Archive : Bayrischer Wald

Im Bayrischen Wald: Passau – Krellberg

Heute morgen geht es wieder los nach der gestrigen Pause. Passau und die Flüsse liegen im Nebel. Ich verabschiede mich von der schwarzen Ilz. Es geht anfangs ersteinmal wieder bergauf. Der E8 ist nur an der Ilzbrücke ausgeschildert, ansonsten fehlt jedwede Markierung. Ich orientiere mich am Goldsteig und folge dessen Markierungen. Es geht an einer Kirche vorbei und bald bin ich auf einem gut ausgebauten Waldweg. Von da aus über Felder zu einem Ort, wo ich mich im lokalen Supermarkt mit Lebensmittel versorge. Dann geht es wieder in den Wald. Immer weiter folge ich dem Goldsteig.

In Zieglreuth wird das Gefälle noch mal steiler. Entsprechend langsamer werde ich. Ich komme an einem Garten vorbei, aus dem Schlagermusik ertönt. Ein älterer Mann steht am Zaun und mustert mich eindringlich. Ich schaue ihn auch an und sage: „Grüß Gott!“. Er grüßt zurück und ruft mir zu: „Sie sehen gut aus! Der Bart ist schön und der Hut auch. Sie sehen aus wie aus Südfrankreich!“ Ich muss lachen und erkläre ihm, dass ich aus Deutschland sei. Auf einmal fängt der Mann an zu erzähle:. Er ist vor einigen Monaten schwer im Garten gestürzt und hat sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. U.a. dass auch ein Gesichtsnerv davon betroffen war und dass das Monate dauert bis alles heilen würden. Jetzt darf er nicht mehr Auto fahren und muss bei seinen Gartenarbeiten aufpassen. Unvermittelt wechselt er das Thema, alle im Dorf würden ihn für den bösen Mann halten, weil er die Katzen der Nachbarn aus seinem Garten vertreiben würde. Als Entschuldigung führt er an, dass Katzen nie zuhause ihr Geschäft verrichten würden, sondern dafür seinen Garten benutzen. Er hat dafür eine Extraschaufel und Besen, damit sammelt er den Katzenkot ein und wirft ihn bei den Nachbarn in den Garten. Aber er liebt alle Tiere, versichert er mir.

Plötzlich sehe ich wie zwei Wanderer auf dem Weg von oben kommen. Zwei Weitwanderer. Ich unterbreche das Gespräch mit dem alten Mann und tausche mich kurz mit den beiden aus. Sie sind seit zwölf Tagen unterwegs und laufen heute noch bis Passau und beenden dann ihre Tour. Sie haben ähnliche Erfahrungen mit anderen Wanderern gemacht wie ich und sind dem Goldsteig der tschechischen Grenzen entlang gefolgt. Dann verabschieden wir uns. 

Ich drehe mich nach dem alten Mann um, der ist aber nicht mehr zu sehen. Ich gehe ein paar Schritte weiter und auf einmal taucht er wieder auf und hält eine Art Holzwurzel in der einen Hand. „Das ist der Teufel!“ sagt er mir und schaut mich intensiv an. Ich kann nicht widerstehen und fotografiere ihn so. Dann verabschieden wir uns freundlich von einander. Ich komme ins Grübeln, wie stark der Sturz ihn vielleicht auch mental beeinflusst haben könnte.

Nach Zieglreuth geht es wieder durch den Wald bis ich eine Landstraße mit separatem Fahrradweg erreiche. Die Wegmarkierungen des Goldsteigs sind gut zu erkennen. Ich habe wieder Netzempfang und überprüfe, inwieweit ich noch auf dem E8 bin. Mist! Er liegt um ca. 500 Meter daneben und ich bin an einer Stelle, wo der Goldsteig eine andere Route nimmt. 

Ich improvisiere und wandere nach Kellberg. Kellberg liegt auf der Spitze des Berges und ist ein Kurort. Nach einigen Versuchen finde ich einen Gasthof für die Nacht. Der Gasthof ist überraschend geschmackvoll eingerichtet. Der Innenarchitekt hatte ein gutes Gefühl für Proportionen und Farben. Ich fühle mich in meinem Zimmer wohl. Auch der Biergarten ist sehr hübsch. In den Fluren hängen Bilder der jungen Tochter des Hauses auf verschiedenen Urlauben und unterschiedlichen Situationen. Gut gemacht. Da hat ein guter Fotograf (oder Fotografin) sein Motiv gefunden. Alle Bilder sind gerahmt und mit Passepartout. Mein alter WG Kumpel, der selber professionell fotografiert hat und eine Galerie für einige Jahre sein eigen nannte, hätte sich gefreut.

Am Abend gehe ich eine Runde durch das Dorf. Der Gasthof liegt neben der Kirche und gegenüber einem kleinen Museum, das die alte Dorfschmiede zeigt. Das Museum ist offen und ich lerne, dass damals Schmied, Wagner und Gasthof eine Art Aufgabenteilung hatte: wenn z.B. ein Bauer sein Wagen zum Reparieren brachte, dann machte der Schmied das entsprechende Eisenstück, der Wagner baute es ein und im besten Fall wartete der Kunde im Gasthof darauf, dass alles fertig wurde.

Morgen möchte ich den E8 bis zur österreichischen Grenze wandern.

Im Bayrischen Wald durch das Ilztal nach Passau

Um sechs Uhr werde ich von der bayrischen gemeinen Hausmücke geweckt. Ich spüre die zahlreichen juckenden Stiche, sie war offensichtlich schon ein paar Mal in der Nacht bei mir gewesen. Ich bin zu müde, um auf Mückenjagd zu gehen, aber schon zu wach, um gleich wieder einzuschlafen. Das Notzimmer hat keine Vorhänge und ich kann die Morgenröte sehen. Dann schlafe ich doch noch einmal ein.

Heute ist ein schöner und sonniger Tag. Ich verlasse Fürsteneck und wandere wieder zur Ilz runter. Der Weg geht immer auf der linken Seite der Ilz flussabwärts. Auf dem Goldsteig begegnen mir immer Tageswanderer, meistens Paare. Es scheint zu stimmen, was die Wirtin gesagt hat, September ist der beste Monat für die Gastronomie im Bayrischen Wald. Die Ilz und das Ilztal wird immer breiter, es ist wirklich ein wunderschönes naturbelassenes Flusstal. Der Weg läuft größtenteils durch Auwald immer in der Nähe des Flusses.

Heute habe ich Glück und sehe eine Wasseramsel, die immer wieder auf Steinen in der Ilz landet und sich dann ins Wasser stürzt. Die Wasseramsel macht den Fischen Konkurrenz um ihr Futter und wärmt sich immer mal wieder auf großen Flöussteinen in der Sonne auf. Auch drei Gänsesäger sehe ich, die pfeilschnell gegen den Strom mit dem Schnabel im Wasser auf Futterjagd gehen. Sie sind um einiges größer als Stockenten, die auch immer mal wieder auf dem Fluß zu sehen sind.

