Archive : European Hiking Trail E8

Vom Weinviertel nach Wien: Au/Ernstbrunn – Alte Donau – Wien

Österreich hat nach gutem Spiel knapp verloren und ich habe gut geschlafen. Nach dem Frühstück wandere ich nach Grossleis, dort soll es einen Aussichtsturm geben. Das Wetter ist sehr schön und ich bin nach kurzer Zeit schon dort. 

Es ist alles ruhig. Ein Schild sagt mir, dass der Turm erst ab 10 Uhr begehbar ist. Ich setze mich in den Schatten und freue mich schon auf die Aussicht. Kurz vor 10 Uhr kommt die Bergwacht. Die kleine Hütte mit Mini-Museum ist die tiefstgelegene Bergwachtshütte in Österreich. Nachdem ich das Eintrittsgeld bezahlt habe, besteige ich den Turm. Die Aussicht ist phänomenal. Wie mir versprochen wurde, kann ich sogar Hochhäuser in Wien sehen. Wien wartet!

Ich freunde mich mit den zwei Bergwachtsmännern: Manfred und Alexander an. Sie sind sehr hilfsbereit. Hier oben gibt es schützenswerte Pflanzen und es handelt sich nicht nur um ein Naturschutzgebiet, sondern auch um einen Ort, der vor ca. 6000 Jahren schon von Menschen besiedelt wurde. Die Lage auf dem Berg mit einem kleinen Hochplateau und einer sehr guten Weitsicht waren auch früher schon sehr attraktiv und strategisch günstig gelegen.

Alexander macht mit mir eine Rundtour. Schützenswerte Pflanzen finden wir leider keine mehr, Schafe haben diese aufgefressen. Alexander meint, wenn Menschen das gewesen wären, hätte es über 1000 € Strafe gekostet. So, kann er leider nichts machen.

Besonders die Maulwurfshügel interessieren Alexander. Die Tiere buddeln dabei immer wieder archäologische Fundstücke nach oben. Alexander hofft, irgendwann auch einmal eine Pfeilspitze zu finden. Einem 9-jährigen Jungen vor 6 Jahren war das geglückt. Wir finden aber „nur“ Tonscherben. Eine kleine Scherbe nehme ich mir mit und komme mir dabei ein wenig wie ein Jakobspilger vor. Die Jakobspilger nehmen traditionell auch einen Stein mit, den sie dann während ihrer Pilgerwanderung dann einem bestimmten Punkt mit den damit verbundenen Gedanken oder Sorgen ablegen. Meine Tonscherbe werde ich nach Wien zum Stephansdom tragen. Meine Tonscherbe ist klein und leicht.

Nach der Tour unterhalten wir uns noch. Dabei stellt sich heraus, dass Alexander mich gestern in Ernstbrunn schon wahrgenommen hatte, als ich im Café von den Damen Quartierhilfe bekommen habe. Nicht nur ich habe Ernstbrunn kennengelernt, auch Ernstbrunn kennt mich!

Ich wandere weiter und laufe zum Wildgehege von Ernstbrunn. Die Besucherzahlen sind noch überschaubar: vor allem Familien mit kleinen Kindern. Am besten gefällt es mir bei den Gämsen und Steinböcken. Ein schroffer Berghang gehört zum Gehege. Hier zeigen die Tiere, wie gut sie auch in Steillage klettern können. Beeindruckend. Die Wölfe dagegen sind müde und von der Hitze geschafft. Die Wildschweine sind da lebendiger. Zwei mächtige Keiler machen mir Respekt. Ein Glück, dass ich solchen Kalibern noch nicht in freier Wildbahn begegnet bin.

Ich wandere weiter nach Ernstbrunn. Kurz vor dem Ort erlebe ich noch einmal ein gut beleuchtetes Landschaftspanorama. Jetzt kann ich auch den Kalksteinbruch in seiner ganzen Größe gut erkennen.

In Ernstbrunn gehe ich dann etwas Essen. Ich fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Wien. Wien wartet! Unterwegs werde ich von Wolfgang und seiner Frau Judith eingeladen, einen Zwischenstopp an der alten Donau zu machen. In Floridsdorf steige ich aus und nach 15 Minuten Fussmarsch bin ich an der alten Donau. Bekannte haben dort einen kleinen Garten direkt am Ufer gepachtet. Einfach toll. Ich werde herzlich begrüßt, sehe eine alte Bekannte (nach 20 Jahren!) wieder und werde zum Essen eingeladen. Aber zuerst springe ich in die Donau und schwimme. Das Wasser ist richtig warm. Die alte Donau ist hier eine richtige Freizeitanlage. Viele Menschen kommen hierher, um sich zu erholen. Traumhaft!

Später fahren wir nach Wien und lassen den Abend gemeinsam auf einer Terrasse im 17. Bezirk mit einem Glas Gin Tonic ausklingen. Ich fühle mich wie im Luxusurlaub! 

Ich werde hier meine Wanderung unterbrechen, da ich wieder nach Deutschland will, um meine 2. Impfung zu erhalten.

Im Weinviertel: Seefeld – Ernstbrunn

Am frühen Morgen bewege ich mich von Seefeld nach Groß-Harras, um wieder auf den E8 zu kommen. Alles entlang einer befahrenen Landstraße. Aber durch die reichlichen nächtlichen Regenfälle ist die Luft klar und frisch und ich komme gut voran. Von Groß-Harras aus wandere ich über die Felder nach … In der Gastwirtschaft „Zum Bikerschani“ kehre ich Mittags ein. Der Wirt und seine Mannschaft (seine Frau und ein junger Mann namens Lukas) sind angespannt, da sie in Kürze eine Trauergemeinde erwarten, die vom nahgelegenem Friedhof kommen werden. Für zwei Getränke reicht es aber noch, nur die Unterhaltung ist nicht so entspannt. Von meinem Platz aus, kann ich die angerichteten Salatteller und einen Monitor sehen, der den Vorplatz der Gasststätte zeigt. Lukas will wissen, wie schwer mein Rucksack sei. Er darf ihn einmal heben. Der Wirt vom Bikerschani trägt eine kurze Jeanshose im Trachtendesign und ein schwarzes T-Shirt auf dem „Zum Bikerschani“ steht. Lukas hat auch so ein T-Shirt. Die schwarze Farbe ist wahrscheinlich dem traurigen Anlass geschuldet. Bikerschani macht mich darauf aufmerksam, dass mein Wanderweg heute durch den größten zusammenhängenden Eichenwald Europas führen. wird. Endlich kommt die Trauergemeinde und der Wirt begrüßt sie mit dem Hinweis: Maske beim Eintreten ja, die 3 Gs ja (aber Zeigen muss keiner, hier gilt noch das Ehrenwort), 5 Meter weiter im Trauerraum kann die Maske dann abgenommen werden. Ich bezahle und ziehe weiter. Ich habe mir heute vorgenommen bis Ernstbrunn zu kommen in der Hoffnung auf eine einfache Quartiersuche.

