Archive : Odenwald

Vom Odenwald an den Main: Vielbrunn – Obernburg am Main

Heute morgen werde ich zuerst von Stimmengewirr und dann von einer elektronisch verstärkten Stimme geweckt. Meinen Plan, heimlich am Morgen eine Runde nackt schwimmen zu gehen, muss ich aufgeben. Im Freibad findet ein Taufgottesdienst der christlichen Gemeinde Michelstadt statt, die viele russlanddeutsche Mitglieder hat. Es ist eine Erwachsenentaufe und die Täuflinge stehen in weißer Kleidung am Beckenrand, die Frauen tragen zusätzlich noch eine Haube. Später werden sie im Schwimmbadwasser vom ebenfalls weiß gekleideten Priester getauft. Ich bin gerührt.

Ich gehe zum Frühstücken und beobachte dabei den weitern Verlauf des Gottesdienstes. Nach dem Ende der Veranstaltung breche ich auch auf.

Das Wetter ist heute frisch und bewölkt. Ich komme gut voran. Am Anfang kommt ein Anstieg, danach geht es mehr oder weniger bergab bis nach Obernburg am Main. Ein Teil des E8 geht parallel zum Limesweg. Der Limesweg orientiert dabei sich an dem historischen Verlauf des Limes in dieser Gegend. Dabei werden verschiedene Stellen, wie z.B. Wachtürme und ein Kastell, gezeigt, die einem einen Eindruck geben, wie gut und effizient die römische Verteidigung entlang des Limes organisiert war. Mir gefallen solche geschichtlichen Zusammenhänge.

Vor den Toren von Obernburg holt mich ein ehemaliger Kollege mit dem Auto ab und bringt mich zu seinem Haus. Der Vorbesitzer des Hauses war Förster gewesen. Das Haus liegt am Hang, direkt am Waldrand mit einem schöne Blick in das Maintal und ist großzügig geschnitten. Ich kriege eine gute Suppe zum Essen und reichlich zu trinken. Viele Kinder sind im Haus und spielen. Es gibt Hühner und Schafe. Ich fühle mich ein bisschen an die Kinder aus Bullerbü erinnert. Die Kinder sind alle beschäftigt und ich kann mich gut mit meinem Freund unterhalten. Am Ende meines Besuches spielen wir noch mehrere Partien Kicker. Der Hausherr gewinnt sourverän.

Morgen lege ich einen Pausentag in Obernburg ein.

Immer noch im Odenwald: Michelstadt – Vielbrunn

Heute morgen ist das Wetter noch unbeständig. Nach dem Frühstück gehe ich noch einmal auf mein Zimmer und schlafe tatsächlich noch einmal ein. Später ist das Wetter sonnig und ich beschließe loszugehen. Inzwischen stelle ich bei mir fest, dass ich beim Verlassen von Ortschaften gerne zuerst den falschen Weg wähle. So auch heute. Das sind erst einmal wieder 1,5 Kilometer Umweg. Ich wüsste gerne, woran das liegt.

Beim Verlassen von Michelstadt fallen mir sieben Häuser auf, die in einer Reihe stehen. Jedes Haus ist zweigeteilt und hat anscheinend unterschiedliche Besitzer, denn jede Hälfte sieht anders aus. Sei es Farbe oder Fenster oder der Garten. Es sieht immer so aus, als ob jemand einen Strich in der Hausmitte gezogen hat und dann jeder Besitzer seinem eigenem Geschmack gefolgt ist. Insgesamt macht es einen Eindruck auf mich, wie ein gemeinsamer Rahmen doch sehr unterschiedlich ausgestaltet werden kann.

Obwohl es in der Nacht kräftig geregnet hat, ist es bereits warm und schwül. Nach Michelstadt geht es stetig und teilweise kräftig bergauf, meistens durch Wald. Ich fange schnell kräftig das Schwitzen an. Nach einer Stunde ist kein trockener Faden mehr an mir, sogar der Hut ist total nass und tropft. Mir läuft der Schweiß in schweren Tropfen am Körper runter. Ich muss öfters eine Trinkpause machen. Heute ist nicht mein Tag.

Unterwegs chatte ich einen lieben ehemaligen Kollegen an, der in der Nähe von Obernburg wohnt. Er lädt mich ein, bei ihm am Sonntag vorbeizukommen. Das hebt gleich meine Stimmung.