Der Goldsteig verläuft parallel zu Eisenbahngleisen. Ich erreiche den Ort Kalteneck und sehe einen Bahnhof. Der Zug verkehrt im Ilztal nur am Wochenende und wird mit ehrenamtlichen Mitarbeitern betrieben. Es hängt ein Fahrplan aus. Schade, heute ist Dienstag. Ich wär jetzt echt gern ein bisschen mit der Bahn gemütlich durch das Ilztal gefahren. Das ist bestimmt total romantisch. In Kalteneck bin ich mir unsicher, was den richtigen Weg betrifft. Netz habe ich auch keines mehr. Geht es jetzt rechts oder links an der Ilz nach Passau? Ich entscheide mich, weiter auf der linken Seite zu bleiben.

Nach ein paar hundert Metern stehe ich vor einer Wegsperre. Schon wieder Holzfällarbeiten! Ich drehe um und will zurückgehen. Dann fällt mir ein, dass der Weg ja parallel zur Bahnlinie verläuft. Wenn ich jetzt einfach die Bahngleise langlaufen würde und die Wegsperrung umgehe? Ich zögere, wegen der mögliche Gefahr. Aber dann: Die Bahn fährt ja schließlich nur am Wochenende. Und schon laufe ich auf den Gleisen flussabwärts. Jetzt komme ich mir ein bisschen vor wie ein amerikanischer Hobo; Wanderarbeiter, die an den Gleisen entlanggelaufen und schwarz mit Güterzügen kreuz und quer durch die Staaten gefahren sind. Bald wechsle ich wieder auf den Wanderweg und bleibe aufmerksam, falls die Holzfäller noch vor mir sind. Ich laufe weiter bis ich wieder auf ein Hindernis stosse. Bäume liegen quer über den Weg. Jetzt ist wirklich kein Wunder mehr, dass mir niemand begegnet. Dieses Hindernis kann ich einfach umgehen.

Es wird Nachmittag und allmählich kriege ich Appetit. Ich bin bisher ohne Pause gelaufen. Im nächsten Ort verlasse ich den Weg, weil ich einen Wegweiser zu einer Pizzeria sehe. Ich überquere den Fluß über eine Brücke. Aber der Gasthof hat heute Ruhetag und ich muss wieder umkehren. Dabei komme ich an einer Bushaltestelle vorbei. Eine Frau sitzt dort. Ich frage sie, auf welchen Bus sie wartet. Sie antwortet, nach Passau, wenn der Bus denn endlich käme. Ich denke kurz an meine Tante, sie würde jetzt sagen: „Was will dir das Universum sagen?“ Ich verstehe die Botschaft so, dass ich mit dem Bus den Rest der Strecke nach Passau fahren, einen Herberge finden und in aller Ruhe meinen Pausentag starten soll. Kaum ist meine Überlegung fertig, kommt auch schon der verspätete Bus und ich steige ein.

Im Bayrischen Wald: Lemming – Brotjacklriegel – Zenting

Heute morgen komme ich schwer aus dem Bett. Frühstück gibt es aber im Gasthof nur bis 9 Uhr. Also stehe ich auf. Das Frühstück ist besser als gedacht. Frisches Obst und selbstgemachter Apfelsaft.

Beim Aufräumen verliere ich eine meiner Socken. Jetzt habe ich noch anderthalb Paare. In Passau werde ich mir ein neues Paar kaufen.

Das Wetter ist schön als ich losgehe. Die Wegmarkierungen sind nicht so gut wie gestern. Immer wieder muss ich umkehren und neu ansetzen. Ich bin gereizt. Die Wegmarkierungen verschwinden außerhalb der Ortschaft ganz. Es geht steil in den Wald hinauf. Es wird wärmer und ich schwitze ordentlich. Mein Hemd ist klitschnass. Immer noch keine Wegmarkierung. Allmählich bekomme ich das Gefühl, dass ich den total falschen Weg gewählt habe. Hätte ich bloß einen Pausentag heute gemacht. Ich orientiere mich an der Kompassapp, aber auch die ist nicht richtig hilfreich, wenn überhaupt keine Wegmarkierungen mehr da sind. Auf dem Weg, auf dem ich gerade wandere, ist schon lange keiner mehr gelaufen. Ich denke an das sächsische Ehepaar, die vor mir auf den Goldsteig aufgebrochen sind. Ich bemerke ein Spinnennetz, das direkt über den Weg gespannt ist. Wenn die beiden vor mir hier langgekommen wären, würde das Spinnennetz hier nicht sein. Ich sehe die Spinne. Mann, ist die groß! Und der Spinnenfaden ist richtig fest und zerreißt nicht einfach als ich hindurchgehe. Ich kann regelrecht drübersteigen. Auch einen Frosch sehe ich, der in aller Ruhe den Weg langhüpft und sich von mir fotographieren lässt.

Auf einmal höre ich ein lautes Knacken im Wald. Ein Schwammerlsucher! Ich frage ihn nach dem Weg. Er kennt weder den E8 noch den Goldsteig. Er zeigt mir einen Schleichweg, der zur nächsten Ortschaft führt. Auf dem Schleichpfad erreiche ich schließlich den Ort und ein großes Hotel. Ein verlassenes Winterhotel direkt am Skilift, wie so viele in dieser Gegend. Ein großer Parkplatz vor und hinter dem Hotel. Aber ab hier ist der Goldsteig wieder gut beschildert und Schönwetterwanderer sind unterwegs, ganz alte und ganz junge.

Auf einer Bank mit Blick auf das Hotel mache ich erschöpft Rast. Schade, dass das Hotel geschlossen hat. Ich hätte mir dort ein schönes Mittagessen bestellt und mal nach den Preis für ein Einzelzimmer gefragt. Aber es ist zu und sieht schon ein bisschen verwildert aus. Ich sehe verschiedene Gruppe an mir vorbeigehen Richtung Brotjacklriegel. Eine Familie fällt mir auf, die flott den Hang hochlaufen. Zwei Chihuahuas und zwei schwarzhaarige Töchter in modernen Klamotten.

Eine halbe Stunde später breche ich auch auf. Es geht den Skilift hoch, es stehen sogar Schneekanonen herum. Danach geht es – immer weiter bergauf – über Wiesen wieder in den Wald hinein. Auf einmal sehe ich die Familie mit den Chihuahuas, die gerade eine Pause einlegen. Ich glaube es kaum, es sind die ersten, die ich seit Wochen eingeholt habe und das noch mit Vorsprung! Als ich näherkomme, sehe ich auch warum. Die beiden Mädchen sind erschöpft und frustiert und sehen aus als ob, Weihnachten und Ostern die Geschenke ausgefallen sind. Ich wechsele mit den Eltern ein paar lustige Bemerkungen und laufe weiter. Der Gipfel ist bereits nach 100 Metern erreicht. Auf dem Gipfel steht ein großer Sender, der digital sendet und ein sehr große Reichweite hat. Zusätzlich ist ein Aussichtsturm mit kleiner Gastwirtschaft errichtet worden. Der Blick von da oben ist ein echter Rundblick. Der beste, den ich bisher auf meiner Wanderung hatte. Die Alpen liegen leider wieder im Dunst bzw. in den Wolken. Ich trinke noch etwas auf der kleinen Veranda.

