichische Grenzer in Uniform. Alte und junge Grenzer, die sich angeregt unterhalten und einen Frühschoppen halten. Ich denke über die Perspektiven der jungen Grenzer nach. Eine deutsch-österreichische Grenze zu „bewachen“ oder den Warenverkehr hier zu „überwachen“? Das hört sich erst einmal nach einem entspannten Job an im Zuge einer immer stärkeren Europäisierung. Auf der anderen Seite, ständig von den senioren Grenzern anzuhören, wie spannend, aufregend und relevant die Arbeit mal war, stelle ich mir sehr frustrierend vor.

Der gestrige Tag mit meinen Ab- und Umwegen hat mich noch mal dazu gebracht, im Internet nach einer mobilen Kartenlösung zu suchen. Schließlich habe ich eine Anwendung gefunden und probiere sie gleich aus. Tatsächlich führt sie mich genau den E8 entlang. Sogar mit Maschinenstimme. Die Stimme ist nicht ganz so mein Typ. Ich würde eine schöne Altstimme bevorzugen. Einladender könnte die Stimme auch sein, Kommandoton ist auch nicht so meins.

Heute sind am Anfang erst einmal 600 Höhenmeter zu bewältigen. Das geht nicht schnell, sondern langsam. Die Landschaft im Rohrbacher Land ist stärker zersiedelt als im Bayrischen Wald. Wald, Felder, Wiesen und Dörfer wechseln relativ häufig. Ich komme durch Wald, wo es größere Baumschäden gegeben hatte, die jetzt aufgetürmt werden. Viele Fichten sind gefällt worden und es riecht stark nach den ätherischen Ölen. Die Sonne scheint darauf. Ich liebe diesen Geruch.

Mittags habe ich total verschwitzt den höchsten Punkt erreicht, den Ameisberg. Der Berg ist bewaldet und auf dem Gipfel führen Straßen hoch und es steht ein Sendemast. Aber leider keine Aussicht. Schade. So ein zünftiger Aufstieg wird eigentlich nur durch eine schöne Aussicht belohnt. So komme ich mir ein bisschen um meine Belohnung betrogen vor. Ich ziehe mein nasses Hemd aus und hänge es zum Trocknen an den Rucksack.

Es geht weiter durch den Wald. Die Kartenanwendung hat manchmal bei vielen Forstwegen Orientierungsprobleme im Wald, ansonsten habe ich alle Wegpunkte problemlos gefunden. Echt kommod. Ich fange an, mich zu entspannen. Heute kein Umwege über befahrene Landstraße wäre super. Zweimal lichtet sich der Wald und ich kriege dann doch noch einen Panoramablick.

Dann zeigt auf einmal die Anwendung einen Weg an und ich soll rechts darauf abbiegen, aber da ist kein Weg, sondern es steht dort ein Haus. Glücklicherweise kommen zwei Spaziergängerinnen mir entgegen. Ich frage beide nach dem Weg. Sie überlegen kurz und beschreiben mir den Weg für die nächsten ein, zwei Kilometer sehr akkurat. Dann fragen sie mich, ob ich ein Pilger sei. Ich erzähle ihnen meine Motivation, Wanderziel und -weise. Die beiden kommen aus der Gegend und erzählen, dass sie am Montag wieder in die Schule müssen. Ich stutze, die jüngere sind nicht mehr so jung aus als dass sie in die Schule müsste. Die ältere ist Grundschullehrerin und sagt, dass sie noch ein bisschen arbeiten müsste bis zum Ruhestand. Ich bin wieder irritiert. Was meint sie mit ein „bisschen“? Schließlich frage ich die beiden nach ihrem Alter und muss feststellen, dass ich mich beiden locker um 10-15 Jahre verschätzt habe! Ich frage die beiden nach ihrem Geheimnis. Die beiden lachen und wir überlegen gemeinsam. Zuerst meinen sie, dass es an der Ruhe auf dem Land liegen könnte. Ruhe meint hier nicht, dass es still ist (das ist es auch auf dem Land nicht), sondern das Fehlen von Autolärm oder der Krach von Maschinen. Am Ende unseres Gespräches glauben wir, dass es an der Arbeit mit den Kindern liegen muss. Auch ihre Tochter arbeitet in der Kinderbetreuung. Ich verabschiede mich von den zwei freundlichen Damen.

Am Abend erreiche ich meine Unterkunft. Es ist kurz nach 18 Uhr und die Sonne ist schon am Untergehen. Ich merke, dass es Herbst wird.

Mein guter austrostämmiger Freund hatte ja schon angedeutet, dass in Österreich die Wegmarkierung für den E8 vielleicht nicht ganz so wie in Deutschland sein könnte. Er hat heute recht behalten: Eine sehr schöne Markierung auf 18 Kilometer. Auch die andere Wege sind eher für Ortskundige markiert.