Es geht eine langgezogene Steigung Richtung Wald hoch, vorbei an dem obligatorischem Kellertrifft. Dann kommt der Eichenwald. Ich freue mich schon, da Hirschkäfer Eichen als Lebensraum brauchen. Vielleicht habe ich ja heute die Chance einen Hirschkäfer in freier Wildbahn zu beobachten. Ich komme in den Wald. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Irgendwie hatte ich einen reinen Eichenwald erwartet, aber es ist ein Mischwald in dem es – zugegebnermassen – viele Eichen gibt. 

Die Wegmarkierungen sind sparsam und der Weg gabelt sich immer wieder. Ich schalte die Wanderapp und folge ihr. Hätte ich das mal lieber gelassen: der Weg wird immer undurchdringlicher und verwachsener. Schließlich erreiche ich eine Landstraße. Aber auf der anderen Straßenseite sind nur Zäune und ich kann der Wanderappführung nicht folgen. So ein Mist! Also wieder Landstraße kilometerlang. Ich begegne einem 87-jährigen, der Wildblumen gucken geht. Er zeigt mir einen Türkenbund und fährt mich 2-3 Kilometer die Landstraße hoch und lässt mich an einer Stelle raus, wo ich wieder auf den E8 gelange. 

Wieder geht es durch einen Wald, an einem Freigehege vorbei (Tiere sehe ich aber dort keine). Und auf einmal, auf dem letzten Stück Landstraße begegnet mir tatsächlich ein weiblicher Hirschkäfer (ich habe die Bilder gerade in Wikipedia miteinander verglichen). Wow! Ich bin ganz gerührt: das Krafttier der Familie Schröter. Und das hier, wo keine Eiche weit und breit ist.

Schließlich erreiche ich gegen 18 Uhr Ernstbrunn und gehe direkt zum Hauptplatz. Ich will jetzt möglichst schnell ein Quartier. Österreich spielt heute zum ersten Mal im Achtelfinale einer Fußball EM. Spätestens ab 19:30 ist kein Österreicher mehr für einen Wanderer zu erreichen. Ich erspähe zwei ältere Damen in einem Café. Die kennen sich bestimmt aus. Und tatsächlich sie können mir drei Unterkünfte nennen. Aber, wie verhext, alle sind ausgebucht. Ich komme frustriert wieder zum Café zurück. Die Damen erwarten mich schon. Ich darf mich zu Ihnen an den Tisch setzen. Sie sind sehr hilfsbereit und organisieren mir ein Zimmer in einem Ort, der 4 Kilometer weiter entfernt ist, aber leider nicht einfach zu finden. Frau G. bietet an, mich hinzufahren. Aber vor 19:30!!! Kein Problem, ich bestelle mir einen Eisbecher und wir unterhalten uns gut. Die zwei Hauptthemen sind die Unterschiede in der österreichischen und deutschen Sprache und allerlei Klatsch über Personen, die immer mal über den Platz gehen. Falls ich einen halben Tag mit dem Damen hier Kaffee trinken würde, wüsste ich wahrscheinlich über alle interessanten Personen in Ernstbrunn bescheid.

Gegen 19 Uhr fährt mich Frau G. zu meinem Quartier. Sie wartet sogar noch, bis die Wirtin die Türe öffnet und verabschiedet sich dann. Vielen Dank!

Im Weinviertel: Weinstadt Retz – Haugsdorf – Seefeld

In der Nacht hat es wieder gewittert und geregnet. Aber am nächsten Morgen ist es wieder schön. Eigentlich will ich heute einen Pausentag einlegen, aber irgendwie ist mir die Stadt unsympathisch. Als sich dann herausstellt, dass alle Führungen durch die Kellergewölbe ausgebucht sind, gehe ich kurzentschlossen wieder wandern. 

Bis zum Hauptplatz in Retz ist der E8 sehr gut beschildert. Aber ab diesem Punkt wird es sehr sparsam bzw. geizig. Die E8 Marken tauchen nur noch 2-3 mal auf und auch die Markierungen des Ostösterreichischen Fernwanderweges 07 sind eher selten. Immer öfter muss ich die Beschreibung von dem Weitwanderführer und den Kompass zu rate nehmen.

Nach einiger Zeit bin ich wieder in meinem Trott und komme gut vorwärts. Das Panorama überrascht mich positiv. Nach dem Thayatal hatte ich mit langweiligen Weinbergen gerechnet. Aber das Weinviertel hat eine gute Weitsicht mit einem interessanten Panorama. Ich bin zufrieden, dass ich losgegangen bin. 

Ich entdecke Felder mit Mariendisteln. Wozu baut man Mariendisteln an? Ich habe keine Idee. Bie den 3-5 Meter breiten Baumstreifen dagegen schon, sie dienen als Windbrecher. Ich wandere an einem vorbei, der mindestens 7-10 Meter hoch ist. Immer wieder höre ich es im undurchdringlichen Dickicht knacken. Große Tiere. Nicht nur Feldhasen, die ich immer wieder erspähen kann, sondern auch Hirsche. Eine Hirschkuh kann ich sehen, wie sie wieder in den Baumstreifen zurückgeht.