Dann geht es wieder los. Diesmal nur noch bergab. Zuerst durch den Wald, wo es ziemlich steil runter geht. Dann stoße ich auf eine schmale Straße. Verflixt, die Wegmarkierung sind schon wieder so mehrdeutig. Ich habe keine Lust auf so eine Orientierungslosigkeit wie heute morgen. Ein älterer Radfahrer kommt die Straße entlang und fragt mich, ob ich einen Radfahrer gesehen hätte. Ich verneine. Auf einmal kommt der gesuchte Radfahrer hinter ihm dem Berg hoch. Welch Überraschung, anscheinend hat er ihn unbeabsichtigt sogar überholt. Ich muß schmunzeln. Die beiden kommen aus Dortmund und Unna und wir sind sofort im Gespräch. Beide sind schon im Rentenalter und fahren jetzt mit e-Bikes begeistert durch den Bayrischen Wald. Es stellt sich heraus, dass der jüngere den älteren gestern versucht hat zum Wandern zu überreden. Ich bin für die zweite Botschaft des Universums, dass sein Freund mit ihm versuchen soll. So unterhalten wir uns über das Wandern, insbesondere auf dem Goldsteig. Mit den beiden ist es lustig sich zu unterhalten. Ich merke, dass die Fragen, die sie mir stellen nach wie und wo übernachten, wienlange laufen usw., Fragen sind, wo sie ihre eigenen Bedenken und Grenzen haben. Das finde ich spannend. Ich mache sie darauf aufmerksam und sie lachen.

Schließlich laufe ich weiter durch Daxstein, dann durch den Wald und kleiner Ortschaften bis kurz vor Zenting. Immer wieder ein schönes Panorama vor mir. Inzwischen hat das Wetter umgeschlagen, es ist bewölkt und ich spüre die ersten Regentropfen. Ich spute mich. Auf einmal höre ich Schritte hinter mir. Eine Frau mit ihrem Hund zieht an mir vorbei, als ob ich stehen würde. Ich laufe weiter auf Zenting zu. Und schon wieder höre ich Schritte hinter mir und werde überholt. Ein Schwammerlsucher. Bestimmt noch mal 15 Jahre älter als ich. Und schneller!!! Das gibt es doch nicht. Wir kommen trotzdem ins Gespräch. Er spricht so stark Niederbayrisch, das ich nur die Hälfte verstehe. Es ist schon fast wie eine Fremdsprache. Englisch ist einfacher für mich zu verstehen. Er bringt die Schwammerl genau zu dem Gasthof, wo ich noch ein Zimmer ergattert habe. Ich brauch ihm nur hinterher zu hecheln.

Ich schaffe es den Gasthof zu erreichen bevor das Gewitter anfängt. Morgen werde ich auf jeden Fall gar nicht oder viel weniger laufen.

Im Bayrischen Wald: Gotteszell – Landshuter Haus – Lalling

Heute Nacht habe ich gut und lang geschlafen. Beim Frühstück bin ich der Letzte. Als ich Gotteszell durchquere, hält ein entgegenkommendes Auto neben mir: das Ehepaar aus Eschwege wünscht mir alles Gute für die weitere Wanderung! Irgendwie fühle ich mich dadurch vertrauter. Oft denke ich bei meinen Begegnungen mit den Menschen auf dem E8, dass ich sie wahrscheinlich nie wiedersehen werde, was diese Begegnungen für mich zu etwas Besonderem machen. Umso überraschender wenn ich dann doch jemandem zweimal oder auch mehrfach zufällig begegne.

Heute geht es erstmal stetig aufwärts, der größte Teil des Weges geht durch den Wald. An einem etwas dichterem Wegstück sehe ich auf einmal einen Schatten vor mir auftauchen. Ich erschrecke, es sieht aus wie ein Wolf! Nein, nicht ein Wolf, sondern sogar zwei!!! Auf die Begegnung mit verwilderten Hunden in Rumänien habe ich mich geistig schon vorbereitet. Die Begegnungen mit Wölfen dagegen hatte ich zurückgestellt, unter der Annahme, dass diese Tiere sehr scheu sind und den Menschen sowieso meiden.

Ich bleibe stehen. Die Tiere in etwa 30 Metern Entfernung bleiben auch stehen. Ich kann sehen wie ihre schwarzen Köpfe in meine Richtung sich drehen. Ich überlege, ob ich schnell meinen Rucksack ablegen soll als Schutz und nach meinem Messer greife. Auf einmal sehe ich, die Tiere sind nicht allein. Ein Mensch ist schemenhaft zu sehen. Also doch keine Wölfe. Ich bin erleichtert und marschiere weiter. Als ich die Gruppe erreiche, ist mein Adrenalinspiegel wieder auf Normalniveau. Es handelt sich um zwei belgische Schäferhunde, ihrer Besitzerin und deren Sohn.

Ich berichte den beiden von meinem Erschrecken und sie müssen lachen. Die Frau geht gerne mit den Hunden diesen Weg, weil hier so wenig Menschen gehen. Jetzt sind sie auf dem Rückweg und freuen sich schon auf das Mittagessen. Der Sohn hat dieses Jahr sein Abitur gemacht und möchte gerne in Österreich Psychologie studieren. Die inzwischen angeleinten Hunde beäugen mich kritisch, der jüngere knurrt mich anfangs sogar an. Im Laufe des Gesprächs fangen sie an sich zu langweilen, Für mich ein Zeichen, mich zu verabschieden und weiterzuziehen.

Zur Mittagszeit komme ich am Landshuter Haus an. Auf einmal sind viele Menschen da, Tageswanderer und viele Mountainbiker. Ich suche mir einen Tisch. Ich merke, dass die Anziehungskraft von Menschen auf mich in den letzten Tagen gestiegen ist. Die Belegschaft des Hauses hat eine Art Selbstbedienungssytem installiert. Dabei wird der Name und die Telefonnummer vom Wirt aufgenommen, der einem zuletzt noch eine Zahl zuruft. Diese Zahl habe ich dann sofort vergessen. Als ich meine Bestellung aufgegeben habe, fragt mich die Frau nach dieser Nummer. Ähh? Wie war die noch mal? Die Frau hinter mir hat aufgepasst und ruft mir zu: „Meine Nummer ist die 57,“ Aha, und Dankeschön!

Coronabedingt sitze ich an einem Tisch alleine. Es ist interessant, die verschiedenen Gruppen zu sehen: Familien oder Mütter mit Kindern, Gruppe von Mountainbikern (mit und ohne Führer). Eine Gruppen von Taubstummen finde ich besonders interessant, da sie sich still aber lebhaft in ihrer Zeichensprache unterhalten.

Nach einer Stunde laufe ich weiter. Diesmal nicht alleine. Immer wieder werde ich von Wanderern oder Mountainbikern eingeholt. Bin ich wirklich so langsam? Sogar Rentnerpaare überholen mich. Sind die bayrischen Rentner vielleicht alle so gut trainiert und rüstig, dass mich hier auch wirklich jeder einholt? Ich beschließe, dass es an meinem schweren Rucksack liegen muss.