Ich kämpfe mich bis zum Örtchen Vielbrunn durch und freue mich schon, in einem der Cafés oder Restaurants eine Pause zu machen. Im Vorfeld von Vielbrunn fängt es auch an interessanter zu werden. Am Ortseingang wartet die Odintanne, ein Baum der schon mehrere Jahrhunderte alt ist. Denkmalgeschützte Steinstelen säumen teilweise die Wege. Kirschbäume ragen immer wieder in den Weg und bieten ihre reifen Früchte an. Vielbrunn wirkt auf den ersten Blick wie ein kleines verschlafenes Dorf, ist aber mit 1700 Einwohnern größer als ich gedacht hatte. Es hat sogar einen Golfplatz. In einem ehemaligen Feriendorf haben sich Großstädter eingekauft und verbringen hier ihren Ruhestand. Enttäuscht muss ich feststellen, dass das erste Café coronabedingt geschlossen ist. Andere Läden, wie Metzger und Bäckerei, haben bereits geschlossen. Es ist bereits Samstagnachmittag. Ich bin frustriert, aber ich will nicht aufgeben. Endlich finde ich ein Hotel mit Café, das offen hat. Glück gehabt. Die Beerentorte schmeckt sensationell gut, der Sohn der Wirtin ist Konditor. Von dem Café aus kann ich ein Freibad erkennen. Ich erhole mich allmählich. Ich spreche mit der Wirtin und frage sie nach meinem nächsten Ziel, wo ich eine Unterkunft finden könnte. Sie kennt keine, aber empfiehlt mir, auf jeden Fall vorher zu checken, ob etwas frei ist. Im Internet finde ich ein „Bed & Breakfirst“. Meine Anrufversuche scheitern, es hebt niemand ab. Ich sehe dunkle Wolken aufziehen und werde unsicher, ob vielleicht nicht doch noch ein Gewitter kommt.

Am Schluß entscheide ich mich, in Vielbrunn zu bleiben und in das Freibad zu gehen, bevor ich unterwegs von einem Gewitter erwischt werden und dass dann ohne Unterkunft.

Das Freibad ist sehr überschaubar. Es sind vielleicht 20 Gäste da, die sich alle kennen oder nach einiger Zeit kennen lernen. Ich frage die Frau an der Kasse bzw. Kiosk, wie es gelingt, dieses Freibad in so einem kleinen Ort zu finanzieren. Ein Förderverein betreibt das Schwimmbad. D.h. die Vereinsmitglieder betreiben das Bad und die Stadt bezahlt die Energiekosten und das Wasser. Die Stadt erhält den Erlös aus den Eintrittskarten. Ich bin begeistert.

Ich gehe schwimme und kühle ab. Dann lege ich mich in den Schatten einer mächtigen Linde und beobachte das Treiben der Badegäste. Alle sind entspannt und unterhalten sich gut, auch ich werde miteinbezogen.

Die folgende Szenerie zeigt exemplarisch, wie hier das Sommergefühl ist: Ein Mittvierziger in bunten Badeshorts zieht an mir vorbei. Er hält vier leere Bierflaschen in der Hand und singt: „das Leben ist so schön“ und freut sich darüber, dass er trinkfester ist als die drei Rumänen, die er heute im Bad kennengelernt hat. Sein ältester Sohn spielt mit vier jungen Dorfschönheiten Volleyball oder zeigt ihnen seine Sprungkünste im Bad. Der jüngere Sohn schwimmt tapfer eine 10 Meter Bahn und beeindruckt anschließend mit Popcorn die kleinen Mädchen.

Ich gehe entspannt in meine Unterkunft und beschließe am morgigen Vormittag nach Obernburg zu wandern, um dort einen Pausentag einzulegen. Am Montag möchte ich mich auch mit einem Pädagogen treffen. Vielleicht ergibt sich daraus ein Engagement für mich.

Immer noch im Odenwald: Ostertal – Ober-Mossau – Michelstadt

Ich habe in der letzten Nacht fünf blutsaugende Mücken um 2:30 Uhr in meinem Zimmer getötet.

Am Morgen kann ich den Wirt leider nicht überzeugen, mir das Ladekabel zu verkaufen. Seine Mutter – übrigens eine reizende alte Dame – braucht es noch.