Es wird schwül. Ich sehe, wie sich wieder stärker Wolken bilden. Es ist ganz angenehm im Schatten der Wolken zu laufen. Ich nähere mich von einer Anhöhe Haugsdorf.  Eine sehr lange Straße führt direkt auf die Stadt zu. Auf der rechten Seite sind Keller, die Straße wird deshalb auch Kellertrift genannt. Eine Unzahl von kleinen und größeren Kellern. Viele Familien haben einen solchen Keller, in denen sie Wein und andere Lebensmitteln lagern können. In Mittelfranken gibt es etwas ähnliches: Bierkeller. Meine Ex-Schwiegereltern hatten auch einen in ihren Heimatdorf. Zwei- oder dreimal im Jahr gab es dann ein Kellerfest. So eine ähnliche Tradition gibt es hier auch, nur mit Wein.

In Haugsdorf kaufe ich mir etwas zum Trinken. Es ist stechend heiß geworden. Eine dunkle Wolkenwand nähert sich. In Haugsdorf ist kein Zimmer frei, alles ausgebucht von Touristen, die die „Weintouren“ machen wollen. Angeblich für das Wochenende, aber angereist wird schon am Donnerstag. Ich steuere die nächste Ortschaft an. Das Gewitter kommt schnell näher. Im Westen sieht es schon richtig schwarz aus. 

In einem Heurigen suche ich mit meine Handy nach Unterkünften. Ein Weinviertler am Nachbartisch bietet mir seine Hilfe an: Christian Aufgewekt.  Er telefoniert seine Bekannten nach Zimmern ab, die ich dann anrufe. Aber vergeblich. Wir vergrößern nach und nach den Suchradius. Es fängt inzwischen das Tröpfeln an und der Himmel ist dunkel. Schließlich erreiche ich den Wirt vom JUFA Hotel Weinviertel – Eselsmühle: er hat ein Zimmer für mich. Aber 8 Kilometer weiter weg und ohne Busverbindung! Das schaffe ich nicht ohne vom Gewitter erwischt zu werden. Der Wirt hat eine Lösung und schickt seinen besten Freund Karl mit dem Auto los. Ich verabschiede mich von Christian.

Karl ist 15 Minuten später bei mir. Er hat sogar meine Telefonnummer als Sticker auf der Brust. Kaum sitze ich im Auto erreicht uns das Gewitter. Es blitzt, donnert und regnet. Aber jetzt kann nichts mehr passieren. Wir fahren zur Eselsmühle und Karl erzählt mir, das er Pensionär ist und seitdem Führungen in Weinkellergewölben macht und von Zeit zu Zeit Kochseminare in der Eselsmühle gibt.

Wir erreichen das Hotel rechtzeitig und ich bedanke mich bei Karl und lade ihn auf einen Gespritzten ein. Dann beziehe ich mein Zimmer und mache mich frisch. Um 18 Uhr bin ich beim Essen.

Das Gewitter hat inzwischen Seefeld voll erwischt und es regnet in Strömen. Kaum habe ich das Essen bestellt, muss der Wirt auch schon – mit Wäschesäcken ausgerüstet – verhindern, dass die draußen entstandene Überschwemmung in das das Hotel eindringt. Ich kann Sirenen hören. Nach kurzer Zeit ist die Feuerwehr von Seefeld angerückt und pumpt Das Wasser ab. Ganz schön aufregend! Nach 20 Minuten haben sie das Schlimmste abgepumpt. An der Theke wird dann noch nachgelöscht. Die Feuerwehrleute bleiben noch knapp 2 Stunden vor Ort, da immer wieder mal abgepumpt werden muss. Kurz nach 20 Uhr ist es vorbei. Die Sirenen heulen wieder zur Entwarnung. Später erfahre ich, dass im nahegelegenen Tschechien sogar ein Tornado gewütet hat, der Todesopfer forderte.

Die einzigen Gäste im Hotel außer mir scheinen Arbeiter zu sein, wie im Waldviertel! So auch Benjamin, der als Maschinenbauingenieur arbeitet und eigentlich aus Kärnten kommt. Ich habe in der Zwischenzeit Abendessen bekommen und mich mit Benjamin angefreundet. Wir unterhalten uns angeregt und ich trinke einige Gespritzte.

Mir gefällt es hier gut. Ich lege morgen einen Pausentag ein.

Im Waldviertel entlang der Thaya: Hardegg – Weinstadt Retz

Es ist bewölkt und nieselt ein bisschen, als ich aufbreche. Zuerst mache ich einen kurzen Abstecher auf die Brücke. Diese Brücke gab es während der Zeit des Eisernen Vorhanges nicht. Jetzt ist es eine Fussgängerbrücke und es gibt einen regelmässigen Grenzverkehr. Der Wirt ist z.B. ein gebürtiger Tscheche, der sie täglich benützt.

Die Thaya dampft. An einem Flusspfad entlang wandere ich durch das Naturschutzgebiet. Alles ist ruhig und ich sehe Nebelbänke. Der Weg ist nass vom Regen und glänzt. Gleich am Anfang finde ich riesige Pilze. Es liegt über allem eine sehr romantische Stimmung. Eichendorff hätte sich gefreut. Der Regen hört auf und manchmal muss ich unter umgestürzte Bäume oder darüber klettern. 

Schließlich biege ich rechts ab und es geht steil bergauf. Ich erreiche einen Umschwung. Der Flusslauf der Thaya hat hier viele Schleifen und der Umschwung ist eine kurze aber steile Verbindung zwischen zwei Schleifen. Von dort gibt es einen herrlichen Blick auf eine Thayaschleife.

Auf dem Umschwung

Auf der anderen Seite steige ich bergab und nach kurzer Zeit verlasse ich den Fluß und folge einem Bachlauf. Schade, dass Thayatal hat mir sehr gut gefallen.