Zwei Sehenswürdigkeiten liegen auf dem Weg nach unten: die hölzerne Hand und die Josephsbuche. Die Geschichte der hölzernen Hand habe ich fotografiert, so dass man sie nachlesen kann. An der Buche habe ich überhaupt nichts spektakuläres gesehen, ausser dass ein Bild von dem Heiligen daranging.

Am Ende des Weges liegt ein großer Parkplatz, der für mich die Beliebtheit des Landshuter Hauses erklärt.

Jetzt geht es ein Stück an der dichtbefahrenen Landstraße entlang. Dann sehe ich den Berghof. Auch der Berghof hat anscheinend schon bessere Tage gesehen. Das Panorama von dem Parkplatz ist toll, man kann weit in das Alpenvorland sehen. Die Alpen sind allerdings wie gestern im Dunst nicht zu sehen. Ich entdecke ein Schild, dass die Geschichte des Berghofes erzählt, der ursprünglich die Stiftung einer Ärztin war, um jungen Ärzten eine Ausbildung zu ermöglichen. Um Geld für die Stiftung zu erwirtschaften, wurde der Berghof zur Skierholung genutzt. Der Klimawandel hat dann dafür gesorgt, dass sich das nicht mehr rentiert.

Der nahegelegene Golfclub dagegen brummt. Es stehen viele Autos da und auf dem Golfplatz ist jedes Loch mit drei bis vier Spielern besetzt. Alle haben gute Laune. Vielleicht weil das Wetter gut ist, das Wochenende begonnen hat und die Kinder noch in Ferienlaune sind.

Ich wandere am Golfclub vorbei. Es ist inzwischen 17 Uhr und ich habe noch acht Kilometer vor mir bis Lalling. Es geht jetzt weiter stetig bergab. Ich habe immer wieder einen schönen Talblick vor mir. Und das ist gut so. Der Blick motiviert mich Immer wieder – insbesondere weil die Sonne immer tiefer steht – die letzten Kilometer nicht nur einfach runter zu laufen, sondern immer mal wieder stehen zu bleiben und die Aussicht bewusst zu genießen.

Trotzdem werde meine Beine müde und ich muss aufpassen, nicht ins Straucheln zu geraten. Kurz vor Lalling komme ich durch einen Wald, in dem es schon dunkel wird. Also jetzt muss ich mich doch sputen. Bald ist es 20 Uhr. Kurz vor Lalling geht es nochmal richtig steil hoch. 700 Metern vor dem Ziel! Wie gemein! Kurz vor 20 Uhr erreiche ich meine Herberge, gerade rechtzeitig, die Küche schließt um 20 Uhr.

Vielleicht sollte ich morgen nicht ganz solange wandern. Meine Füße schmerzen. Manchmal ist ein plötzlicher und stechender Schmerz da. Die Fußpflegerin hatte gemeint, dass kommt von einer zu starken Dauerbelastung und ich sollte regelmässig einen Pausentag einlegen. Vielleicht ist es ja wieder soweit.

Im Bayrischen Wald: Hintersollach – Hirschenstein – Kalteck – Gotteszell

Bei schönstem Wanderwetter steige ich in den E8 wieder ein, wo ich ihn gestern verlassen habe. Am Anfang des Tages liegt der längsten Anstieg. Zuerst geht es durch den Wald, einmal ist der Weg sogar gesperrt. Dann treffe ich auf die Zufahrtsstrasse zu dem Ort Grandsberg, wo ich gestern schon sein wollte. Die Zufahrtsstrasse ist tatsächlich gesperrt, um genau zu sein, sie wird neu gebaut. Der Teer ist noch richtig heiß und meine Wanderschuhe kleben am Belag und machen ein schmatzendes Geräusch, wenn ich die Füße hebe. Ein Teil der neuen Straße muss ich am Rand laufen, der Belag ist noch zu heiß.

Ab Grandsberg ist es ein leicht ansteigender, breiter Weg durch den Wald. Hier sind auch viele Radfahrer wieder unterwegs, die meisten mit Mountainbike. Das letzte Stück ist steiler und sehr steinig. Mir kommt eine Familie entgegen, die ich schon kurz vor Grandsberg kennengelernt habe. Die beiden Damen unterhalten sich ein bisschen länger mit mir, da sie sehr wanderinteressiert sind. Die Männer – vom Mittagshunger getrieben – sind schon weiter vorausgeeilt. Die zwei lustigen Damen entpuppen sich als Schwiegermutter und -tochter, die ein sehr gutes Verhältnis miteinander haben.

Ein bisschen beneide ich die beiden darum, aber die gute Laune ist ansteckend und ich ziehe leichtfüssig das letzte Stück zum Hirschenstein hoch. Mit über 1000 Meter einer der höheren Berge im Bayrischen Wald. Zusätzlich hat man auf dem Gipfel einen kleinen Aussichtsturm aus Stein gebaut. Von dem hat man einen sehr gute Aussicht. Trotz des schönen Wetters kann ich leider die Alpen nicht sehen. Mir gefällt es dort oben so gut, dass ich ein bisschen verweile und nebenbei auch noch Leute kennenlerne. Denn heute sind am Hirschenstein vor allen Dingen, Wanderer anwesend neben ein paar wenigen Mountainbikern, die es hier hoch geschafft haben.

Nach einer gemütlichen Rast mache ich mich wieder auf dem Weg. Ich wähle den Weg nach Kalteck, der zwar länger, dafür aber noch 2 Aussichtspunkte bietet. Da bleiben ich dann ein bisschen länger sitze und genieße einfach das Panorama.

Meine Hoffnung in Kalteck auf eine Unterkunft zerschlägt sich schnell. Es ist ein Wintersportort, der sichtbar unter den warmen Winter der letzten Jahre gelitten hat. Das Berghotel steht leer und verlassen da. Ich rufe verschiedene Unterkünfte in Gotteszell an. Am Ende habe ich Glück und kriege ein Zimmer. Aber es sind noch 9 Kilometer zu laufen und es ist schon später Nachmittag. Ich überquere die Straße und wandere den Regensburgstein hoch. Auch da gibt es einen Aussichtspunkt, jetzt sogar mit Abendsonne. Der Regensburgstein war der letzte Anstieg des Tages, ab da geht es nur noch bergab. Zuerst durch den Wald. Ich merke, dass die Tage nicht mehr so lang wie noch im Juli sind. Es fängt schon an dämmrig im Wald zu werden. Meine Beine fangen an müde zu werden vom Abwärtslaufen. Als ich schließlich aus dem Wald rauskomme, habe ich das Tal, in dem Gotteszell liegt, vor mir. So, lässt es sich aushalten, mit dem Tal in der Abendstimmung vor mir erreiche ich meine Herberge. Die Wirtin empfängt mich mit dem Worten, falls ich noch etwas essen möchte, müsste ich bald kommen, da die Küche bald schließt. Ich beeile mich, denn ich habe seit dem Frühstück nur zwei Äpfel gegessen.