Ich passe nicht richtig auf als ich den Ort verlasse. Keine Netzverbindung und prompt habe ich mich verlaufen. Ich finde den Weg aber mit einem Kompass wieder. Knapp 2 Kilometer Umweg sind entstanden. Es geht über eine Landstraße hinweg hoch durch einen Nadelwald zur Lärmhütte. Auf dem Weg finde ich Blaubeeren, die reif sind. So richtig lecker direkt von der Pflanze.

Nach der Lärmhütte geht es abwärts nach Ober-Mossau. Ich komme zur Mittagszeit an. Hier steht eine große Privatbrauerei, die auch einen Ausschank hat. Ich lerne drei Wandersleute kennen, ein Ehepaar mit einer Freundin. Es stellt sich heraus, dass sie vom Odenwaldclub sind. Ich bedanke mich repräsentativ bei Ihnen für die gute Beschilderung. Es kommt ein nettes Gespräch zustande. Die drei sind gerade auf einer Drei-Tages-Tour. Die ersten echten Wanderer, die mehr als eine Tagestour unternehmen, denen ich begegne. Ich trinke eine Hopfenlimo und dann geht es weiter. Zuerst durch den Ort immer aufwärts, dann bei einer Kreuzung geht es wieder in den Wald. Es wird allmählich wärmer und schwüler. Es geht an einem Flugplatz vorbei und ich erreiche die Ortschaft Michelstadt. Kurz vor dem Ort ist ein Friedwald. Hier ist mein Onkel Karl-Heinz bestattet. Ich habe nur positive Erinnerungen an ihn. Vielen Dank für alles, Karl-Heinz!

Dann erreiche ich den Ortskern von Michelstadt. Zuerst laufe ich durch ein neumodisches Gewerbegebiet mit den üblichen Zweckbauten. Dann kommt der historische Ortskern mit alten gut zurecht gemachten Gebäuden. Ich komme in einem alten Gasthaus unter.

Ich kann direkt nebenan ein Ladekabel kaufen. Dann gehe ich in das Waldschwimmbad von Michelstadt. Ich freue mich schon, da ich seit Corona nicht mehr schwimmen war und weil es heute im Laufe des Tages immer wärmer geworden ist. Im Freibad ist von Corona fast nichts zu beobachten. Ein Gummirarmband wird verteilt, damit man besser zählen kann, wieviele Personen im Freibad sind. Ich zische fast als ich endlich im Wasser bin. Herrlich!

Später am Abend erreicht ein starkes Gewitter Michelstadt. Eine Freundin, die mit mir morgen wandern will, meldet sich bei mir. Wir verschieben wegen der Wetterlage die gemeinsame Wanderung. Ich werde dann morgen nach Lage entscheiden, ob und wie ich weiterwandern werde.

Mitten im Odenwald – Gadernheim – Lindenfels – Ostertal

In der Nacht habe ich entdeckt, dass mich 2 Dinge an Bensheim erinnern werden. Erstens ich habe den Zimmerschlüssel aus Versehen mitgenommen und zwar so einen richtig traditionellen, also keine Plastikkarte. Dafür habe ich etwas zurückgelassen und zwar zweitens das Ladegerät für mein Handy!

Ich schlafe unruhig und kann mir dadurch meine Träume merken. Zwei möchte ich teilen. Der erste Traum war mit einem lieben Freund und ehemaligem Kollegen. Wir fahren in einem Auto, er sitzt am Steuer und redet, ich sitze auf der Rückbank und höre. Auf einmal sitzt er auf dem Beifahrersitz, schaut nach hinten, wedelt mit beiden Händen und freut sich wie ein Schneekönig. „Siehst Du!“ ruft er „so gut funktioniert autonomes Fahren!“. Ich kriege einen kleinen Schreck, weil das Auto einen schwierigen Parcours voller Kurven fährt. Es passiert kein Unfall.

Ob das etwas damit zu tun hat, dass ich ohne Handy um 7 Uhr beim Wirt zum Frühstück angemeldet bin?