Ich wandere den Bachlauf hoch und laufe heute den größten Teil des Weges durch lichten Wald. Nur zweimal kreuze ich eine Straße. Das glatte Gegenteil von gestern. Es ist wieder sonnig geworden und wird dann stechend heiß. Ich bin froh, dass ich die Stadt Retz am Nachmittag erreiche. Edi und Helmut kann ich leider nicht sehen, wahrscheinlich haben sie noch rechtzeitig ihren Bus erreicht und fahren zu ihrem Auto mit dem sie nach Linz fahren wollen. Schade, die beiden Männer sind wirklich lustig und angenehm. Ich hätte sie gerne noch auf einen Gespritzten eingeladen.

Retz hat einen beeindruckenden Hauptplatz, der über 1,6 ha groß ist. Ganz Retz soll mit Weinlagern unterkellert sein. Eine anderthalbstündige Führung bei 12-17 Grad Celsius wird angeboten. Das werde ich morgen vormittag buchen, allein schon wegen der Temperatur. Jetzt aber dauert es mir zu lange und ich fühle mich müde. Am Hauptplatz finde ich ein Gasthaus, in dem ich mich einquartiere.

Im Mühlviertel: Sankt Peter – Waxenberg

Sankt Peter am Wimberg im Mühlviertel

Heute ist wieder schönstes Wanderwetter! Bei Sankt Peter geht es direkt auf einen Wanderweg, der durch sattgrüne Wiesen führt. Die meisten Wiesen hier werden gerade geheut. Manchmal ist die Wiese schon fertig abgeerntet, dann liegt das Gras gemäht am Boden und trocknet zu Heu oder ein Bauer mäht die Wiese und es riecht nach frisch gemähten Gras. Olfaktorisch ist das ein echter Traum!

Mir begegnet eine Wandergruppe aus österreichischen Damen. Sie haben leider keine Zeit für ein Gespräch und sind schnell unterwegs. Sie wandern den Granitweg. Die hauptsächliche zugrundeliegende Gesteinsart im Mühlviertel ist Granit. Oft kann ich Granitbrocken liegen sehen. Die Damen sind alle mit Teleskopstöcken ausgerüstet. Vielleicht sind sie ja deswegen so schnell.

Ich merke heute, dass ich im Kopf müde werde. Das Wandern läuft dann fast wie von selbst (insbesondere da ich ja jetzt digitale Unterstützung habe) und ich denke an alles mögliche.

Einmal führt mich die Wanderapp mitten durch die Wildnis, um mir nach einer halben Stunde zuzurufen: „Der Weg liegt 150 Meter links von dir!“. Die Warnung hätte ich vor dreissig Minuten gebraucht. Ich schlage mich links durch Wald und Wiese und tatsächlich ich bin in kurzer Zeit wieder auf dem offiziellen Wanderweg.

Mittags mache ich Pause und lege mich auf eine Wiese im Schatten von zwei Birken. Ich bin in einer Bilderbuchlandschaft: Die Sonne scheint, ein lauer Wind sorgt für Abkühlung, saftig grüne Wiesen, idyllisch gelegene Dörfer mit großen und neuen Häusern, tollen Gärten; sogar die Rindviecher, denen ich heute begegnet bin, wirken glücklich. Kein Wunder: sie dürfen ihre Hörner tragen, Muttertiere zusammen mit ihren Kälbern oder Schumpen sind auf einer großen Wiese mit Bach und – ich glaube ich träume – ich sehe sogar einen Stier! Die Kühe hier müssen nicht auf die künstliche Befruchtung durch den Tierarzt warten, wenn sie Nachwuchs haben wollen. Die Weiden erinnern mich an das Oberallgäu. Kaum habe ich das gedacht, entdecke ich sogar Silberdisteln.

Am Nachmittag erreiche ich Waxenberg. Auf dem Berg steht eine Burgruine. Die Herberge ist heute vom gehobenen Niveau, aber ich habe im Umkreis von 8 Kilometern nichts freies oder geöffnetes gefunden. Einige Herbergen machen jetzt ihren Betriebsurlaub, da in Österreich heute die Schulen wieder angefangen haben. Mein Zimmer hat sogar eine Badewanne! Seit letztem Jahr lebe ich in Bad Kreuznach bei meiner Tante in einer Wohnung ohne Badewanne. Früher habe ich in Wohnungen mit Badewanne gelebt und das vielleicht zwei oder dreimal im Jahr genutzt. Jetzt wo ich keine Badewanne mehr zur Verfügung habe, ist es für mich Luxus pur. Ich lasse mir als erstes eine Badewanne ein. Mir fällt ein, dass ich nicht nach dem Preis gefragt habe, und befürchte billig wird es nicht. Aber den Gedanken schieb ich auf morgen und lege mich in die Wanne.

Burgruine Waxenburg von meinem Zimmer aus

Mir geht es gut.

Im Mühlviertel: Neufelden – Sankt Peter am Wimberg

Neufelden hat eine gut erhaltene Altstadt. Bevor ich mich auf den E8 mache, schaue ich mir die gut erhaltenen Häuser am Marktplatz und der Hauptstraße an. Dann geht es runter an die Große Mühl. Zuerst am Stausee entlang und dann am Fluß. Es ist alles ruhig und idylisch, nur 2 Rentner machen ihre Kajaks fertig, um auf dem Stausee ein bisschen zu paddeln. Nach ein paar Kilometern treffe ich auf eine Wallfahrtskapelle, die 150 Meter abseits vom Weg liegt. Ganz idyllisch im Wald. Das Augenbründle spendet „heiliges Wasser“, das angeblich Augenleiden heilen soll. Ich trinke das heilige Wasser und es schmeckt gut. Die Kapelle ist der Heiligen Maria gewidmet. Im Gästebuch erkenne ich, dass ich nicht der erste Besucher heute bin. Direkt vor mir war eine Gruppe, die sich auf einen „buen camino“ befindet.

Der E8 folgt dem Mühlvierteler Mittellandweg (150), der immer mal wieder markiert ist und mir Orientierung gibt.