Beim Abendtisch lerne ich zwei Ehepaare kennen: Ein Ehepaar aus Eschwege, die sich vor zwei Tagen entschieden haben, spontan in Deutschland Urlaub zu machen und ein Ehepaar kommt aus Plauen. Der Sachse erkennt mich sofort wieder, da er mich am Hirschenstein gesehen hat. Seine Frau ist erstaunt, da er sonst nie jemanden wiedererkennen würde. Das liegt bestimmt an meinem weißen Bart und der Tatsache, dass die beiden den Goldsteig in einer Mehrtagestour bis Passau wandern. Auch der Goldsteig ist menschenleer und man merkt sich, wenn man schon mal jemandem begegnet.

Es wird ein geselliger Abend und wir unterhalten uns angeregt über die Tische hinweg, um die Abstandsregeln einzuhalten. Sogar der Wirt beteiligt sich an unseren Gesprächen über Wanderwege, den Bayrischen Wald, die sächsische Schweiz, den Tourismus in der Region und den Hütten des Alpenvereins. So einen Austausch zwischen Wanderer habe ich schon die ganze Zeit vermisst. Endlich! Die beiden Sachsen haben die Luxusvariante gewählt und lassen sich ihr Gepäck zum jeweiligen Tagesziel fahren und haben schon alle Unterkünfte im voraus gebucht. Vielleicht kann ich meinen Rucksack morgen auch mitfahren lassen, mal schauen, wie meine Route morgen aussieht. In Richtung Passau wandere ich schließlich auch.

Ich geh ganz beschwingt in mein Zimmer. Im Bayrischen Wald wird das Licht früh ausgemacht, um Strom zu sparen.

Meinen Füssen geht es trotz des langen Wandertages heute ganz gut. Der eine Tip meiner Fußpflegerin aus Bad Kreuznach mit dem Fersenstrumpf hat sich bewährt. Der andere Tip, am Ende eines Tages ein dreissigminütiges Fußbad mit Natron zu nehmen, hat auf jeden Fall eine sehr entspannende Wirkung. Ob es die Milchsäure schneller abbaut, werde ich morgen wissen.

Im Bayrischen Wald durch das Perlbachtal: Sankt Englmar – Obermühlbach – Schwarzach

Am Morgen lerne ich den Wirt und die Frühstücksfee kennen. Alle sind sehr nett und aufgeschlossen. Der Wirt hat das Haus seit 17 Jahren gepachtet und sich damit einen Lebenstraum erfüllt. Es musste genau dieses Haus sein und er hatte damals aktiv bei den Besitzern nachgefragt. Er war erfolgreich und hat dann sein Leben geändert. Die Frühstücksfee kommt aus Worms und ist schon Großmutter. Um bei ihren Enkel in der Nähe zu sein, ist sie in den Bayrischen Wald gezogen.

Das Haus ist sehr bei Architekten und Designern beliebt. So geht es mir auch. Ich photographiere das Haus auch von außen. Der Blick ins Tal ist schön. Der Wirt fährt mich dann noch netterweise an den Einstieg des E8 in Maibrunn. Dabei kommen wir an der Sommerrodelbahn vorbei. Es sind schon viele Tagestouristen da. Der Wirt meint, dass bei schönem Wetter es sogar noch mehr seien. In Maibrunn verabschiede ich mich von ihm. Er geht jetzt noch eine Stunde Radeln und ich gehe den Rest des Tages Wandern.

Am Anfang habe ich Schwierigkeiten mich zu orientieren. Da, wo laut Karte der E8 langgeht, steht ein Familienhotel. Ein Familienhotel vom feinsten mit eigenem Kinderbetreuungsteil, Streichelzoo und einem Schwimmbad mit kolossaler Wasserrutsche. Wow! Da wäre ich als Kind auch gerne gewesen. Hier können Eltern ihre Kinder zum Bespaßen abgeben und haben endlich ihre Ruhe. Ich rätsele ein bisschen: die Eltern arbeiten und haben Kinder. Um mal gemeinsame Zeit zu verbringen, fahren sie in den Bayrischen Wald ins Familienhotel und bezahlen teuer Geld, um ihre Kinder unterhalten zu lassen. Naja, denke ich mir, dann wissen sie wenigstens wofür sie arbeiten. Ich muss dass Familienhotel weitläufig umgehen, um auf den E8 zu kommen. Wahrscheinlich war der E8 schon da, als das Hotel zum Familienhotel erweitert wurde und wurde deshalb verlegt.

Kurz nach dem Hotel kommt die zweite Attraktion der Gegend: Der Wipfelweg. Auch hier ein sehr großer Parkplatz und viele, viele Menschen. Der Wipfelweg ist ein Weg durch die Baumkronen, die in einem großen Turm münden. Von dort aus hat man einen tollen Blick in die Ebene nach Straubing. Es sind mir zu viele Menschen. Hundert Meter weiter auf dem E8 bin ich aber wieder ganz alleine.

Ich marschiere durch den Wald und es geht ständig bergab bis in das Dorf Obermühltal. Dabei begegne ich einer Stelle, an der man mit einer Zange, sich eine Markierung in seinem Wanderbuch stanzen kann (siehe Beitragsbild). Skurril, so was habe ich noch nicht gesehen. Bei den Pilgern auf dem Jakobsweg ist es üblich, sich eine Art Pilgerbuch abstempeln zu lassen. Das können sie z.B. in einer Kapelle am Jakobsweg machen lassen oder bei einer als Pilgerherberge eingetragenem Gasthof. Ich rätsele, wofür die Wanderer oder Pilger das Buch verwenden wollen. Als Leistungsnachweis zum Angeben? Als Erinnerungsbuch? Oder aus reiner Sammelleidenschaft? Mein Bruder und ich habe eine Zeitlang Streichholzschachteln in Frankreich gesammelt. Es war eine Art Urlaubserinnerung für uns, aber natürlich auch Sammelspaß.

In Obermühltal beginnt das Perlbachtal. Ich folge dem Perlbach abwärts durch das Dorf. Am Ende des Dorfes geht es auf die Höhe und die nächsten zwei Kilometer durch den Wald. In Hochsolln geht es quer durch das Tal auf die andere Talseite.

Es ist Nachmittag und ich würde gerne nach Grandsberg auf über 800 Meter hoch gehen und dort ein Zimmer nehmen. Ich telefoniere, um eine Unterkunft zu finden. Doch ich werde enttäuscht, die dortigen Herbergen haben alle geschlossen, weil der Zufahrtsweg gesperrt ist. Rundherum gibt es keine Unterkünfte. Ich plane um und laufe immer weiter bergab nach Schwarzach. So macht Wandern Spaß, das Wetter ist schön geworden und ich wandere in Richtung talabwärts mit schönem Blick.

Am Abend erreiche ich Schwarzach. Das größte Gebäude in Schwarzach scheint eine Brauerei zu sein. Das gegenüberliegende Rathaus wirkt im Vergleich dazu mickrig. Die Schwarzacher wissen schon, was so richtig wichtig im Dasein eines Niederbayerns ist.

Ich finde eine Unterkunft am Marktplatz.