Der zweite Traum hat eine junge, hellhäutige, sommersprossige und rothaarige Frau im Mittelpunkt. Sie hat zusätzlich zu den vielen Sommersprossen abstrakte leichtblaue Zeichen im Gesicht. Es sieht aus wie bei indigenen Muster, z.B. den Maori nur in hellblau und nicht zusammenhängend. Ich kann nur schwer ihren Blick erfassen. Ich spreche mit ihr. Sie erzählt mir, dass sie sich schämt wegen ihrem Anblick und deswegen niemandem in die Augen sieht. Ich rede ihr gut zu und versuche mit ihr Blickkontakt aufzunehmen. Zuerst ist es schwierig, doch dann gelingt es mir. Ich muß den Atem anhalten, denn sie hat nur ein Auge in der Mitte. Die Augenfarbe ist blau.

Ich bin sogar früher als 7 Uhr wach und pünktlich beim Frühstück, das für die Umstände sehr gut und passend ist. Ich gebe den Schlüssel dieses Hauses ganz achtsam ab. Die Herausforderungen des Tages sind, wie finde ich ohne meine Kompass Pro Anwendung auf dem Handy meinen Weg ohne mich dabei großartig zu verlaufen? Wie kriege ich den Schlüssel wieder nach Bensheim ohne Postämter auf dem Weg?

Ich gehe los. Es ist noch morgendlich frisch und der Aufstieg liegt vor mir. Ich verlasse das Dorf und wandere zur höchsten Erhebung des Odenwaldes. Überall wird bereits die Heuernte vorbereitet, die Heuwender sind unterwegs und das Heu fliegt nur so durch die Luft. Ich sehe einen roten Milan (oder auch Gabelweihe) aufsteigen. Wow! Ich bin beeindruckt von diesen kunstvollen Seglern, die auch wegen ihrer Segelkünste und Vorliebe für Aas die Geier des Nordens genannt werden.

Ich komme gut voran. Ich habe inzwischen einen Schrittrhytmus beim Gehen entwickelt, so dass ich nicht außer Atem komme und mich auf jeden Schritt entspannt konzentriere. Auf einmal sehe ich ein Reh vor mir auf dem Weg. Es bemerkt mich gar nicht. Ich komme bis auf fünf Meter nah an das Tier ran. So nah war ich einem Reh in freier Wildbahn noch nie. Auf einmal entdeckt es mich, schreckt hoch und verschwindet schnell im Wald. Eine ähnliche Begegnung mit einem Reh habe ich eine halbe Stunde später noch einmal. Diesmal bin ich es der erschrickt, aber ich springe nicht in den Wald.

Zügig erreiche ich die höchste Erhebung des hessischen Odenwaldes der Neukirchener Höhe mit über 600 Metern. Hier steht auch der Kaiserturm, ein Ausflugsziel, das geschlossen hat. Es gibt auch keinen schönen Panoramablick, da der Wald den verstellt. Aber zur meiner Beruhigung ein Schild des Odenwaldclubs, der alle möglichen Wege zeigt und erklärt, unter anderem den E8. Ich bin also noch richtig.

Vom Kaiserturm aus geht es zum Ort Winterkasten immer leicht abwärts. Zuerst durch den Wald und dann durch Felder. Ich durchquere den Ort und komme dann auf einen sehr schönen Weg, der zu dem Städtchen Lindenfels führt. Ein toller Höhenweg, von dem man aus die ganze Umgebung gut sehen kann. Er wird auch von anderen Spaziergängern genutzt. Einen alten Mann werde ich nicht vergessen. Er kommt direkt auf mich zu und sagt erfreut: „Ach, Karl-Heinz!“ Ich bin erstaunt und sage ihm, wie ich wirklich heiße. Er ist enttäuscht und geht weiter.

Auf dem Weg nach Lindenfels sind auf 1000 Meter drei geologische Stationen verteilt, da hier drei ganz unterschiedliche Gesteinsarten zu sehen sind. In der Mitte ist der Bismarkturm, von dem aus ich einen tollen Blick in das Tal habe. Lindenfels ist ein hübsches aber sterbendes Städtchen. Ich versuche ein Ladegerät zu kaufen. Alle schicken mich zu den größeren Städten wie Bensheim oder sogar Darmstadt. Viele Geschäfte sind geschlossen. Ich verlasse Lindenfels. Es geht erst abwärts und dann wieder aufwärts. Der Weg ist zuerst angenehm breit und wird dann immer schmaler. Am Schluß werde ich immer wieder von Brombeerranken angegriffen. Einmal muss ich sogar auf alle viere, weil ein umgestürzter Baum den Weg versperrt. Hier scheint nicht oft jemand zu wandern.