Es geht weiter die Große Mühl hoch. Heute ist schönstes Wanderwetter und das Wandern auf dem Weg direkt am Fluß macht richtig Lust. Bei einem Wasserwerk führt eine Brücke über den Fluß. Hier kann ich gut die Gleise sehen. Es fährt eine Bummellok im Tal hoch runter und das regelmässig! Passanten werden durch eine Zugpfeife gewarnt, wenn sie die Gleise überqueren. Nach sieben Kilometern erreiche ich den Punkt, an dem ich die Große Mühl verlasse und den Iglbach weiter hochwandere. Aber jetzt mache ich erst einmal Rast. Ich setze mich ans Wehr, ziehe meine Schuhe und Socken aus und halte meine Füße in das kalte Wasser. Ach, ist das schön! Ich esse noch einen Apfel und ein paar Minikekse.

Ich wandere den Iglbach hoch, der um einiges kleiner ist als die Große Mühl und durch dichten Wald führt. Der Weg ist steil und ich werde langsamer. Als ich den Wald verlasse, komme ich auf einen Hof zu. Der Hof faszniniert mich auf den ersten Blick: es ist eine riesige Ansammlung von Gerätschaften, Maschinen und sogar Autos. Beim Näherkommen erkenne ich, dass ein alter Mann im vordersten Auto sitzt. Schläft er? Ich kann es nicht erkennen, denn er trägt eine Sonnenbrille. Auf einmal steigt der Mann aus dem Fahrzeug und kommt mir entgegen. Es stellt sich heraus, dass er versucht hat, das Auto zu starten. Wir unterhalten uns. Schließlich lädt er mich auf ein Getränk und Sitzgelegenheit auf seiner Terrasse ein. Ich nehme dankbar an, denn es ist inzwischen ganz schön warm geworden.

Auf der Terrasse ist es dann richtig nett. Seine Ehefrau bringt eine ganze Auswahl an Getränken. Wir sitzen zusammen und unterhalten uns. Er hat richtig Schmied gelernt und das Wohnhaus steht direkt neben der alten Schmiede. Alles ist erhalten geblieben und er könnte es jederzeit wieder in Betrieb nehmen. Später hatte er dann in Linz in einer Schiffswerft gearbeitet. Jetzt genießen er und seine Ehefrau das Leben im Ruhestand. Beide sind sehr interessiert an meiner Wanderung, dabei stellt sich heraus, dass sie die Reihe Gernstls Reisen – wie auch ich – gerne ansieht. Ich erinnere sie an Gernstl und sie rät mir meine Blogberichte später als Buch zu veröffentlichen. Als die Sonne anfängt hinter den Bäumen zu verschwinden, wandere ich weiter. Sie hat sogar noch versucht im nächsten Ort für mich ein Zimmer zu organisieren. Aber der eine Gasthof hat heute Ruhetag und der andere Betriebsferien. Ich bin gerührt über die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft dieser beiden Menschen.

Am Abend erreiche ich Sankt Peter am Wimberg. Der Ort liegt wirklich auf dem Berg. Beim Gasthof, der heute Ruhetag, habe ich Glück. Ich erwische gerade noch den Wirt, der mir ohne große Umstände ein Zimmer gibt, und sich dann auf seinen Traktor schwingt, um zum Mähen zu fahren. Zu essen gibt es im Gasthof heute nichts. Ich erreiche aber noch einen Sparladen und kann mir etwas zu essen und trinken kaufen.

Im Mühlviertel: Lembach – Neufelden

Heute morgen erfahre ich, dass ab Montag die Coronaregeln in Österreich wieder verschärft werden, d.h. Maskenpflicht in öffentlichen Räumen. Heute ist noch keine Maskenpflicht in Gaststätten und Hotels. Viele Gäste nutzen das noch einmal aus. Ich bin der einzige, der mit Maske herumläuft, bei mir ist das Tragen inzwischen schon zur Gewohnheit geworden.

Der erste Teil der heutigen Strecke ist ein Zubringer zum E8. Ich vertraue der Kartenanwendung, dass mir ein guter Wanderweg dahin schon gezeigt werden wird. Zuerst geht es auf einen Seufzerweg, der Kurgäste mit den Schönheiten der Natur bekannt machen möchte. Aber schnell führt mich die App durch Waldabschnitte, an Wiesen und Bauernhöfen vorbei, wo schon lange kein Wanderer mehr gegangen ist.

Einmal muss ich durch eine hüfthohe Brennnesselschneise und das mit kurzen Hosen. Als Grundschüler bin ich einmal in einen Brennnesselwald gefallen, es hat gebrannt wie Hölle und ich hatte überall Quaddeln vom Nesselgift. Darauf hin hat mich meine geliebte Großmutter mit der Zukunftsaussicht getröstet, dass ich in meinem Leben keine Gicht und Rheuma mehr bekommen könnte, weil das Nesselgift dagegen helfen würde. Jetzt muss ich an meine Großmutter denken.

Ich komme an einer Wiese mit neugierigen Kühen vorbei, die auf mich zukommen und ein paar Schritte begleiten. Dabei fallen mir drei Kühe auf. Eine schnuppert der anderen am Hinterteil rum und besteigt sie dann von hinten. Die andere Kuh lässt es sich gefallen und bleibt stehen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Kuh zur Zeit paarungsbereit ist. Der Bauer müsste jetzt den Tierarzt zum Besamen holen.

Ich erreiche die kleine Mühl, einer der Flüsse die dem Mühlviertel ihren Namen gegeben haben. Ich laufe flussaufwärts und freue mich an dem vollen Fluß. Das Mühlviertel soll angeblich das wildwasserreichste Gebiet in Österreich sein.

In Doll überquere ich den Fluß und laufe südöstlich zur Großen Mühl nach Neufelden. Einem einzigen Mann begegne ich auf dem Weg nach Neufelden. Er steht an einem großen Haufen von Baumstämmen und sucht nach einem Eichenstamm, den er für den Bau eines Tisches braucht. Er trägt mich nach meiner Meinung, ob einer der Stämme eine Eiche sei. Viele Eichen habe ich heute noch nicht gesehen, hier gibt es mehr Nadelbäume und Ahorn. Er wohnt ganz in der Nähe und sucht schon seit ein paar Tagen.