Im Bayrischen Wald: Stallmang – Kunitz – Kreuzhaus – Sankt Englmar

Heute Nacht habe ich schlecht geschlafen. Das Zimmer ist hell und liegt der Hauptstraße zugewandt, so dass ich die regelmässig durchfahrenden Autos gut hören kann. Schließlich musste ich mich auch noch mit einer Mücke auseinandersetzen, die sich an mir mehrfach verging und mir immer wieder geschickt entfloh. Als ich müde zum Frühstück gehen wollte, habe ich sie dann doch noch erwischt. Rache ist süß!

Heute ist es trocken und kühl. Ich ziehe mir seit langem wieder zwei Oberteile an. Kurz hinter dem Ort geht es richtig bergauf und ich komme ordentlich ins Schwitzen. Kurz vor dem Gipfel begegne ich dem ersten freirumlaufenden Hund ohne besitzanzeigendem Menschen. Ein erster Hund zum Üben für die verwilderten Hunde in Rumänien? Nein, es ist ein süsser Dackel, der mich ein Teil meines Weges begleitet und dann wieder umdreht.

Schließlich erreiche ich das Gipfelkreuz des Ganterns. Als erstes wechsele ich meine Oberkleidung, beide Teile sind klitschnass. Das Gipfelkreuz hat auch ein Gipfelbuch, das ich mir interessiert anschaue. Es umfaßt die letzten zwei Monate. Kein Wanderer auf dem E8, zwei die den Jakobsweg von Regensburg nach Prag laufen und zwei die den Goldsteig wandern. Ansonsten nur Ausflugstouristen. Fernwandern ist in Deutschland inzwischen eine sehr rare Angelegenheit geworden.

Ich spüre, dass ich eine schlechte Nacht hatte. Es geht nur schwerfällig vorwärts und ich komme leicht ins Schwitzen. Einmal interpretiere ich sogar den Wegweiser falsch und laufe 400 Meter in die falsche Richtung. Glücklicherweise eine Sackgasse, wer weiß, wann ich es sonst gemerkt hätte.

Gegen Mittag komme ich in dem Ort Kunitz an. Ich suche eine offene Gastwirtschaft, aber heute ist Dienstag und damit Ruhetag. In einer Bäckerei bekomme ich eine Tasse Kaffee und einen Zwetschgendatschi und mache Mittagspause. Inzwischen ist es früher Nachmittag und ich überlege, wie weit ich heute noch kommen könnte. Ich laufe los und beschliesse, dass das Naturfreundehaus Kreuzhaus eine gute Entfernung hat. Ich rufe an und frage nach einem freien Zimmer. Der Wirt bedauert, da alles belegt sei, bietet aber sofort an, wenn ich komme, mich in einen benachbarten Ort zu fahren, wo ich etwas finden könnte. Ich danke für das spontane Angebot und nehme es an. Super! Wie freundlich von dem Wirt! Beruhigt gehe ich weiter. Nach Kunitz durchquere ich zuerst ein Bachtal und habe dann wieder einen ordentlichen Aufstieg vor mir bis ich auf einem Höhenkamm lande. Eine tolle Aussicht belohnt meine Anstrengung. Schade, dass es heute so wolkig und neblig ist. Ich könnte sonst bestimmt weitersehen. Der größte Teil des Weges führt jetzt durch den Wald. Ein paar Stellen bieten aber dann tolle Panoramablicke an. Es gibt hier einen Kult, den Verstorbenen zu gedenken. Eine eigens errichtet Kapelle und vier nebeneinanderstehende Holztafeln beeindrucken mich am meisten.

Abends komme ich im Kreuzhaus an. Es ist kalt und ich bin wieder total durchgeschwitzt . Vor dem Haus sitzen zwei Männer, die rauchen und sich unterhalten. Der eine, ein Franke, gibt sich gleich als der Wirt zu erkennen, mit dem ich telefoniert habe. Ich setze mich dazu und bekomme gleich eine Johannisbeersaftschorle zum Trinken. Der andere Mann ist ein Niederbayer. Wir sprechen kurz darüber, wo ich ein Zimmer bekommen könnte. Plötzlich erinnert der Niederbayer sich an einen Bekannten, der ein günstiges Zimmer haben könnte. Fünf Minuten später ist die Sache arrangiert. Ich bin dankbar.

Dann bestelle ich mir ein Essen, das die Frau des Wirtes zubereitet: Echte fränkische Bratwürste, Brot und Kraut. Ich lasse es mir schmecken und muss immer wieder über den Wirt und seine Witze lachen. Der Mann hat einen knochentrockenen fränkischen Humor. Mit einem todernstem Gesicht erzählt er ein Witz nach dem anderen. Im Lokal selber sind eine Menge Stammgäste, die öfters zum Kreuzhaus hochkommen und sich auch gegenseitig gut kennen. Es ist eine vertraute Atmosphäre, die immer wieder von Lachen unterbrochen wird.

Nach dem Essen fährt mich der Wirt zu meiner Unterkunft. Es ist niemand da. Der Schlüssel steckt in einem Umschlag mit meinem Namen. Es ist eine richtige Pension.Im Erdgeschoss sind die Speisezimmer, Gastraum, Bar und Küche, Im ersten Stockwerk sind die Zimmer. Ich verabschiede mich von dem Wirt und bedanke mich nochmals für seine Hilfsbereitschaft. Wirklich toll!

Dann gehe ich in das Haus. Ein bisschen komisch fühlt es sich schon an, so ganz alleine in einem fremden Haus. Ich beziehe mein Zimmer. Alles ist sauber und ordentlich. Alle Räume sind mit modernen Bildern ausgestattet. Es gibt keinen Fernseher. Ein W-Lan ist vorhanden, aber keiner ist da, der mir das Passwort nennen könnte. Ich gehe einmal  quer durch das Haus, um nach dem Passwort zu suchen. Dabei komme ich mir vor, als ob ich etwas verbotenes tun würde. Ich finde kein Passwort, aber eine Tageszeitung. Wer wohl die Gastwirte sein mögen? Vertrauen haben sie ja, dass muss ich ihnen schon lassen. Das Haus gefällt mir. Die Lage direkt am Wald. Die klare, ein bisschen altmodische Einrichtung mit den modernen Bildern. Es gibt auch ein richtiges Kinderspielzimmer. Die Coranabestimmungen liegen immer wieder rum.

Ich bin auf Morgen neugierig. Wen werde ich hier treffen? Wer und wie sind die Wirtsleute? Wie wird das Frühstück sein? Wie teuer wird die Übernachtung? Wie komme ich morgen wieder auf den E8?

Im Bayrischen Wald: Wiesenfelden – Pilgramsberg – Stallwang

Heute morgen ist es bewölkt, aber trocken. Es ist kühl. Einer meiner Lehrer hat uns auf dem Gymnasium beigebracht: „Der Bayrische Wald: Dreiviertel Jahr Winter, Einviertel Jahr kalt“. Bis jetzt stimmt es.

