Kellberg liegt auf einem Berggipfel und ich habe am Morgen einen guten Rundblick, d.h. aber auch zuerst geht es bergab. Ich laufe die Landstraße entlang. Kellberg und Flattendorf sind Luftkurort und der Hauptarbeitgeber ist eine onkologische Klinik. Immer wieder kommen mir Gruppen und Einzelpersonen entgegen, die Nordic Walking machen. Für diese Menschen sind anscheinend auch überall gute Wanderkarten aufgehängt. An diesen orientiere ich mich und finde einen Zuweg zum E8.
Nach Flattendorf geht es durch ein Wald hinunter in das Tal der Erlau. Dort war vor ca. 200 Jahren eine Papiermühle, die inzwischen sich in ein Graphitwerk verwandelt hat und zu einem internationalen Konzern gehört. Der Aubach mündet in die Erlau. Hier finde ich auch das E8 Zeichen wieder. Ich bin erleichtert. Die nächsten sieben bis acht Kilometer geht es ganz easy das Aubachtal hoch und ich muss mich nicht um die Wegfindung kümmern. Es geht sachte bergauf, das Aubachtal ist idyllisch, der Aubach plätschert und der Weg ist breit und bequem. Ich entdecke sogar einen goldenen Käfer, der sich von mir in Schockstarre fotografieren lässt.
In Kropfmull verlasse ich das Aubachtal. Hier steht das moderne einzige Graphitwerk in Europa. Der Rohstoff wird aus der ganzen Welt hier angeliefert und weiterverarbeitet zu Schmierstoffen und natürlich auch zu Bleistiftminen. Mitten in der Natur im Bayrischen Wald auf so eine große Industrieanlage zu stossen, befremdet mich. Ich fühle mich ein bisschen wie vor dem Industriepark in Frankfurt Höchst. Hier gibt es einen kleinen Edekaladen mit Metzgerei. Es sieht aus wie in einem Frankfurter Gewerbegebiet. Ich hole mir eine Leberkässemmel.
Danach geht es weiter, immer stramm bergauf. Ich komme gut ins Schwitzen. Bei einem aufgelassenen Bergwerksstollen mache ich Rast. Der Stollen ist inzwischen ein kleines Museum. Und weiter geht es bergauf. Eigentlich immer geradeaus Richtung Süden. Und trotzdem ich komme mal wieder vom Weg ab und lande auf der Landstraße. Schon wieder! Immer stramm bergauf. Bald habe ich den höchsten Punkt des Tages erreicht. An mir fahren immer wieder Autos vorbei. Das sind die Teile der Wanderung, die ich so gar nicht mag. Es ist inzwischen später Nachmittag.
Ich habe telefonisch ein Zimmer klar gemacht. Leider nicht am Rannasee, wie ich es mir gewünscht hätte, aber die Unterkünfte dort sind entweder geschlossen oder komplett belegt. Ich habe eine Unterkunft in Oberkappeln gefunden, das in Österreich liegt. Das bedeutet nochmal vier Kilometer mehr.
Ab dem nächsten Ort versuche ich es mit Trampen, um ein paar Kilometer Landstraße abzukürzen, bis ich wieder auf einen Wanderweg komme. Niemand nimmt mich mit. Ein Bauer auf einem langsamen Traktor lacht mich sogar aus. Sollten die Niederbayern im Landkreis Passau nicht ganz so nett sein, wie im Rest von Niederbayern? Aber Humor haben sie offensichtlich. Immer wieder sehe ich skurrile Gegenstände (eine Telefonzelle, aus der die Queen angeblich telefoniert haben soll), erweiterte religiöse Figuren (ein Jesus am Kreuz mit Waffen und Handwerkszeug) oder lustige Schilder (für eine Übersetzung stehe ich gerne zur Verfügung).
Ich wandere weiter und nutze die nächste Gelegenheit von der Landstraße weg zu kommen. Dort entdecke ich eine kleine Kapelle mit einer Bank und einer schönen Aussicht. Diese Kapelle ist der erfolgreichen Flurbereinigung vor fünfzig Jahren gewidmet worden. Die Flurbereinigung hat neun Jahre gedauert. Eine lange Zeit. Es wird auch zwei Bürgermeistern gedacht, die anscheinend beide im Amt und während der Flurbereinigungsphase gestorben sind. Das muss eine wirklich schwierige Flurbereinigung gewesen sein, denke ich mir. Ich mache Rast und genieße den Ausblick und die Abendstimmung. Es sind ein paar dunkle Wolken aufgezogen. Ich höre immer wieder etwas über mir brummen. Was ist das? Als ich nach oben schaue, sehe ich an der Decke der Kapelle ein Hornissennest. Vielleicht ein Symbol für die Giftigkeit der Protagonisten während der Flurbereinigung? Irgendwie haben sie sich anscheinend damals dann doch geeinigt und sich selbst ein Denkmal gesetzt. Die Hornissen in dem Nest aber sind lebendig.
Es wird Abend und ich wandere nach Wildenranna talabwärts. Es liegen noch mindestens sechs bis sieben Kilometer vor mir. Meine Füsse schmerzen. Ich habe keine Lust mich wieder zu verlaufen und frage die erstbesten Passanten nach dem kürzesten Weg: Eine Niederbayerin, die gerade ihre Tochter und Enkelkind verabschiedet. Sie sind hilfsbereit und überlegen, welches der beste Weg sein könnte. Dann fangen sie das Erklären an: Es gibt einen direkten Waldweg, aber mit hohem Risiko sich zu verlaufen. Ich muss frustriert aussehen, denn auf einmal bietet die Großmutter mir an, mich die letzten Kilometer zu fahren. Hurra, es gibt doch nette Niederbayern im Landkreis Passau! Mit dem Auto fahren wir dann die letzten Kilometer Landstraße für heute und ich komme so mit Sonnenuntergang in Oberkappeln, im Mühlviertel, in Oberösterreich und in Österreich an.
Ich bin schon gespannt, wie die Österreicher den E8 markiert haben.
Na endlich…