Am späten Nachmittag komme ich in Neufelden an. Neufelden liegt zwar direkt an der Großen Mühl, aber bestimmt 70-80 Höhenmeter höher. Die letzten Meter haben es dadurch noch mal in sich und das mit dem Ziel direkt vor meine Augen. Neufelden selber ist ein hübsches Städtchen.

Ich habe Glück mit meiner Herberge. Die Wirtin ist sympathisch und gibt mir einen Upgrade auf das Zimmer. Das Zimmer hat einen tollen Ausblick auf die Große Mühl bzw. dem Stausee und ist großzügig geschnitten. Unter dem Hotel verläuft eine Wasserleitung, die zum Wasserkraftwerk führt, wo Strom erzeugt wird.

Stausee der Großen Mühl bei Neufelden

Es gibt sogar ein Hallenbad mit Whirlpool, das ich sofort ausgiebig benutze. Ich bin alleine im Hallenbad. Mein Muskelkater lockert sich, ich entspanne mich und fühle mich im Wasser federleicht. Meine Füsse fühlen sich an wie mit Wattekissen gepflastert. So ist das Leben schön und mir geht es gut!

Im Mühlviertel: Oberkappel – Ameisberg – Lembach

Der Gasthof hat sechs Zimmer. Die Wirtin erzählt mir, dass es eine Zeit gab, als Gasthöfe oder Restaurants in der Region ihr Geschäft um Zimmervermietung erweiterten. Meistens nur wenige Zimmer. Das Hauptgeschäft blieb aber der Restaurantbetrieb. So ist es auch in diesem Gasthof: das Essen ist phänomenal und die Gaststube ist brechend voll (soweit man das in Coronazeiten sagen kann).

Beim Verlassen von Oberkappel mache ich noch schnell einen Abstecher an die ehemalige Grenzstation. Dabei komme ich an einem Cafehaus vorbei. In dem Cafehaus sitzen bestimmt 15-20 österreichische Grenzer in Uniform. Alte und junge Grenzer, die sich angeregt unterhalten und einen Frühschoppen halten. Ich denke über die Perspektiven der jungen Grenzer nach. Eine deutsch-österreichische Grenze zu „bewachen“ oder den Warenverkehr hier zu „überwachen“? Das hört sich erst einmal nach einem entspannten Job an im Zuge einer immer stärkeren Europäisierung. Auf der anderen Seite, ständig von den senioren Grenzern anzuhören, wie spannend, aufregend und relevant die Arbeit mal war, stelle ich mir sehr frustrierend vor.

Der gestrige Tag mit meinen Ab- und Umwegen hat mich noch mal dazu gebracht, im Internet nach einer mobilen Kartenlösung zu suchen. Schließlich habe ich eine Anwendung gefunden und probiere sie gleich aus. Tatsächlich führt sie mich genau den E8 entlang. Sogar mit Maschinenstimme. Die Stimme ist nicht ganz so mein Typ. Ich würde eine schöne Altstimme bevorzugen. Einladender könnte die Stimme auch sein, Kommandoton ist auch nicht so meins.

Heute sind am Anfang erst einmal 600 Höhenmeter zu bewältigen. Das geht nicht schnell, sondern langsam. Die Landschaft im Rohrbacher Land ist stärker zersiedelt als im Bayrischen Wald. Wald, Felder, Wiesen und Dörfer wechseln relativ häufig. Ich komme durch Wald, wo es größere Baumschäden gegeben hatte, die jetzt aufgetürmt werden. Viele Fichten sind gefällt worden und es riecht stark nach den ätherischen Ölen. Die Sonne scheint darauf. Ich liebe diesen Geruch.

Mittags habe ich total verschwitzt den höchsten Punkt erreicht, den Ameisberg. Der Berg ist bewaldet und auf dem Gipfel führen Straßen hoch und es steht ein Sendemast. Aber leider keine Aussicht. Schade. So ein zünftiger Aufstieg wird eigentlich nur durch eine schöne Aussicht belohnt. So komme ich mir ein bisschen um meine Belohnung betrogen vor. Ich ziehe mein nasses Hemd aus und hänge es zum Trocknen an den Rucksack.

Es geht weiter durch den Wald. Die Kartenanwendung hat manchmal bei vielen Forstwegen Orientierungsprobleme im Wald, ansonsten habe ich alle Wegpunkte problemlos gefunden. Echt kommod. Ich fange an, mich zu entspannen. Heute kein Umwege über befahrene Landstraße wäre super. Zweimal lichtet sich der Wald und ich kriege dann doch noch einen Panoramablick.

Dann zeigt auf einmal die Anwendung einen Weg an und ich soll rechts darauf abbiegen, aber da ist kein Weg, sondern es steht dort ein Haus. Glücklicherweise kommen zwei Spaziergängerinnen mir entgegen. Ich frage beide nach dem Weg. Sie überlegen kurz und beschreiben mir den Weg für die nächsten ein, zwei Kilometer sehr akkurat. Dann fragen sie mich, ob ich ein Pilger sei. Ich erzähle ihnen meine Motivation, Wanderziel und -weise. Die beiden kommen aus der Gegend und erzählen, dass sie am Montag wieder in die Schule müssen. Ich stutze, die jüngere sind nicht mehr so jung aus als dass sie in die Schule müsste. Die ältere ist Grundschullehrerin und sagt, dass sie noch ein bisschen arbeiten müsste bis zum Ruhestand. Ich bin wieder irritiert. Was meint sie mit ein „bisschen“? Schließlich frage ich die beiden nach ihrem Alter und muss feststellen, dass ich mich beiden locker um 10-15 Jahre verschätzt habe! Ich frage die beiden nach ihrem Geheimnis. Die beiden lachen und wir überlegen gemeinsam. Zuerst meinen sie, dass es an der Ruhe auf dem Land liegen könnte. Ruhe meint hier nicht, dass es still ist (das ist es auch auf dem Land nicht), sondern das Fehlen von Autolärm oder der Krach von Maschinen. Am Ende unseres Gespräches glauben wir, dass es an der Arbeit mit den Kindern liegen muss. Auch ihre Tochter arbeitet in der Kinderbetreuung. Ich verabschiede mich von den zwei freundlichen Damen.