Ich komme raus dem Wald an einer Kreuzung von Landstraßen. Es ist inzwischen bewölkt. Jetzt geht es nochmal steil hoch durch den Wald. Ich schwitze stark und muss immer wieder niesen. Ich habe Heuschnupfen. Da überall im Odenwald gerade das gute Wetter zur Heuernte genutzt wird, habe ich anscheinend meinen Teil mitbekommen.

Ich folge dem Nibelungenpfad eine zeitlang bis ich die höchste Erhebung erreicht habe. Überall ist Wald, alles ist sehr ruhig.

Am Schluß meiner heutigen Wanderung komme ich im Ostertal an. Dort finde ich einen Landgasthof. Jetzt lösen sich die zwei Dinge auf, die ich von Bensheim mitgenommen hatte. Den Schlüssel gebe ich dem Wirt. Der Wirt ist der Bruder der Wirtin aus Bensheim, mit der ich gestern noch telefonieren konnte. Der Wirt hat auch ein Ladekabel für mich. Hurra, die virtuelle Welt hat mich wieder. Deshalb gibt es heute nur ein Foto zur Auswahl, der Blick aus meinem Zimmer.

Wie ich ohne Handy den Weg gefunden habe? Am Abend hatte ich mir am Laptop den Weg angeguckt und mir charakteristische Landzeichen, wie den Kaiserturm gemerkt. Dem Odenwaldclub sei Dank, habe ich dann immer wieder eine E8 Wegmarke gefunden, wenn ich anfing unsicher zu werden. Ich habe mich kein einziges Mal verlaufen!

In dem Landgasthof kriege ich am Abend ein Zimmer und etwas zu essen. Es ist überraschend voll. Heute ist Schnitzeljagd. 15 verschiedene Arten der Schitzelzubereitung werden angeboten, sonst gibt es nichts. Kein Gasthof für Vegetarier. Es sind nur Einheimische da. Sie reden alle einen Dialekt, den ich kaum verstehe. Sie sehen anders aus und haben andere Kleidung an als ich. Ich fühle mich mittendrin seltsam alleine und exotisch.

Im Odenwald: Bensheim – Gadernheim

Ich war so müde von gestern, dass ich glatt verschlafen habe. Später als geplant breche ich auf. Auerbach ist ein hübsches altes und gut gepflegtes Städtchen. Alles ist entschleunigt. Sogar die Verkehrspolizei, die ich dabei beobachten durfte, wie sie zu zweit in einer Spielstraße eine Radarfalle aufgebaut haben und dann in aller Ruhe warteten. Nur Autos kamen nicht. Oberhalb von Auerbach fängt das sogenannte Fürstenlager an, ein großer Park mit vielen historischen Gebäuden. Hier starten eine Reihe von Wandertouren alle mit einem Blick auf das Rheintal. In der Ferne kann ich heute auch die Pfalz sehen, gut erkennbar an den Windrädern. Windräder scheint es in diesem Teil von Hessen nicht zu geben. Die Pfalz war gespickt damit. Das Wetter ist sonnig, aber nicht so warm wie gestern, weil im Odenwald ein schöner Wind bläst.

Ich laufe durch das Fürstenlager und nehme mir vor, hier mal mit meinen Kindern einen Tagesausflug zu machen. Die werden sich freuen! Besonders mein Jüngster … Alles ist sehr gut organisiert. Sogar ein erstes Hilfeset steht hier zur Verfügung (siehe Beitragsbild). Vielleicht komme hier ja gerne Senioren und lustwandeln in den schönen Anlagen. Ich lerne eine serbische Sonderpädagogin mit ihrem Schützling kennen. Sie bietet mir ein Zimmer an, falls ich auf meiner Reise durch Serbien kommen sollte. Ihre Telefonnummer habe ich auch.

Es geht durch den Wald auf die Ludwigshöhe. Von dort aus in Richtung Norden. Auf dem Weg treffe ich auf ein Jerusalem Denkmal. Es sind polierte Steinplatten die halbkreisförmig aufgestellt sind. Eine Tafel weist darauf hin, was das für ein Ort ist und dass Jerusalem 3000 km entfernt ist. Ob das stimmt? Ich wandere weiter.