Nach einem Abstecher in die Bäckerei mache ich mich wieder auf den Weg. Der E8 läuft hier nicht nur parallel zum Jakobsweg, sondern auch zum „Goldsteig“. Die Erfinder des Goldsteigs waren schwer aktiv beim Marketing und haben sich einen besonderen Gag ausgedacht und die Rastbänke in Form und Farbe des Wanderweglogos gestaltet.

Goldsteig

Es geht zuerst bergauf und schon nach einer Viertelstunde habe ich den ersten Aussichtspunkt seit langem erreicht. Die Luft ist herrlich klar und frisch und das Laufen geht wie von selbst. Bald bin ich mitten im Wald und es ist bereits so hoch, dass die Wolken wie Nebel wirken und alles geheimnisvoll und dunkel machen.

In Wiesenfelden hatte ich ein Plakat gesehen, dass zum Waldbaden einlädt. Ich fange an zu überlegen, wie und wann das vonstatten gehen soll. Im Sommer? Wenn die ganzen Mücken unterwegs sind? Ist man dann nackt oder hat minimum eine Badehose an? Verläuft das eher ruhig oder ist es wie Kinderplantschen mit viel Geschrei? Die Japaner versprechen sich eine Menge gesundheitlicher Vorteile. Ich dagegen fange an, misstrauisch zu werden. Am Ende des Tages hat man viele Mücken gefüttert und dann?

Heute sind keine Mücken unterwegs, nur ein paar Schwammerlsuchern begegne ich. Die Wegorientierung ist manchmal verwirrend, aber irgendwie schaffe ich es heute, mich nicht größer zu verlaufen.

Vor einer Woche hatte ich ein Gespräch mit einer Bekannten, die kürzlich ihren Bootsführerschein Klasse C gemacht hat. Für sie ist Wandern uninteressant. Sie reduzierte das Wandern auf das Statement: „und dann siehst du schon ein, zwei Kilometer im voraus, wohin du läufst und es dauert ewig bis du dann dort ankommst.“ Jetzt habe ich Zeit darüber nachzudenken. Diese Reduktion finde ich irritierend, vor allen Dingen weil es von jemanden kommt, der gerne Boot fährt. Beim Bootsfahren auf dem offenen Meer beispielsweise hat man oft überhaupt keinen Orientierungspunkt ausser der Sonne. Überall Wasser. Und trotzdem kam diese Reduktion. Ich vermute, hinter diesem Satz steckt mehr. Vielleicht die Anstrengung des Wanderns und das Bewusstsein, das es 15 bis 30 Minuten dauern kann bis man den entfernt liegenden Orientierungspunkt erreicht hat. Vielleicht die Erfahrungsgewohnheit des Autofahrens, die uns suggeriert, dass man diesen Punkt in ein, zwei Minuten erreicht hat und dann kommt was Neues. Vielleicht die Ungeduld, es nicht schneller dorthin zu schaffen. Oder vielleicht noch etwas ganz anderes.

Ich kenne das Gefühl, auf einen Punkt zuzuwandern. Schlimmer finde ich es einen langen, geraden Weg auf der Ebene zu gehen. Ein Weg, der den ganzen Tag und länger dauert. Das mag ich auch nicht. Das ist der Grund, warum ich die ungarische Puzta vermeiden möchte. Das stelle ich mir auch nur anstrengend, mühselig und langweilig vor. Das ist der Inbegriff des „Kilometer machen“ für mich oder „den Forrest Gump machen“. Einfach nur stumpf, ohne nach Links oder Rechts zu schauen, zu laufen.

In Mitteleuropa, insbesondere auf den Wegen, die ich bisher gewandert habe, erlebe ich es als anders. Die gefühlte Anstrengung ist letztendlich eine Geduldsübung, da ich mein Tempo und die Pausen selber bestimme. Wenn es für mich zu anstrengend wird, werde ich langsamer. Wenn es noch anstrengender wird, mache ich eine Rast. Dann geht es auch wieder.

Die Sehgewohnheit des Autofahrers verändert sich beim Wandern, da man auf einmal Dinge in der Natur sieht, die man als Autofahrer oder Radfahrer einfach übersieht, weil man zu schnell ist. Es ist dann nicht mehr die Fixierung auf einen Punkt, der ein oder zwei Kilometer vor einem liegt, sondern die Entdeckung, was liegt am Wegesrand. Außerdem hat ich es bisher nicht oft, soweit voraus meinen Weg sehen zu können. Die Blickweite ist normalerweise – insbesondere im Wald – wesentlich kürzer. Manchmal sogar nur ein paar Meter weit.

Ansonsten Wandern entschleunigt mich ungemein und das ist gut so. Es gibt keinen Zwang schnell oder weit zu laufen. Erst am Nachmittag, wenn ich abschätzen kann, wieviel Lust ich noch habe, entscheide ich mich für einen Punkt auf dem Weg, um dort eine Unterkunft zu finden. Ansonsten fühle ich mich frei von irgendwelcher Ungeduld.

Gegen Mittag verlasse ich den Wald und komme an einzelnen Gehöften mit umliegenden Weiden vorbei. Eine große Wiese gefällt mir besonders. Es gibt eine Goldsteigparkbank, eine schöne Aussicht und eine große Herde Schafe.

Bei Pilgramsberg gehe ich vom Weg runter, um einen Gasthof zu finden. In Pilgramsberg gibt es eine große Fabrik für Heiztechnik, Klima, usw., viele Wohnhäuser, eine Tankstelle, aber keinen offenen Gasthof. Der Hubertushof erregt meine Neugierde: ein Hotel mit großer Terrasse und Parkplatz, auf dem auch ein paar Autos stehen. Aber alles sieht verlassen und wüst aus. Des Rätsels Lösung, es ist ein Hotel für Selbstversorger. Auf der Terrasse mache ich eine Rast und bei den ersten Sonnenstrahlen des Tages ein kleines Nickerchen.

Danach geht es weiter. Im Wechsel Wiesen, Wald und einzelne Bauernhöfe. Überall stehen Obstbäume am Weg. Die Zwetschgen sind reif und schmecken frisch vom Baum richtig toll. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zuviele davon esse.

Am Ende des Nachmittags erreiche ich Stallwang und bekomme ein Zimmer in einem wandererfreundlichen Gasthof. Der Gasthof wird von einem Oberpfälzer, einem Tschechen und dessen Freundin betrieben. Ich bin der einzige Gast und komme mit dem Tschechen ins Gespräch. Sie haben bisher die Coronazeit überstanden, weil die Bürger fleissig bei ihnen Essen bestellt haben. Seine Freundin ist 24 Jahre jünger als er. Anfangs dachte ich, sie wäre seine Tochter, welch ein Irrtum! Seit einem Jahr sind die beiden ein Paar. Eine menschliche Tragödie hat sie zusammengebracht. Sie sind ein schönes Paar.

Im Bayrischen Wald: Wörth – Schiederhof – Wiesenfelden

Wie im Wetterbericht angekündigt ist es am Morgen noch trocken, nachdem es in der ganzen Nacht geregnet hatte. Ich besorge mir ein paar Lebensmittel und schon geht es los. Direkt nach dem Ort beginnt der Bayrische Wald, Deutschlands größter Nationalpark. Das Höhenprofil zeigt, dass ich heute den ganzen Tag mehr oder weniger bergauf wandern werde bis ich auf einer Art Hochplateau bin.