Am Abend erreiche ich meine Unterkunft. Es ist kurz nach 18 Uhr und die Sonne ist schon am Untergehen. Ich merke, dass es Herbst wird.

Mein guter austrostämmiger Freund hatte ja schon angedeutet, dass in Österreich die Wegmarkierung für den E8 vielleicht nicht ganz so wie in Deutschland sein könnte. Er hat heute recht behalten: Eine sehr schöne Markierung auf 18 Kilometer. Auch die andere Wege sind eher für Ortskundige markiert.

Vom Bayrischen Wald ins Mühlviertel: Kellberg – Oberkappel

Kellberg liegt auf einem Berggipfel und ich habe am Morgen einen guten Rundblick, d.h. aber auch zuerst geht es bergab. Ich laufe die Landstraße entlang. Kellberg und Flattendorf sind Luftkurort und der Hauptarbeitgeber ist eine onkologische Klinik. Immer wieder kommen mir Gruppen und Einzelpersonen entgegen, die Nordic Walking machen. Für diese Menschen sind anscheinend auch überall gute Wanderkarten aufgehängt. An diesen orientiere ich mich und finde einen Zuweg zum E8.

Nach Flattendorf geht es durch ein Wald hinunter in das Tal der Erlau. Dort war vor ca. 200 Jahren eine Papiermühle, die inzwischen sich in ein Graphitwerk verwandelt hat und zu einem internationalen Konzern gehört. Der Aubach mündet in die Erlau. Hier finde ich auch das E8 Zeichen wieder. Ich bin erleichtert. Die nächsten sieben bis acht Kilometer geht es ganz easy das Aubachtal hoch und ich muss mich nicht um die Wegfindung kümmern. Es geht sachte bergauf, das Aubachtal ist idyllisch, der Aubach plätschert und der Weg ist breit und bequem. Ich entdecke sogar einen goldenen Käfer, der sich von mir in Schockstarre fotografieren lässt.

In Kropfmull verlasse ich das Aubachtal. Hier steht das moderne einzige Graphitwerk in Europa. Der Rohstoff wird aus der ganzen Welt hier angeliefert und weiterverarbeitet zu Schmierstoffen und natürlich auch zu Bleistiftminen. Mitten in der Natur im Bayrischen Wald auf so eine große Industrieanlage zu stossen, befremdet mich. Ich fühle mich ein bisschen wie vor dem Industriepark in Frankfurt Höchst. Hier gibt es einen kleinen Edekaladen mit Metzgerei. Es sieht aus wie in einem Frankfurter Gewerbegebiet. Ich hole mir eine Leberkässemmel.

Danach geht es weiter, immer stramm bergauf. Ich komme gut ins Schwitzen. Bei einem aufgelassenen Bergwerksstollen mache ich Rast. Der Stollen ist inzwischen ein kleines Museum. Und weiter geht es bergauf. Eigentlich immer geradeaus Richtung Süden. Und trotzdem ich komme mal wieder vom Weg ab und lande auf der Landstraße. Schon wieder! Immer stramm bergauf. Bald habe ich den höchsten Punkt des Tages erreicht. An mir fahren immer wieder Autos vorbei. Das sind die Teile der Wanderung, die ich so gar nicht mag. Es ist inzwischen später Nachmittag.

Ich habe telefonisch ein Zimmer klar gemacht. Leider nicht am Rannasee, wie ich es mir gewünscht hätte, aber die Unterkünfte dort sind entweder geschlossen oder komplett belegt. Ich habe eine Unterkunft in Oberkappeln gefunden, das in Österreich liegt. Das bedeutet nochmal vier Kilometer mehr.

Ab dem nächsten Ort versuche ich es mit Trampen, um ein paar Kilometer Landstraße abzukürzen, bis ich wieder auf einen Wanderweg komme. Niemand nimmt mich mit. Ein Bauer auf einem langsamen Traktor lacht mich sogar aus. Sollten die Niederbayern im Landkreis Passau nicht ganz so nett sein, wie im Rest von Niederbayern? Aber Humor haben sie offensichtlich. Immer wieder sehe ich skurrile Gegenstände (eine Telefonzelle, aus der die Queen angeblich telefoniert haben soll), erweiterte religiöse Figuren (ein Jesus am Kreuz mit Waffen und Handwerkszeug) oder lustige Schilder (für eine Übersetzung stehe ich gerne zur Verfügung).

Ich wandere weiter und nutze die nächste Gelegenheit von der Landstraße weg zu kommen. Dort entdecke ich eine kleine Kapelle mit einer Bank und einer schönen Aussicht. Diese Kapelle ist der erfolgreichen Flurbereinigung vor fünfzig Jahren gewidmet worden. Die Flurbereinigung hat neun Jahre gedauert. Eine lange Zeit. Es wird auch zwei Bürgermeistern gedacht, die anscheinend beide im Amt und während der Flurbereinigungsphase gestorben sind. Das muss eine wirklich schwierige Flurbereinigung gewesen sein, denke ich mir. Ich mache Rast und genieße den Ausblick und die Abendstimmung. Es sind ein paar dunkle Wolken aufgezogen. Ich höre immer wieder etwas über mir brummen. Was ist das? Als ich nach oben schaue, sehe ich an der Decke der Kapelle ein Hornissennest. Vielleicht ein Symbol für die Giftigkeit der Protagonisten während der Flurbereinigung? Irgendwie haben sie sich anscheinend damals dann doch geeinigt und sich selbst ein Denkmal gesetzt. Die Hornissen in dem Nest aber sind lebendig.