Immer wieder kommen Fahrradfahrer. Entweder als einzelnes Mensch-Mountainbike-Wesen oder als Paar. Mir fällt auf, dass die Paare meistens älter sind und E-Bikes fahren. Und das ganz schön flott. Dabei ist folgende Variante beliebt: er fährt mit Muskelkraft und sie mit E-Batterie. So haben beide ein Gemeinschaftserlebnis, ohne dass sich ein Partner bis zur Erschöpfung verausgaben muss um mitzuhalten.

Im Odenwald gibt es sehr viele unterschiedliche Wanderwege. Auch verschiedene Fernwanderwege. Hier treffen sich E8 und E1. Ich bewege mich Richtung Tal und komme an Wiesen, wo gerade geheut wird, und an einem Steinbruch vorbei. Es ist alles sehr idyllisch. Im Tal liegt der Ort Reichenbach.

Es ist Mittagspause und ich suche nach einer Möglichkeit etwas zu essen. Corona scheint seine Folgen hier besonders in der Gastronomie zu haben. Die Gasthäuser sind geschlossen oder bieten einen Bestelldienst an. Leider nicht zur Mittagszeit. Doch ich habe Glück, Doras Café hat offen. Dora und ihr deutscher Mann sind gerade dabei einen großen neuen Apparat anzuschließen unter der Empfehlung von Einbahnverkehr, so dass die Ansteckungsgefahr geringer wird. Beide müssen darüber lachen. Hier kriege ich etwas zu trinken und selbstgemachte Kuchen. Dora und ihr Mann unterhalten sich mit mir. Dora kommt ursprünglich aus Polen und lobt das deutsche Gesundheitswesen sehr. Sie hat ihre polnische Mutter sogar nach Deutschland geholt, so dass sie medizinisch besser versorgt wurde. Die Mutter ist inzwischen verstorben. Ob das auch etwas mit dem deutschen Gesundheitssystem zu hatte, habe ich mich nicht getraut zu fragen. Doras Mann hat mir dann noch einen Tipp gegeben. Ich soll nach einem Gepäckservice in meiner nächsten Unterkunft fragen. Das Tragen des Rucksackes könnte meine Wanderlust negativ beeinflussen. Womit der gute Mann natürlich recht hat. Ich bin ja kein Muli.

Frisch gestärkt geht es weiter. Nach Reichenbach geht es erstmal wieder hoch. Der stärkste Anstieg an diesem Tag. Natürlich in der Mittagshitze. Aber ich habe Glück, entweder Schatten durch Bäume oder ein frischer Wind, wenn ich über die Wiesen und Felder wandere. So macht Wandern Spaß!

Unvermittelt komme ich an einer 17 Meter hohen Felsformation aus widerstandsfähigem Odenwald-Quarzit vorbei, ringsum sind hohe Bäume. Der Felsen ist das Ziel vieler Kletterfreunde und wurde vom Deutschen Alpenverein als Kletterfelsen anerkannt. Ich verzichte darauf, ihn auszuprobieren und denke an meine zwei Abstürze als ich früher klettern gewesen war.

Nach dem Wald kommen Felder und ich wandere durch Raidelbach nach Gadernheim. Ich finde hier Quartier. Der Wirt kann mir leider nichts zu essen anbieten. Seine Frau und er sind gerade heute aus Ungarn wiedergekommen. Beide waren müde und ich war froh, dass ich wenigstens ein Zimmer bekommen habe. Am Abend auf der Suche nach etwas zu essen, musste ich feststellen, dass auch die anderen Gasthäuser kein warmes Essen mehr anbieten. Ich vermute Corona auch hier als Ursache. Corona ist meiner Meinung nach, nicht – wie anfänglich befürchtet eine Versorgungskrise (Nahrung, Hygienartikel), sondern eine Freizeitkrise. Also eine Krise der organisierten und kommerzialisierten Freizeit. Und wie in jeder Krise werden jetzt Überkapazitäten abgebaut. Das scheint auch auf den Odenwald als Naherholungsgebiet zu zutreffen. Ich finde dann doch noch etwas, eine Dönerbude im Familienbetrieb. Wird das die Zukunft der Gastronomie im Odenwald sein? Heute ist mir das egal, Hauptsache es schmeckt mir.