Der Wald glänzt noch von dem Regen und die Luft ist klar und frisch. Mir gefällt es und den Mücken auch. Ich reibe mich genervt nach einiger Zeit mit Autan ein und siehe da, heute zeigt es Wirkung. Der Weg geht mitten durch den Wald an einem Bach entlang. Der Boden ist vom Regen noch aufgeweicht. Dadurch ist er weich, aber auch schwer. Alles ist gut ausgeschildert und breit angelegt. Obwohl es stetig bergauf geht, komme ich gut voran. Einmal liegen umgestürzte Bäume auf dem Weg. Ein andres Mal begegne ich einem Mann mit seinem Hund. Ansonsten ist alles ereignislos. Nur das es dann doch schon ab 10 Uhr das Regnen anfängt.

Kurz bevor ich den höchsten Punkt des Tages die Hubhöhe erreiche, wird der Weg schmaler und immer schlechter. Ich bin irritiert. Es ist alles kühl und nass und ich habe keine große Lust, mich wieder zu verlaufen. Plötzlich taucht hinter mir ein Auto auf und hält. Ein Mann steigt aus, den ich gleich nach dem E8 frage. Er lacht und sagt, dass der Weg richtig sei, aber auch richtig schlecht. Ich soll mir keine Sorgen machen, der Weg würde nach ein paar Metern besser werden. Erst einmal wird er zu einem Pfad. Doch dann stoße ich tatsächlich auf einen Weg, der durch einen verfallenen Bauernhof führt. Schon ein bisschen gruselig. Der Regen wird stärker und ich beschließe beim nächsten Gasthof Rast zu machen.

Ich erreiche den Gasthof am Nachmittag. Es sind außer mir keine Gäste da. Ein paar ältere Frauen wuseln umher. Ich bekomme eine Tasse Kaffee und ein Stück Käsekuchen. Schlagermusik ist aus dem Radio zu hören, draußen plätschert der Regen. Will ich wirklich heute noch weiterwandern? Ich frage nach dem Preis für eine Übernachtung. Die Kellnerin antwortet mir, dass sie dass nicht wüsste, sondern nur die Chefin. Aber die würde erst wieder in einer Stunde da sein. Der Käsekuchen schmeckt mir gut, er wurde sogar extra warmgemacht. Zwischendurch lässt sich die Köchin blicken. Auch sie weiß nicht, wieviel eine Übernachtung kostet, aber sie vermutet 38 oder 40 Euro. Komisch, dass niemand außer der Chefin weiß, wie teuer das Zimmer ist. Ich überlege, ob ich noch eine oder zwei Stunden durch den Regen zum nächsten Ort laufen will oder hier in aller Ruhe übernachte. Zu lange will ich aber mit der Entscheidung auch nicht warten. Ich frage, ob man die Chefin nicht vielleicht anrufen könnte. Alle lachen und man erzählt mir, dass sie jetzt ihr Mittagsschläfchen halten würde. Das verstehe ich gut, ein Mittagsschläfchen ist heilig. Also warte ich. Allmählich kommen auch andere Gäste, die etwas essen wollen oder ein Zimmer beziehen. Ein junger Mann mit einem geschmacklosen T-Shirt taucht auch auf und tut sehr beschäftigt.

Auf einmal kommt er auf mich zu und hält mir einen Schlüssel entgegen: „Zimmer 12!“. Ich bin überrascht und entgegne: „Ich wüsste gerne erst einmal, wieviel kostet das Zimmer?“ Er antwortet: „65 Euro“. Ich ganz entsetzt: „65 Euro für ein Einzelzimmer?!“ Er: „Ein Einzelzimmer? Mit Frühstück?“ Ich nicke. Er: „44 Euro“ Inzwischen ärgere ich mich über den ganzen Vorgang. Erst heißt es, die Chefin, die Chefin und dann kommt dieser Mann. Ich komme mir von dem Mann irgendwie übervorteilt und überrumpelt vor. Dann gehe ich lieber durch den Regen und suche mir etwas in der nächsten Ortschaft. Ich sage: „das ist mir zu teuer“ Auf einmal ist auch die Chefin da, die mich fragt: „Wieviel wollte er für das Zimmer?“ Ich antworte: „44“. Das ist schon alles sehr komisch und ich bin froh als ich bezahlt habe und raus bin aus dem Gasthof.

Es regnet und ich laufe mit erhöhtem Adrenalinspiegel in Richtung von Wiesenfelden. Anfangs bin ich schnell bis ich mich wieder beruhigt habe und sehe: Der Weg ist richtig schön. An Feldern vorbei, durch einen Wald, schließlich an einer großen Weiherlandschaft vorbei, die unter Naturschutz steht. Den Regen spüre ich schon gar nicht mehr. Die Weiherlandschaft ist wirklich sehenswert, da verschiedene gut abgegrenzte Bereiche hier einen großzügigen Lebensraum für verschiedene Pflanzen- und Tiergemeinschaften bieten. Immer wieder sind Tafeln da, die auf verschiedene Aspekte hinweisen. Ein Rundweg führt um die Weiherlandschaften.

Ich komme an einem Seniorenheim vorbei und muss lachen, als ich entdecke, das für die Senioren direkt vor ihrem Heim ein Spielplatz aufgebaut worden ist. Also, damit mich jetzt auch alle richtig verstehen, kein Spielplatz für Kinder. Es sind verschieden Geräte, mit denen man spielerisch seine Kondition, Beweglichkeit und Gleichgewicht erhalten und verbessern kann. Ich probiere gleich zwei Geräte aus. Schon echt cool!

Ich gehe weiter am Weiher entlang und stoße auf einen überdachten Beobachtungssteg, der direkt auf die andere Uferseite führt. An dem Steggitter hängen Love Locks. Soviele Liebespaare scheint es in Wiesenfelden noch nicht zu geben oder der Steg ist noch neu. Es gibt sogar Friend Locks.

Ich bin in Wiesenfelden angekommen. Ein interessanter und ein bisschen skurriler Ort. Es wurde z.B. mit EU Fördermittel ein Wanderstützpunkt gebaut. D.h. es wurde eine echte Nobeltoilette am Weg aufgebaut direkt neben einem Bierkeller (der „Felsenkeller“), der auch als Fledermaushöhle dient. Ein Brunnen in der Form eines Bierfasses direkt daneben (leider kein Trinkwasser). Das Klohaus ist wirklich schick, bestimmt das Werk eines preisgekrönten Architekten. Die Damentoilette ist geöffnet, die Herrentoilette ist geschlossen. Ich verzichte darauf, in die Damentoilette zu gehen und mach es so, wie ich es im Wald gewohnt bin.

Nach einigen Suchen und Fragen komme ich in einer Ferienwohnung bei einer netten Dame unter. 28 Euro mit Frühstück! Das Universum hat schon gewusst, wo ich heute günstig übernachten kann. Jetzt habe ich eine ganze Wohnung allein für mich.