Es wird Abend und ich wandere nach Wildenranna talabwärts. Es liegen noch mindestens sechs bis sieben Kilometer vor mir. Meine Füsse schmerzen. Ich habe keine Lust mich wieder zu verlaufen und frage die erstbesten Passanten nach dem kürzesten Weg: Eine Niederbayerin, die gerade ihre Tochter und Enkelkind verabschiedet. Sie sind hilfsbereit und überlegen, welches der beste Weg sein könnte. Dann fangen sie das Erklären an: Es gibt einen direkten Waldweg, aber mit hohem Risiko sich zu verlaufen. Ich muss frustriert aussehen, denn auf einmal bietet die Großmutter mir an, mich die letzten Kilometer zu fahren. Hurra, es gibt doch nette Niederbayern im Landkreis Passau! Mit dem Auto fahren wir dann die letzten Kilometer Landstraße für heute und ich komme so mit Sonnenuntergang in Oberkappeln, im Mühlviertel, in Oberösterreich und in Österreich an.

Endlich in Oberkappeln

Ich bin schon gespannt, wie die Österreicher den E8 markiert haben.

Im Bayrischen Wald: Passau – Krellberg

Heute morgen geht es wieder los nach der gestrigen Pause. Passau und die Flüsse liegen im Nebel. Ich verabschiede mich von der schwarzen Ilz. Es geht anfangs ersteinmal wieder bergauf. Der E8 ist nur an der Ilzbrücke ausgeschildert, ansonsten fehlt jedwede Markierung. Ich orientiere mich am Goldsteig und folge dessen Markierungen. Es geht an einer Kirche vorbei und bald bin ich auf einem gut ausgebauten Waldweg. Von da aus über Felder zu einem Ort, wo ich mich im lokalen Supermarkt mit Lebensmittel versorge. Dann geht es wieder in den Wald. Immer weiter folge ich dem Goldsteig.

In Zieglreuth wird das Gefälle noch mal steiler. Entsprechend langsamer werde ich. Ich komme an einem Garten vorbei, aus dem Schlagermusik ertönt. Ein älterer Mann steht am Zaun und mustert mich eindringlich. Ich schaue ihn auch an und sage: „Grüß Gott!“. Er grüßt zurück und ruft mir zu: „Sie sehen gut aus! Der Bart ist schön und der Hut auch. Sie sehen aus wie aus Südfrankreich!“ Ich muss lachen und erkläre ihm, dass ich aus Deutschland sei. Auf einmal fängt der Mann an zu erzähle:. Er ist vor einigen Monaten schwer im Garten gestürzt und hat sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. U.a. dass auch ein Gesichtsnerv davon betroffen war und dass das Monate dauert bis alles heilen würden. Jetzt darf er nicht mehr Auto fahren und muss bei seinen Gartenarbeiten aufpassen. Unvermittelt wechselt er das Thema, alle im Dorf würden ihn für den bösen Mann halten, weil er die Katzen der Nachbarn aus seinem Garten vertreiben würde. Als Entschuldigung führt er an, dass Katzen nie zuhause ihr Geschäft verrichten würden, sondern dafür seinen Garten benutzen. Er hat dafür eine Extraschaufel und Besen, damit sammelt er den Katzenkot ein und wirft ihn bei den Nachbarn in den Garten. Aber er liebt alle Tiere, versichert er mir.

Plötzlich sehe ich wie zwei Wanderer auf dem Weg von oben kommen. Zwei Weitwanderer. Ich unterbreche das Gespräch mit dem alten Mann und tausche mich kurz mit den beiden aus. Sie sind seit zwölf Tagen unterwegs und laufen heute noch bis Passau und beenden dann ihre Tour. Sie haben ähnliche Erfahrungen mit anderen Wanderern gemacht wie ich und sind dem Goldsteig der tschechischen Grenzen entlang gefolgt. Dann verabschieden wir uns. 

Ich drehe mich nach dem alten Mann um, der ist aber nicht mehr zu sehen. Ich gehe ein paar Schritte weiter und auf einmal taucht er wieder auf und hält eine Art Holzwurzel in der einen Hand. „Das ist der Teufel!“ sagt er mir und schaut mich intensiv an. Ich kann nicht widerstehen und fotografiere ihn so. Dann verabschieden wir uns freundlich von einander. Ich komme ins Grübeln, wie stark der Sturz ihn vielleicht auch mental beeinflusst haben könnte.

Nach Zieglreuth geht es wieder durch den Wald bis ich eine Landstraße mit separatem Fahrradweg erreiche. Die Wegmarkierungen des Goldsteigs sind gut zu erkennen. Ich habe wieder Netzempfang und überprüfe, inwieweit ich noch auf dem E8 bin. Mist! Er liegt um ca. 500 Meter daneben und ich bin an einer Stelle, wo der Goldsteig eine andere Route nimmt. 

Ich improvisiere und wandere nach Kellberg. Kellberg liegt auf der Spitze des Berges und ist ein Kurort. Nach einigen Versuchen finde ich einen Gasthof für die Nacht. Der Gasthof ist überraschend geschmackvoll eingerichtet. Der Innenarchitekt hatte ein gutes Gefühl für Proportionen und Farben. Ich fühle mich in meinem Zimmer wohl. Auch der Biergarten ist sehr hübsch. In den Fluren hängen Bilder der jungen Tochter des Hauses auf verschiedenen Urlauben und unterschiedlichen Situationen. Gut gemacht. Da hat ein guter Fotograf (oder Fotografin) sein Motiv gefunden. Alle Bilder sind gerahmt und mit Passepartout. Mein alter WG Kumpel, der selber professionell fotografiert hat und eine Galerie für einige Jahre sein eigen nannte, hätte sich gefreut.

Am Abend gehe ich eine Runde durch das Dorf. Der Gasthof liegt neben der Kirche und gegenüber einem kleinen Museum, das die alte Dorfschmiede zeigt. Das Museum ist offen und ich lerne, dass damals Schmied, Wagner und Gasthof eine Art Aufgabenteilung hatte: wenn z.B. ein Bauer sein Wagen zum Reparieren brachte, dann machte der Schmied das entsprechende Eisenstück, der Wagner baute es ein und im besten Fall wartete der Kunde im Gasthof darauf, dass alles fertig wurde.

Morgen möchte ich den E8 bis zur österreichischen Grenze wandern.